Die «Black Lives Matter»-Bewegung, die 2020 auch die Schweiz erfasste, hat die Diskussion über Sinn und Unsinn von Denkmälern aufgeheizt. Das ist auch gut so, denn Statuen bedeutender Figuren tragen ebenso wie historische Stätten massgeblich zum historischen Selbstverständnis bei und repräsentieren die Geschichte von Nationen. In diesen Objekten werden Fragen wie «Woher kommen wir?», «Wer sind wir?» und «Wohin gehen wir als Gesellschaft?» verhandelt. Denkmäler sind nicht stumm, sie sind kommunikativ, durch sie wird die Vergangenheit vergegenwärtigt, und durch ihre Materialität weisen sie in eine Zukunft, die der Ewigkeit verpflichtet scheint.
Die Figuren erinnern nicht nur an die Zeit, in der sie gewirkt haben, sondern auch an jene, in der ihre Urheber lebten. Mit dem Aufrichten von Denkmälern bezwecken die Initiatorinnen und Initiatoren das Implementieren bestimmter Werte und Haltungen. Durch die Erhöhung auf Sockeln wird durch die über dem öffentlichen Raum thronenden Bildwerke unserer Herren der Schöpfung der hegemoniale Anspruch der Urheberschaft auf diese normativen Werte durchgesetzt. Wer unter ihnen durch- oder an ihnen vorbeigeht, sie aus der Ferne erblickt, wird daran erinnert, wer die Vorbilder einer Gesellschaft sind und an welchen Werten sich diese Gesellschaft zu orientieren hat. Denkmäler sind demnach nicht harmlos und werden, weil sie eine einseitige Geschichte vermitteln, zu Recht immer wieder erneut in Frage gestellt.
Männliche Dominanz bei Schweizer Denkmälern
In der Schweiz wird auf diese Weise eine fast ausschliesslich von männlichen Persönlichkeiten geprägte Geschichte erzählt. So werden wirtschaftlicher Erfolg, Innovationskraft und politische Errungenschaften von in Stein gemeisselten oder in Erz gegossenen Männern repräsentiert. Dass dem realiter nicht so ist, kann die Geschichtswissenschaft durch die Erforschung weiblicher Perspektiven aufzeigen. Obwohl ein Schweizer Denkmal-Mapping noch aussteht, ist es augenscheinlich, dass weibliche historische Persönlichkeiten im öffentlichen Raum unverhältnismässig unterrepräsentiert sind. Hie und da werden Plätze nach Frauen benannt: In Zürich gibt es etwa einen Emilie-Lieberherr-Platz, in Neuenburg einen Tilo-Frey-Platz. Die deutliche Absenz von konkreten Frauenfiguren im öffentlichen Raum spiegeln jedoch die Schweizer Geschichtsvergessenheit in Bezug auf Frauen und ihren Ausschluss aus der politischen und wirtschaftlichen Sphäre.
Wäre es daher nicht begrüssenswert, Frauendenkmäler aufzustellen, die ebenfalls für Erfolg, Innovationskraft und politische Errungenschaften stehen und die wir als Vorbilder erachten können? Zwei Frauen, an die im öffentlichen Raum in der Schweiz erinnert wird, vermitteln jedoch ganz andere Werte. Eine historische Frau, der 2004 ein abstraktes Denkmal gesetzt wurde, soll erneut ein Denkmal bekommen. Die Rede ist von der Äbtissin Katharina von Zimmern, die von 1478 bis 1547 lebte und in Zürich gewirkt hat. Die andere, Dorothea von Flüe, war alleinerziehende Mutter einer Grossfamilie.
Traditionelle Frauenbilder werden geehrt
Geboren im oberschwäbischen Messkirch als viertes Kind einer Adelsfamilie, stand Katharina eine Karriere als Ordensfrau bevor: Zusammen mit ihrer Schwester Anna wies der Vater Hans Werner seine beiden Töchter ins Zürcher Kloster Fraumünster ein. Kaum 18-jährig, wurde Katharina ebenda zur Äbtissin ernannt. Über ihre Tätigkeit als Vorsteherin dieser religiösen Einrichtung ist ausser der erfolgreichen Sanierung des Konvents kaum etwas bekannt. Im Fokus der Geschichtsbücher stehen daher auch nicht ihre Amtshandlungen, sondern ihr freiwilliger Rücktritt in einer heiklen Situation. 1524 übergab Katharina dem reformatorisch gesinnten Zürcher Rat ihre Reichsabtei. Auf diese Weise soll sie nicht nur der zwinglianischen Reformation Vorschub geleistet haben, sondern mit der Übergabe des Klosters in säkulare Hände gar einen Bürgerkrieg verhindert haben: Die wenigen Nonnen zogen, ohne bewaffneten Widerstand zu leisten, aus ihrem Konvent aus.
Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde auf Anregung des Vereins Katharina von Zimmern ein Denkmal für diese historische Persönlichkeit errichtet. Seine feierliche Einweihung liegt inzwischen 18 Jahre zurück. Seither erinnert ein elf Tonnen schwerer, aus 37 Kupferblöcken zusammengesetzter martialischer Quader im Kreuzgang des Fraumünsters an die dazu in Kontrast stehende friedfertige Einstellung Katharinas. Hat sich die Plastikerin Anna-Maria Bauer bei der Formfindung vielleicht vom Bildersturm Zürcher Reformatoren inspirieren lassen? Zwar wissen wir nicht, wie die Äbtissin ausgesehen hat, aber Arme, Beine und einen Kopf wird sie wohl gehabt haben. Dies dachte gewiss auch das Zürcher Stadtparlament, als es im letzten Frühjahr den Vorstoss für ein neues, dieses Mal aber figuratives Denkmal in der Innenstadt mit 112 zu 96 Stimmen guthiess. Was veranlasste das Stadtparlament dazu, einer fast vergessenen Frauenfigur, die dafür geehrt wird, ihren machtpolitischen Einfluss gegen eine einträgliche Rente eingetauscht zu haben, gleich zwei Denkmäler zu widmen?
Dieselbe Frage stellt sich auch für Dorothea von Flüe, geborene Wyss. Das Denkmal für die Ehegattin des Niklaus von Flüe, aka Bruder Klaus, wurde anlässlich des Frauenstreiks 1991 vom Bund katholischer Bäuerinnen gestiftet. Seither erinnert eine Bronzeskulptur beim Sachsler Kirchturm an die aufopferungsvolle Ehefrau, die ihrem Mann, mit dem sie zehn Kinder hatte, den Rücken freihielt. Auf diese Weise konnte Papa Klaus in kontemplativer Abgeschiedenheit und fernab des Tohuwabohus seines Nachwuchses ein seelenruhiges Eremiten-Dasein fristen. Dass von Flüe alleinerziehende Mutter von zehn Kindern war, macht sie zweifelsohne zur Heldin. Aber auch mit ihr wird keiner Frau gedacht, die sich für selbstwirksames Auftreten oder politischen Einfluss einen Namen gemacht hat, sondern einer Mutter und Hausfrau.
Neue Formen von Erinnerungen
Für Historikerinnen und Historiker, welche die Erinnerungskultur im öffentlichen Raum analysieren, stellt sich daher die Frage, was die Absicht signalisiert, einer Mutterfigur zu gedenken, die seit jeher im Schatten ihres 1947 heiliggesprochenen Ehegatten steht. Und welche Absicht steht hinter der Errichtung gleich zweier Denkmäler einer frühneuzeitlichen Klosterfrau? Werden mit dem Gedenken an diese beiden Persönlichkeiten nicht vor allem weibliche Figuren zelebriert, die ein althergebrachtes Frauenbild zementieren, das Tugenden wie Hingebung, Mütterlichkeit, Verzicht und Keuschheit sowie gleichermassen Sittsamkeit und Frömmigkeit verkörpert?
Und was signalisiert ebendieses Gedenken uns allen, die wir heute an diesen Statuen oder massiven Klötzen vorbeigehen? Gäbe es nicht andere Frauen oder andere Formen, um all jener weiblichen Akteure zu gedenken, welche die Schweizer Politik oder Wirtschaft mitgestaltet haben? Wo steht etwa das Denkmal einer Tilo Frey, die 1971 zur ersten schwarzen Nationalrätin gewählt wurde? Und wo das Denkmal der FDP-Frau Lisa Girardin? Sie war die erste Frau im Ständerat und die erste Schweizer Bürgermeisterin. Sie setzte sich für die Mutterschaftsversicherung und Entkriminalisierung von Abtreibung ein. Und weshalb wird nicht einer Emilie Gourd gedacht, die im letzten Jahrhundert für das Frauenstimmrecht in der Schweiz kämpfte und den Satz prägte: «Ohne die Emanzipation der Frauen ist der Begriff der Demokratie nur Heuchelei und Lüge»?
Es wäre wirklich an der Zeit, im öffentlichen Raum an modernere Frauen, die nicht vor mehreren Jahrhunderten gewirkt haben, zu erinnern. Gleichzeitig könnte man vor dem Hintergrund städtischer Verdichtung und des Trends zur Smart City beginnen, über ganz andere, vergänglichere, digitalere und flüchtigere Formen von Erinnerung nachzudenken.