Von Krokodil bis Krokus
Sie brachten Rock in die Schweiz

Der Schweizer Musikjournalist Stefan Künzli machte sich für sein Buch «Schweizer Rock Pioniere» auf eine Spurensuche in die rebellischen Gründerjahre. Für uns hat er die besten Fotos aus dem Sachbuch kommentiert.
Publiziert: 23.10.2021 um 20:21 Uhr
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Die Erfinder des «Bärner Rock» Span auf dem Bauernhof im Weiler Hämlismatt, auf dem sie gemeinsam lebten.
Foto: Archiv Georges «Schöre» Müller
Aufgezeichnet: Jonas Dreyfus

Krokodil, 1969
«Das Foto zeigt Krokodil, die erste Schweizer Rockband, die über die Landesgrenze bekannt wurde. Sie trat während ihres Bestehens von 1969 bis 1974 mit Bands wie Pink Floyd auf. Ihre Mitglieder, darunter die Zürcher Düde Dürst, Walty Anselmo und Hardy Hepp, spielten ausgefallene Instrumente wie Flöte, Sitar und Violine. Die amerikanische Plattenfirma, bei der Krokodil mit Künstlern wie Ike und Tina Turner unter Vertrag stand, hiess Liberty Records. Das Cover der ersten Platte zeigte die Freiheitsstatue in Form eines Krokodils, das eine Haschpfeife in der Hand hielt. Das führte dazu, dass sie in den USA nie erschien.»

Krokus, 1980
«Tommy Kiefer, Chris von Rohr und Marc Storace, die auf diesem Bild von links nach rechts zu sehen sind, stehen für diejenige Formation, die Krokus ab 1980 zu dem machte, was sie bis heute ist: die mit Abstand erfolgreichste Schweizer Rockband mit Hits wie «Bedside Radio» und mehr als 1,5 Millionen verkauften Alben. Die meisten Rockbands von damals spielten die Musik, die ihren Mitgliedern selbst gefiel – meistens sogenannten Progressive Rock, der relativ verkopft war. Man nahm kaum Rücksicht auf den Geschmack des Publikums. Mit Krokus änderte sich das. Die Mitglieder der Band waren auch die Ersten, die vom Musikmachen wirklich leben konnten.»

Patrick Moraz, 2017
«Patrick Moraz ist der erste und einzige Schweizer Musiker, der es an die absolute Spitze der internationalen Pop- und Rockszene schaffte. 1974 stieg der unglaublich virtuose Keyboarder aus der Westschweiz bei Yes ein, damals eine der erfolgreichsten britischen Bands weltweit. Als man ihn rausschmiss, prozessierte er. Es war nicht das einzige Mal, dass Moraz sich juristisch wehrte. Mitschnitte des Prozesses gegen die Band The Moody Blues, bei der er dreizehn Jahre lang war, gibts sogar auf Youtube zu sehen. Moraz ist heute 73 und wohnt in Florida. Auf dem Bild steht er dort am Strand.»

Polo Hofer, 1976
«Polo Hofer war auch ein blendender Entertainer – das Foto zeigt ihn als Sänger von Rumpelstilz. Mundart war lange Zeit verpönt in Rockkreisen – Polo hat ihn salonfähig gemacht. Die Idee, in Berndeutsch zu singen, kam ihm im Gefängnis, wo er wegen Dienstverweigerung einsass. Das hat er zu Lebzeiten immer wieder erzählt. Am 23. Oktober 1971, also ziemlich genau vor 50 Jahren, gaben Rumpelstilz ihr erstes Konzert in Thun. Die Band hatte auch Erfolg in Deutschland mit einer hochdeutschen Version ihres Hits ‹Kiosk›.»

Hardy Hepp, 2020
«Für mein Buch besuchte ich Hardy Hepp an seinem Wohnort in Wallenwil TG, wo auch das Foto entstand. Er ist ein Original und hat sechs Stunden am Stück ohne Unterbruch von damals erzählt. Er war eine Leitfigur der Zeit, war Musiker und hat als erster DJ der Stadt Zürich und als Schallplattenverkäufer in den 60er-Jahren einen Sound in die Schweiz gebracht, den man hier noch nicht kannte. Zum Beispiel den von Bob Dylan oder den Rolling Stones. Zudem war er eine Art Obmann der Kommune ‹Haus zum Raben›, wo sich die ganze Kreativszene dieser Zeit versammelte. Später war Hepp bei Krokodil mit dabei und versuchte sich sogar mal kurz als Schlagersänger.»

Les Sauterelles, 1969
«Die Sauterelles mit Toni Vescoli in der Mitte waren in den 60er-Jahren die erfolgreichste Schweizer Beatband. Sie brachte mit ‹Heavenly Club› 1968 den ersten Schweizer Song heraus, der es auf Platz 1 der heimischen Charts schaffte. Beatmusik war der Vorläufer von Rock und orientierte sich stark an den Beatles. Die Bands spielten die Songs ihrer Vorbilder nach. Darunter auch die Kinks oder die Stones. Es ging darum, möglichst so zu klingen wie die Idole. Das war dann auch der Hauptunterschied zum Rock, dessen Anhänger eigene Songs schrieben, eigene Musik machten. Auf dem Foto sind die Bandmitglieder und Schwestern Fioretta und Bernadette Wälle zu sehen. Frauen waren in den Pionierzeiten des Rocks in der Schweiz Randfiguren. Das war ein reiner Männerclub.»

Span, 1975
«Die Band Span, zuvor Grünspan, posiert hier mit einer Cannabis-Pflanze vor dem Bauernhof im Berner Weiler Hämlismatt. Es ist mein Lieblingsfoto aus meinem Buch, weil es die Hippie-Seligkeit dieser Kommune ausstrahlt. Die Gruppe um Schöre Müller nimmt für sich in Anspruch, die erste Berner Mundart-Rockband gewesen zu sein. Ihre Mitglieder stammen aus der Stadt und nicht aus dem Oberland wie Polo Hofer und die Mitglieder von Rumpelstilz. Mit Hofer spielten die Musiker von Span danach auch unter dem Namen Polos Schmetterding. Zu den bekanntesten Songs von Span gehören ‹Bärner Rock› und ‹Louenesee›. Die Band besteht bis heute. Aber sie wohnt nicht mehr auf dem Bauernhof.»

Von Rock zum Jazz und zurück

Stefan Künzli hörte in seiner Jugendzeit zunächst Rock, wechselte dann aber zu Jazz und Blues. Sein Interesse für Musikgeschichte, die Zusammenhänge und Entwicklungen wurden an der Universität Bern geweckt, wo er Geschichte und Musikethnologie studierte. Heute ist der 59-jährige Aargauer Ressortleiter Kultur und Musikredaktor bei CH Media. Privat spielt er Saxofon in verschiedensten Rock- und Bluesbands. Sein Buch «Schweizer Rock Pioniere: Eine Spurensuche in den rebellischen Gründerjahren» ist beim Verlag Zytglogge erschienen.

Sandra Ardizzone

Stefan Künzli hörte in seiner Jugendzeit zunächst Rock, wechselte dann aber zu Jazz und Blues. Sein Interesse für Musikgeschichte, die Zusammenhänge und Entwicklungen wurden an der Universität Bern geweckt, wo er Geschichte und Musikethnologie studierte. Heute ist der 59-jährige Aargauer Ressortleiter Kultur und Musikredaktor bei CH Media. Privat spielt er Saxofon in verschiedensten Rock- und Bluesbands. Sein Buch «Schweizer Rock Pioniere: Eine Spurensuche in den rebellischen Gründerjahren» ist beim Verlag Zytglogge erschienen.

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