Einfach ein Netter sei er – der Urs. «Wenn etwas kaputt ist, kommt er vorbei und schaut.» «Ein guter Hauswart. Man kann auch mal einen Schwatz halten mit ihm.» Wenn die Bewohner der Siedlung Neudorf in St. Gallen sagen, was sie an Urs Frei (61) schätzen, sprühen sie nicht gerade vor Kreativität. Es liegt nicht daran, dass sie ihn nicht mögen. Im Gegenteil. Sie haben einfach noch nie darüber nachgedacht, warum.
35 Jahre macht der gelernte Maurer diesen Job bereits. Sein Schwiegervater war Hauswart und vermittelte ihm ein Vorstellungsgespräch bei der Max Pfister Baubüro AG. Der Patron des Familienunternehmens liess in der Nachkriegszeit in St. Gallen und Umgebung zahlreiche Liegenschaften mit Wohnungen für Arbeiterfamilien bauen. Viele der 196 Mieter, die heute in der Siedlung Neudorf im gleichnamigen St. Galler Quartier zu Hause sind, kannte Frei schon, als sie jung waren und mit ihren Kindern hier lebten. Für sie gehört Frei zum Haus mit dazu. Wie die Treppen, die er wöchentlich reinigt.
Wie alle Berufe, zu denen es gehört, den Schmutz anderer Leute zu beseitigen, hat auch der des Hauswarts kein schillerndes Image. Dass Mieter ihn oft als Spielverderber wahrnehmen, macht die Sache nicht besser. Laut dem Berufsverband ausgebildeter Hauswarte ist er weit mehr als ein Reinigungsprofi. Gärtner zum Beispiel, Elektriker, Sanitärinstallateur, Schreiner, Maler oder Buchhalter.
Seit rund zwanzig Jahren gibt es deshalb die Ausbildung zum Hauswart mit eidgenössischem Fachausweis. Mehr als 5000 Personen haben die berufsbegleitende Ausbildung, die rund zwei Jahre dauert, in der Schweiz bis heute absolviert. Rund hundert dürfen sich diplomierte Hausmeisterin respektive Hausmeister nennen. Die höhere Fachprüfung für dieses Amt gibts seit 2008. In kleineren Mehrfamilienhäusern machen Mieter den Job manchmal nebenher. Oft ist er an die Dachwohnung gekoppelt.
Hauswarte, die nicht vor Ort wohnen – ein Nachteil?
Der Beruf des Hauswarts sei sich seit einigen Jahren am Verändern, sagt Ignaz Strebel. Der Geograf, der zurzeit an der Universität St. Gallen tätig ist, veröffentlichte 2014 eine Studie zum Thema in Buchform: «Der Hauswart: Warum unsere Städte nicht auseinanderfallen». Der Beruf wandle sich von der Ansprechperson vor Ort zu einem Dienstleister, der vorbeikomme und ein festes Programm abspule. Das heisse aber nicht, dass Mitarbeiter von Facility Services, wie diese Art Firmen heissen, ihre Arbeit weniger gut machen würden. Auch dass sie weniger präsent sind, betrachtet Strebel nicht zwingend als Nachteil. Die Rolle des immer erreichbaren Hauswarts, der auch mal ein offenes Ohr für die privaten Sorgen und Nöte seiner Mieter hat, werde in seinen Augen romantisiert. «Seine soziale Funktion liegt nicht im Zwischenmenschlichen, sondern in seinem technischen Aufgabenprofil. «Mit einem Haus, in dem Dinge nicht repariert werden und Abfall herumliegt, identifizieren sich die Mieter nicht. Als Folge davon geben sie auch weniger Sorge zu ihm und legen weniger Wert auf gute Nachbarschaft.»
Wie gross der Markt für Facility Services ist, zeigen Zahlen aus der Studie «Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Immobilienwirtschaft der Schweiz» des Bundesamts für Wohnungswesen von vergangenem Jahr. Gemäss dieser Erhebung beträgt der Markt für Bewirtschaftung 44 Milliarden Franken. Rund 30 Prozent der Bewirtschaftung werden in den Unternehmen intern erbracht, 70 Prozent an professionelle Dienstleister ausgelagert.
Für sein Buchprojekt begleitete Strebel einen Mitarbeiter einer Facility-Services-Firma mit der Kamera. Im Dokumentarfilm sieht der Zuschauer einem Mann zu, dessen Arbeitsalltag sich nicht gross von dem Urs Freis unterscheidet. Mit dem Unterschied, dass der Facility-Services-Mitarbeiter in einer Art Blase vor sich hinarbeitet. Wenn im Treppenhaus ein Nachbar seinen Weg kreuzt, nickt er ihm im besten Fall zu. Das ist bei Urs Frei anders – er kennt jeden der 196 Mieter mit Namen. «Mit 75 Prozent bin ich per Du.»
Man würde sie erst vermissen, wenn sie nicht mehr da wären
Wenn Frei Treppen reinigt, hört man nur das Klicken des Scharniers am Mob, den er blitzschnell über die Steinfliesen schiebt. Überall, wo sie glänzen, war er bereits. Alles, was matt ist, hat er noch vor sich. In 25 Treppenhäusern arbeitet er sich wöchentlich mit seiner Frau, mit der er in einer Wohnung in einem der kleineren Häuser der Siedlung zu Hause ist, von oben nach unten. «Ich höre Radio und studiere über Dinge nach. Zum Beispiel, wohin ich als Nächstes in die Ferien fahren könnte.» Wenn er fertig ist, kann er bald wieder von vorne anfangen.
