Besuch in der Forschungsanstalt IBM
Hier entsteht die Zukunft

In Rüschlikon ZH könnte wirklich Gold sein, was glänzt. Ein Besuch bei brillanten jungen Wissenschaftlern, die an technologischen Lösungen für unzählige unserer Probleme arbeiten.
Publiziert: 22.05.2022 um 17:14 Uhr
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Aktualisiert: 13.01.2023 um 14:43 Uhr
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Alessandro Curioni, Direktor des IBM-Forschungslabors in Rüschlikon, erwartet grosse wissenschaftliche Durchbrüche.
Foto: Thomas Meier
Silvia Tschui

Manchmal gibt es in der ganzen Klimawandel/Krieg/Postpandemie/Lieferengpass-Suppe, in der wir uns seit mehr als zwei Jahren befinden, Hoffnung. Hoffnung darauf, dass es die Menschheit dank Innovationskraft eben doch schaffen könnte, die mannigfaltigen Probleme zu lösen, die wir uns selbst eingebrockt haben. Und in der Schweiz sind wir in einer Spitzenposition, gilt die Schweiz doch als eines der innovationsstärksten Länder. Diverse staatliche Institutionen sind hierfür bekannt, die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) oder die Kunsthochschule Lausanne (ECAL) etwa oder die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt (Empa).

Aber nicht nur bei Bundesstellen, auch in der Wirtschaft gibt es solche Leuchttürme – einer davon befindet sich in Rüschlikon ZH, inmitten idyllischer Hügel, hinter hohen und vielfältig gesicherten Zäunen. Dort betreibt das internationale Unternehmen IBM eine von insgesamt zwölf über den Globus verteilten Forschungsanstalten. Diese Forschungslaboratorien arbeiten nicht nur mit den oben genannten Schweizer Top-Institutionen zusammen, sondern auch mit ihren internationalen Äquivalenten wie Harvard oder dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) und weltweit rund 900 Partnern aus Forschung und Industrie. Und so finden sich aus der ganzen Welt brillante junge Wissenschaftler in Rüschlikon ein, um an technologischen Lösungen für unzählige unserer Probleme zu arbeiten. Sie stammen aus den USA, aus der Schweiz, aus Italien, aus China, aus der Ukraine. Die Forschungsverträge der ukrainischen Forscher hat die IBM sofort nach Kriegsbeginn verlängert, damit sie in der Schweiz bleiben können.

Die IBM will ihr Wissen teilen

Die Hochsicherheitszäune haben gleich mehrere Funktionen: Die IBM muss sich zum einen vor Terrorismus schützen. «Je schneller technischer Fortschritt vonstattengeht, desto grösser wird auch der Widerstand seitens uninformierter Kreise», sagt Labordirektor Alessandro Curioni. Zum anderen schützen die Zäune die IBM aber auch vor Spionage: Vieles, was hier erforscht wird, ist streng geheim. Vieles, aber nicht alles – uns öffnet die IBM ihre Türen, da die Techfirma die Öffentlichkeit über ein paar der zukunftsweisenden Dinge informieren will.

Aus folgendem Grund: «Die Menschheit hat aktuell unzählige Probleme – je mehr Menschen an Lösungen forschen, desto besser», sagt Curioni. Und fügt an: «Wir stehen vor einer Explosion wissenschaftlicher Errungenschaften in den nächsten fünf Jahren» – und die IBM möchte mit möglichst vielen Forschern zusammenarbeiten, um diese Explosion noch zu beschleunigen. Die erwarteten wissenschaftlichen Durchbrüche seien fast zu zahlreich, um sie konkret aufzuzählen, sagt Curioni und versucht es aber trotzdem: «Neuartige Materialien, die Energie besser speichern, neue Medikamente, unter anderem gegen Antibiotikaresistenzen, neue Chemikalien, aber auch selbstgesteuertes Lernen von Maschinen, energiearme Verfahren, um Dünger herzustellen, gezielte Krebstherapien …»

Künstliche Intelligenzen plus Quantencomputing gleich Wissensexplosion

Dass er mit Aufzählen kaum nachkommt, hat einen Grund: Zwei Forschungsfelder sollen, miteinander kombiniert und verschränkt, die Prozesse, wie es zu wissenschaftlichen Erkenntnissen kommt, rasend beschleunigen: zum einen sind dies neue Arten von künstlicher Intelligenz (KI), zum anderen ist dies die Weiterentwicklung eines in Rüschlikon bereits rudimentär funktionierenden Quantencomputers. Kurz gesagt sollen Quantencomputer sehr viel komplexere Probleme sehr viel schneller lösen können, als dies heute gängige Computer tun können. Kombiniert mit komplexen selbstlernenden Algorithmen befeuern und verschränken sich die beiden Technologien sozusagen gegenseitig.

