Mickey Mouse, Donald Duck und Goofy, das Marsupilami, Spirou und Fantasio oder die unzähligen «-man», von «Bat-» bis «Super-» bis «Spider-Man» – sie alle haben Generationen geprägt und auch in Milliardenhöhe Filmadaptionen, Animationsserien, Computerspiele und Merchandiseartikel verkauft. Zu verdanken ist der Erfolg des Genres unter anderem einem hierzulande unbekannten New Yorker: der Storytelling- und Zeichnergrösse Will Eisner (1917–2005). Er war seiner Zeit weit voraus. Deshalb ist auch der begehrteste Preis für Comiczeichner nach ihm benannt: Der jährlich an der Comic-Con in San Diego (USA) vergebene «Eisner Award» gilt als Oscar der Comicbuchbranche.
Mit gutem Grund: Schräge Perspektiven, überraschende Wendungen, filmreife Bildabfolgen, komplexe Erzählungen und überraschende Perspektiven – was auch heutzutage noch als Goldstandard für Comicbücher gilt, hat Eisner bereits 1940 geschaffen.
Ein Ausnahmetalent zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Ab Mitte der Dreissigerjahre erfreuen sich insbesondere in den USA Comicstrips in Zeitungen immer grösserer Beliebtheit. Und, entgegen der Wünsche seiner Mutter, ist der junge Eisner mittendrin. Seine Mutter ist Immigrantin, die in Brooklyn in bitterster Armut lebt und aus Rumänien stammt und zeitlebens Analphabetin bleibt. Der Vater flüchtete als Jude 1914 aus dem damaligen Österreich-Ungarn – sie möchte, dass ihr Sohn «etwas Rechtes» lernt. Aber Eisner zeichnet von frühester Jugend an, und ist als junger Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Eisner kann jeglichen gewünschten Stil, jedes Genre und das erst noch rasend schnell. Als 1938 das erste ganze Superman-Comicheft erscheint, geraten die Comicstrips der Zeitungen unter Druck. Und so fragt ihn 1940 ein Verleger an, statt eines normalen Zeitungscomicstrips, gleich eine ganze Beilage zu konzipieren. Ein Superheld à la «-man» müsste es sein.
Seiner Zeit um Jahrzehnte voraus
Einziges Problem: Superhelden interessieren Eisner nicht. Er will grosse Geschichten erzählen, die gleichberechtigt neben Literatur stehen. Als Notlösung erfindet er den «Spirit», einen maskierten Privatdetektiv, der gegen Kriminalität kämpft – und lässt ihn aber oft Nebenfigur bleiben, um das zu erzählen, was ihn wirklich interessiert: Geschichten über Kleinkriminalität, das Leben in New Yorker Mietshäusern, die Träume und Hoffnungen ganz gewöhnlicher Menschen. Und das alles aus ungewöhnlichen Perspektiven, die neue Massstäbe setzen: Eisner lässt eine Spielzeugpistole davon träumen, echt zu sein oder erzählt eine ganze Geschichte durch die Wimpern eines Killers. 625 Folgen schreibt und zeichnet er – trotz Kriegsunterbruch – bis ins Jahr 1952, dann ist fürs Erste Schluss. Das Publikum ist noch nicht so weit wie er: Buchhandlungen sind mit seinen Graphic Novels überfordert und wissen nicht, wie sie sie platzieren sollen, Comicläden, die Heftli verkaufen, ebenso. Enttäuscht über den bescheidenen finanziellen Erfolg verlegt sich Eisner auf Gebrauchsgrafik, etwa für Pädagogik oder Mechanik.
Erst mit rund 60 Jahren merkt er, dass er nie vergessen wurde: Längst sammelten Comic-Begeisterte seine Graphic Novels auf Flohmärkten zusammen. Eine Einladung an die erste Comic-Con 1971 in San Diego führt ihm vor Augen, dass er als mythische Figur verehrt wird, und ein Treffen mit dem Verleger Denis Kitchen leitet Eisners zweite Schaffensphase ein. Kitchen legt die «Spirit»-Folgen neu auf – und Eisner, nun finanziell stabil, besinnt sich darauf, was er wirklich will: Geschichten erzählen. In der zweiten grossen Schaffensphase zeichnet er in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens jedes Jahr eine grosse Graphic Novel, unterrichtet bis ins hohe Alter – und setzt weiterhin Massstäbe.
Ausstellung Cartoonmuseum Basel, 11. März bis 18. Juni 2023