Etwa ein ganzes Lebensjahr investieren wir in unsere Frisur. Die meisten Schweizerinnen und Schweizer bemühen sich täglich um die Pracht auf dem Kopf. Damit stehen wir nicht alleine, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.
Haare sind seit Jahrtausenden mehr als eine Anhäufung verhornter Zellfäden. Schon im alten Ägypten wurde mit Haarnadeln und Kämmen frisiert: Pharaonen kannten Haargel aus Leinsamen und Rosmarin, die oft so sinnlich dargestellte Kleopatra ergänzte ihre Haarpracht mit Wolle, Palmblattfasern und Stroh. Im alten Rom war ein mit Asche erhitzter Stab ein begehrtes Mittel, die eigene Haarpracht – und somit auch das andere Geschlecht – in Wallung zu bringen.
Dichter der europäischen Antike schrieben über die Verführungskraft von offenem, wildem Haar und über das Unglück, welches der sexuellen Verführung durch die Frau folgte. Dies verkörpert etwa durch die Medusa mit Schlangenhaaren, die versteinern lässt, wer sie anblickt.
Die Macht der Haare erkannte man schon damals. Somit auch die Macht über Haare. Und das hatte oft mit dem Geschlecht zu tun. Im Norden Europas schnitt man betrügerischen Ehefrauen die Haare ab – und damit ihr verführerisches Potenzial? Das offene, lange und starke Haar von Männern hingegen war «Kult» und wurde mit Attributen wie Führungsstärke und Macht versehen.
Bedeckte, rollende und romantische Köpfe
Im europäischen Mittelalter kam eine Frau entweder «unter die Haube» oder sie «nahm den Schleier» und trat in eine Ordensgemeinschaft ein. Im 16. Jahrhundert entbrannten um die Schleier hitzige Debatten, wie die Historikerin Susanna Burghartz beschreibt: Der Humanist und Erzieher Juan Luis Vives forderte ein radikales Verbot der Verschleierung. Denn die neue Mode der «Tapado» (Vollverschleierung) erlaube es, «frivolen Frauen, ungehindert und ungesehen Männer zu beobachten».
Was es zu beobachten gab? Im besten Fall eine dichte Haarpracht. Wer dies nicht hatte, griff vor allem ab dem 17. Jahrhundert zur Perücke, denn Haare signalisierten Status und Wohlstand. Ein gefährlicher «Flirtkniff»: Die grosse Masse strebte nach aufklärerischen Idealen und politischer Gleichheit. So wurde denjenigen, die der Mode ausgiebig frönten, bald die Perücke abgenommen und das Haar abgeschnitten, damit das Beil den Nacken nicht verfehlte.
Im Europa des ausgehenden 18. bis weit ins 19. Jahrhundert mutete das Haar wieder romantischer an. Die Mode wurde leichter und orientierte sich an der Antike. Ein Beispiel dafür ist die «Titusfrisur», eine wilde und lockige Art, kurzes Haar zu tragen. Probleme hatte, wer nicht genügend oder zu dünnes Haar besass. Mediziner verkündeten Anfang des 19. Jahrhunderts, dass dies «von einem Mangel an erotischer Flüssigkeit im Körper [zeuge]. Der Körper sei aufgrund von unfreiwilligem Erguss, Geschlechtskrankheiten oder Masturbation verkümmert». Ein Glück, liessen sich diese Annahmen in der Zwischenzeit widerlegen.
Die wohl berühmtesten Haare des 19. Jahrhunderts trug Elisabeth von Österreich, besser bekannt als Sisi. Von Leichtigkeit hielt die Kaiserin allerdings wenig: Sie (korrekter: ihr Personal) investierte Stunden in ihre langen Haare, die auf offiziellen Bildern chic frisiert und dekoriert festgehalten sind. Lediglich ein intimes Porträt von Sisi, nur für die Augen des Kaisers bestimmt, zeigt die Mähne in voller, offener Pracht.
Mehr Pflege, weniger Sittsamkeit
Mit der Industrialisierung drehte sich die Uhr plötzlich schneller. Auch das Haar drehte sich, nämlich um die neuen Lockenwickler. Dazu wurde geschnitten, gefärbt und vermehrt gewaschen. Der Chemiker Hans Schwarzkopf verkaufte ab 1903 erstmals ein Shampoo in Pulverform, flüssig waren Shampoos ab 1927 zu beziehen. Der wachsende Wohlstand gewährte nun mehr Menschen, der Körperpflege und Sauberkeit nachzugehen, und das Angebot an Produkten wuchs dementsprechend.