Ein Bruchteil dessen, was bereits möglich ist, zeigt sich, wenn sich die Tore zu den Labors öffnen. Dort arbeitet unter vielen anderen etwa Alain Vaucher (31). Der Westschweizer hat an der ETH in theoretischer Chemie und Computerwissenschaft doktoriert und hat in den letzten drei Jahren an der IBM in Rüschlikon eine Art Chemie-Roboter samt zugehörigem Algorithmus entwickelt. Der Algorithmus berechnet zunächst von einem erwünschten Molekül zurückgehend, wie sich dieses möglichst einfach in einem Labor herstellen lässt, welche Reaktionsschritte es dafür braucht und welche Grundingredienzien für das besagte Molekül vonnöten sind.

Eine Küche ohne Köche

Zur Veranschaulichung ein Beispiel aus der Gastronomie, wobei ein erwünschtes Gericht für ein erwünschtes Molekül steht: Man zeigt dem Algorithmus ein Bild eines Gerichts – sagen wir Schmorbraten mit Kartoffelgratin – und der Algorithmus rechnet von diesem Gericht aus zurück und spuckt den Rezeptablauf Schritt für Schritt inklusive optimaler Kochtemperaturen sowie idealer Grundmengen sowie der benötigten Grundsubstanzen aus. Der mit diversen Grundsubstanzen bestückte Chemieroboter kann die vom Algorithmus berechneten Schritte gleich ausführen und das erwünschte Molekül auch herstellen. Nochmals mit Kochen verglichen: Stellen Sie sich ein Spitzen-Restaurant vor, in dem sämtliche Grundsubstanzen für diverse Menüs vorhanden sind. Zeigt man nun dem Algorithmus ein Bild eines Gerichts, rechnet er nicht nur die einzelnen Zubereitungsschritte zurück, sondern stellt das Gericht in einem mit ihm gekoppelten Küchenroboter in der gewünschten Menge her. Köche und Tellerwäscher gibts in dieser Küche nicht mehr.

Für Laboratorien und für Chemiker stellt dies eine doppelte Erleichterung dar: Es entfallen sowohl lange Rechenabläufe wie auch manuelle Arbeit zur Herstellung der gewünschten Moleküle. Mögliche industrielle Anwendungen, sagt Vaucher, seien die Herstellung von neuen Medikamenten oder Düngemitteln – «aber wir konzentrieren uns hier auf die Grundlagenentwicklung». Seine nächsten Pläne: den Chemieroboter optimieren und ihn für eine industrielle Produktion vergrössern – Skalieren nennt sich dies in der Fachsprache. Medikamente könnten in der Zukunft, wenn sie so entwickelt und produziert werden, um ein Vielfaches günstiger sein.

Finden ohne zu suchen – dank KI

In eine ähnliche Richtung, aber noch einen Schritt weiter geht der Algorithmus, den der nächste junge Forscher vorstellt: Matteo Manica (33) aus Mailand (I) hat an der ETH in Bioinformatik doktoriert. Er entwickelt einen Algorithmus, der sich nahtlos mit Vauchers Forschung kombinieren lässt: und zwar einen, der aufgrund erwünschter, programmierbarer Eigenschaften selbständig Moleküle mit den besagten Eigenschaften sucht.

Erneut bietet sich der Vergleich mit der Gastronomie an: In oben genanntem Beispiel müsste man diesem Algorithmus noch nicht einmal ein Bild des gewünschten Gerichts zeigen. Eine Beschreibung der erwünschten Eigenschaften, etwa Geschmacksrichtung, Nährwert, enthaltene Vitaminarten und Spurenelemente, würde reichen – und der Algorithmus erstellt selbständig Varianten von möglichen Gerichten mit diesen Eigenschaften. Ausserdem prüft er diese gleich auch auf Effizienz der Herstellungsschritte. Auch diese Forschung kann, in der Industrie angewendet, die Entwicklung von neuen Medikamenten, aber auch sonstigen Materialien, etwa zur Energiespeicherung, rasant beschleunigen.

Warner haben Bedenken, die IBM hat hierzu eigens ein Ethik-Labor

Es gibt auch Warner: So etwa das Labor Spiez in der Schweiz, das vom Bund den Auftrag hat, die Schweizer Bevölkerung vor atomaren, biologischen und chemischen Gefahren zu schützen. Forscher des Labors haben etwa das US-Pharmaunternehmen Collaborations Pharmaceuticals anlässlich einer Konferenz auf die Gefahren der Entwicklung von Medikamenten via künstlicher Intelligenz hingewiesen – worauf das Forschungsteam ein Experiment durchgeführt hat.

