Holocaust-Überlebender Claude Hirsch (91)
Die Schweiz wollte ihn und seine Mutter nicht retten

Claude Hirsch verlor seine Mutter und seinen Vater in Auschwitz. Er selbst überlebte als 13-Jähriger. Nun kehrt Hirsch nach Basel zurück, wo ein Stolperstein ans Schicksal seiner Mutter erinnert.
Publiziert: 23.08.2022 um 18:08 Uhr
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Der Holocaust-Überlebende Claude Hirsch (91) reiste von Paris nach Basel, um der Stolpersteinlegung für seine Mutter Edmée Hirsch-Ditisheim beizuwohnen.
Foto: STEFAN BOHRER
Benno Tuchschmid

Claude Hirsch (91) hat eine weisse Rose in der Hand. Er steht vor einem Wohnblock am Spalenring 140 in Basel, seiner zweiten Heimat. Hier lebte seine Grossmutter, hier wuchs seine Mutter auf, hier war er oft zu Besuch.

Claude Hirsch legt die weisse Rose neben einen in den Boden eingelassenen, mit Messing beschlagenen, Pflasterstein. Darauf steht eingraviert: «Hier wohnte Edmée Hirsch-Ditisheim. Das Bürgerrecht aberkannt wegen Heirat. Verhaftet 1944. Ermordet August 1944 Auschwitz».

Nur Claude Hirsch überlebte

Edmée war Claude Hirschs Mutter, eine gebürtige Schweizerin, die ihr Bürgerrecht wegen ihrer Heirat mit dem Franzosen Armand Hirsch verlor. Auch sein Vater Armand starb in Auschwitz. Claude überlebte ein Jahr im KZ – weil seine Mutter den damals 13-Jährigen als 14-Jährigen ausgab – und er so Zwangsarbeit leisten musste.

Das Haus am Spalenring 140 hätte Familie Hirsch Rettung sein können. Doch die Basler Behörden schikanierten die Hirschs, wie die Aufarbeitung des Falls Hirsch durch die Basler Historikerin Sophie Küsterling aufzeigt:

Als Edmées Vater 1941 stirbt, darf sie nur ohne Mann und Sohn einreisen – und muss sich zur sofortigen Wiederausreise verpflichten.

1942 will Edmée mit Sohn Claude erneut ihre Grossmutter besuchen. Die Fremdenpolizei sträubt sich, weil «die Festsetzungsabsicht offensichtlich» sei. Schliesslich erlauben die Behörden Edmée und Claude einen einmonatigen Aufenthalt, danach müssen sie wieder nach Frankreich, wo die Judenverfolgung durch die Nazis in vollem Gange ist.

Es ist das letzte Mal, dass Edmée ihre Heimat besucht. Ihre Mutter wird sich gemäss Claude Hirsch ein Leben lang Vorwürfe machen, ihre Tochter und ihren Enkel nicht zum Bleiben bewogen zu haben.

Als die Familie Hirsch 1944 merkt, dass ihre Verhaftung in Frankreich kurz bevorsteht, stellen sie mit der Hilfe eines Basler Anwalts erneut ein Einreisegesuch. Als die Schweizer Behörden die Einreise schliesslich bewilligen, ist es bereits zu spät. Claude und Edmée werden in Noirétable, ca. 100 Kilometer westlich von Lyon, festgenommen. Als Vater Armand davon erfährt, stellt er sich freiwillig. Das KZ überlebt nur Claude.

Kein Groll und kein Hass

«Ich bin dankbar für die 13 schönen Jahre, die ich mit meiner Mutter und meinem Vater verbringen durfte», sagt Claude Hirsch. Das sei typisch für ihn, sagen seine beiden Söhne, die ihn aus Paris nach Basel begleiteten. Trotz seines Schicksals hege er keinerlei Groll oder gar Hass.

Der Stolperstein für Edmée Hirsch ist einer von neun Stolpersteinen in Basel, die in der Schweiz an Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Fünf davon wurden gestern verlegt. Stolpersteine gibt es auch in Zürich und im Kanton Thurgau. Seit 2020 Jahren bemüht sich der Verein Stolpersteine Schweiz darum, an Opfer des Nationalsozialismus in der Schweiz zu erinnern. Erst seit kurzem ist das Schicksal von Schweizer Nazi-Opfern einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Mindestens 742 Menschen, die in der Schweiz zur Welt kamen oder das Schweizer Bürgerrecht besassen, wurden von den Nationalsozialisten in KZ deportiert.

In vielen Fällen verhielten sich die Schweizer Behörden ähnlich wie die Basler Fremdenpolizei gegenüber der Familie Hirsch.

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