Die Flapper-Girls der 1920er-Jahre sorgten nicht nur mit kurzen Röcken oder dem Genuss von Jazz, Alkohol und Zigaretten für Furore, sondern auch mit einer Kurzhaarfrisur: Manche trugen stolz den Bubikopf als Kontrast zur gewohnten, gesitteten Frauenfrisur – und als Zeichen der Emanzipation.
Aber auch bekannte Motive erlebten im 20. Jahrhundert ein Revival. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Verbindung von Sexualität, Weiblichkeit und Haaren auf erschreckende Weise wieder aufgegriffen: In Frankreich wurden Kollaborateurinnen und jene, die mit dem Feind geschlafen hatten, kahl geschoren.
Natürlich, wallend – und provokativ
Die 1950er-Jahre brachten neuen Aufschwung. Und der wurde haltbar gemacht, denn ab 1955 gab es das Haarspray aus der Dose. Auch die Farbe durfte nun auffallend anders sein. Wasserstoffperoxid wurde im grossen Stil auf Köpfen eingesetzt. Filmdiven wie Marilyn Monroe förderten den Trend: Mit ihrem blonden Haar wurde sie zur Ikone der Leidenschaft.
Aufwendig frisierte Haare sollten spätestens ab Ende der 1960er-Jahre erbitterte Widersacher finden. Die «Langhaarigen» kontrastierten die perfekt frisierten (Haus-)Frauen und die Herren mit geschniegeltem Kurzhaarschnitt und empörten vor allem die bürgerliche Welt. Kaum eine Frisur dürfte mehr für Protest, aber auch ausgelebte Sexualität stehen als die langen Hippie-Haare. An anderen Orten sorgten die Punks der 1970er- und 80er-Jahre für Aufsehen und lieferten von wilden Farben bis zum Irokesen-Schnitt wohl die abwechslungsreichsten Haarvariationen. Auch der Rock diente als musikalisches und modisches Vorbild. Der verführerische Effekt des Haares von Jon Bon Jovi beispielsweise war durchaus bekannt.
Während die 1980er-Jahre verlangten, dass das Haar wuchs, standen die 1990er-Jahre für regelmässige Coiffeurbesuche und immer neue Schnitte. Die Jahrtausendwende war geprägt von Vielfalt – vom rassigen Kurzhaarschnitt über blonde Strähnchen hin zu ausgefallenen Haarclips.
Und wie siehts heute aus? Gar nicht so anders:
Der bärtige Mann
Schaut man sich auf Instagram und in der Öffentlichkeit um, sieht es ziemlich schlicht aus: Eine Vielzahl junger Frauen trägt ihr Haar stufenlos lang, der junge Mann trägt Bart, pflegt ihn in einem der zahllosen Barbershops, und oftmals langes Haar. Ein Spiel der Mode oder – wie sich die Künstlerin Anka Schmid fragt – Anlehnung an die klassischen Bilder von Holzfäller und Prinzessin?
Ministoppeln auf Frauenköpfen
Glatzen oder Ministoppeln verbreiten sich, wenn auch zurückhaltend. Nicht als politischer oder religiöser Ausdruck, sondern belegt mit Sinnlichkeit und Sex-Appeal, denn, wie die Künstlerin Anka Schmid festhält: «So ein Schädel verführt zur Berührung.»
Back to the roots: Vokuhila
Vergangene Moden lassen sich immer wieder spielerisch aufs Neue umsetzen – so wie der lange Zeit verpönte Vokuhila oder der Bubikopf. So oder so, einschlägige Internetrecherchen zur Verführungskraft der Haare zeigen, dass diese noch lange nicht Geschichte ist.
Katharina Bursztyn doktoriert in einem Projekt des Schweizerischen Nationalfonds an der Universität Luzern zu Werbung für Hautreinigungsprodukte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Loredana Bevilacqua ist Assistentin für Neuste Geschichte am Historischen Seminar der Universität Luzern. Sie doktoriert zur Kulturgeschichte des Computers in der Schweiz.
Katharina Bursztyn doktoriert in einem Projekt des Schweizerischen Nationalfonds an der Universität Luzern zu Werbung für Hautreinigungsprodukte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Loredana Bevilacqua ist Assistentin für Neuste Geschichte am Historischen Seminar der Universität Luzern. Sie doktoriert zur Kulturgeschichte des Computers in der Schweiz.