Ihr Algorithmus entwickelt in der Regel Moleküle mit der Bedingung, dass diese für Menschen ungiftig sein müssen. Eine einfache Umprogrammierung mit der Aufgabe, möglichst giftige Substanzen zu «erfinden», habe schliesslich in kürzester Zeit zu erschreckenden Resultaten geführt: Innert nur sechs Stunden hat die KI 40'000 (!) neue Stoffe entwickelt – darunter bereits bekannte, wie etwa das Nervengift VX, einen der gefährlichsten chemischen Kampfstoffe überhaupt, aber auch diverse andere bislang gänzlich unbekannte Stoffe.

Die automatisierte Entwicklung biochemischer Kampfstoffe ist heute also bereits machbar. Und niemand weiss, wie viele Unternehmen schon das Wissen haben, solche Stoffe zu entwickeln.

Man sei sich aber dessen bewusst und reagiere auf diese Tatsache. «Für andere Forscher so offen wie möglich, aber gleichzeitig so sicher wie möglich», beschreibt Matteo Manica den Grundsatz, nachdem die IBM ihre Forschungsergebnisse anderen zur Verfügung stellt – zudem prüft das betriebseigene Ethikgremium laufend in Zusammenarbeit mit der EU die Forschung zu KI auf ethische Grundsätze. «Wir haben uns etwa ganz aus der Gesichtserkennung zurückgezogen, als bekannt wurde, dass diese nicht-weisse Menschen und Frauen benachteiligt», sagt Curioni.

Das goldene Herzstück der IBM-Forschung funktioniert bereits

Einige Räume weiter glänzt dann das goldene Herzstück der IBM-Forschung: der Quantencomputer. Golden deshalb, weil seine Bauteile aus Kupfer mit Gold beschichtet sind – das schützt das Kupfer vor Oxidierung und erleichtert wegen der exzellenten Leitfähigkeit dieser Metalle das Kühlen auf –273,15 Grad Celsius. Auf Quantencomputern sollen gewisse komplexe Berechnungen, die selbst auf den besten herkömmlichen Computersystemen viele Jahre dauern können, dereinst sehr viel schneller möglich sein. «Beispiele dafür finden sich bei Berechnungen von komplexen chemischen Reaktionen oder im Bereich der künstlichen Intelligenz», sagt Andreas Fuhrer. Der ETH-Physiker entwickelt seit mehr als zehn Jahren für die IBM Lösungen und Ansätze für Quantencomputing.

Er erklärt auch weshalb: «Heute gängige Computer speichern ihre Informationen in sogenannten Bits. Das sind kleinste Informationseinheiten, die Informationen entweder als Null oder Eins abspeichern – ähnlich einem Lichtschalter, der nur entweder «ein-» oder «ausgeschaltet» sein kann. Quantencomputer funktionieren hingegen mit sogenannten Qubits, und diese können nicht nur Null und Eins, sondern gleichzeitig diverse Zwischenstufen zwischen Nullen und Einsen speichern.» Sie können so mehrere komplexe Rechenvorgänge gleichzeitig durchführen und liefern je nach Komplexität der Berechnung aber auch kein eindeutiges Resultat, sondern eine Wahrscheinlichkeitsverteilung der möglichen Resultate. Das aktuelle Problem: Je mehr dieser Qubits in einem Computer miteinander verbunden werden, umso grösser wird auch die Fehleranfälligkeit der Berechnung und die Unsicherheit des Resultats. Oder salopp gesagt: Je mächtiger der Quantencomputer, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass sich in seine Berechnungen Fehler einschleichen – es müssen deshalb im Rechenprozess Schritte eingebaut werden, um diese Fehler zu korrigieren.

Quantenprozessoren der IBM haben aktuell bereits 127 Qubits und können über die Cloud von Forschern auf der ganzen Welt für einfache Berechnungen benutzt werden. Bereits in drei Jahren, so der IBM-Fahrplan, soll diese Anzahl auf über 4000 steigen – auch weil letztes Jahr erste Lösungsansätze zur weiteren Fehlerkorrektur gefunden wurden. «Wir erwarten, diese Probleme innert der nächsten Jahre ganz gelöst zu haben», sagt Fuhrer. Für die Zukunft bedeutet dies wohl tatsächlich die bereits von Institutsdirektor Curioni beschworene Explosion an Wissen.


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