«Hauswarte erfahren zu wenig Wertschätzung», sagt Eveline Althaus. Die Forscherin setzt sich am ETH Wohnforum, einer interdisziplinären Forschungsstätte der ETH Zürich, mit sozialen und kulturellen Aspekten des Wohnens auseinander. Zum Beispiel indem sie Siedlungen untersucht wie diejenige, in der Frei arbeitet. Für eine internationale Studie über das Zusammenleben in Grossüberbauungen, deren Ergebnisse 2022 veröffentlicht werden, interviewte sie in den vergangenen Monaten im Tscharnergut in Bern und im Telli in Aarau Hauswarte zu ihrer Arbeit. In der Grossüberbauung in Bern wohnen rund 2500, in Aarau rund 2000 Personen.
«Hauswarte machen sehr viel fürs Zusammenleben», sagt Althaus, würden hundertmal dieselben Dinge wegräumen und immer wieder dieselben Orte reinigen. «Was für eine Sisyphusarbeit das ist, merken die Anwohner erst, wenn sie einmal nicht erledigt wird.»
Die Kehrseite: Alles so steril hier
Es sei erstaunlich, wie aufgeräumt die Schweizer Überbauungen im internationalen Vergleich seien, sagt Althaus. Wenn im Tscharnergut jemand ein Sofa auf den Gang stellen würde, wäre es am nächsten Tag weggeräumt. Das führe im Gegenzug dazu, dass es in Schweizer Überbauungen keine Möglichkeit für Mieterinnen und Mieter gebe, sich Räumlichkeiten ausserhalb der eigenen vier Wände kreativ anzueignen. Etwas, das eigentlich für fast alle öffentlichen Orte in unserem Land gilt. Althaus: «Ob man das gut findet oder nicht: Es heisst auch, dass da jemand ist, der sich kümmert und aufmerksam ist. Ohne Menschen wie Urs Frei wäre die Schweiz nicht, was sie ist.»
Das mit den Masken sei ein Seich, sagt er, und fischt eine mit einer langen Zange aus einem Gebüsch. «Seit Beginn der Pandemie ist das leider fester Bestandteil meiner Arbeit.» Es sei eine bedrückende Zeit gewesen – das vergangene Jahr. Von den 196 Mietern, die in den 16 Blöcken der Siedlung wohnen, ist ein Grossteil im Seniorenalter. Er habe die Ängstlichkeit gespürt, die sich breitmachte. Viele der Bewohner hätten sich plötzlich nur noch selten ausserhalb der Wohnung blicken lassen. «Sie haben sich mit ihren Familienangehörigen organisiert, wenn es ums Einkaufen ging. Oder ein Nachbar hat ihnen geholfen. Ich habe gestaunt, wie solidarisch sich viele gezeigt haben.»
Im Aussenbereich des Restaurants Stephanshorn, das zur Siedlung gehört, haben sich heute kleine Gruppen von Senioren zusammengefunden. Sie wirken, als wären sie aus einem schlechten Traum erwacht. Frei: «Ich weiss nur von einem einzigen Bewohner, dass er Corona hatte. Wir hatten wahnsinniges Glück.»
Sie hätte es erledigt, sagt eine Pensionärin zu Frei im Vorbeigehen. Weil sie sich nicht mehr gut bücken kann, darf sie das Altpapier auf dem Tisch in der Waschküche bündeln. Dort hat sie ihre losen Zeitungen eine Woche lang herumliegen lassen. Das sei dann schon etwas lange, sagt Frei. Er hat sie gebeten, sie wegzuräumen. Dass Herr Frei in vier Jahren in Pension gehe – daran möchte sie gar nicht denken, sagt sie. «Die Neudorfsiedlung ohne ihn – das ist unvorstellbar.»
Der Hauswart bietet sich an als fiktive Figur: Der Mann im Hintergrund – niemand beachtet ihn, doch er weiss alles über jeden. Manchmal ist er liebenswert wie in der Netflix-Serie «Das Damengambit» (2020), wo er einem Waisenmädchen das Schachspielen beibringt, manchmal superintelligent wie in «Good Will Hunting» (1997) mit Matt Damon oder durchtrieben wie im Theaterstück «Der Hausmeister», auf Englisch «The Caretaker», des britischen Literatur-Nobelpreisträgers Harold Pinter aus dem Jahr 1959. Der Begriff Abwart ist übrigens veraltet und wird von Vertretern der Berufsgattung als entwertend aufgefasst. Er suggeriere, dass der Betreffende jemand sei, der abwarte, bevor er etwas unternehme.
Der Hauswart bietet sich an als fiktive Figur: Der Mann im Hintergrund – niemand beachtet ihn, doch er weiss alles über jeden. Manchmal ist er liebenswert wie in der Netflix-Serie «Das Damengambit» (2020), wo er einem Waisenmädchen das Schachspielen beibringt, manchmal superintelligent wie in «Good Will Hunting» (1997) mit Matt Damon oder durchtrieben wie im Theaterstück «Der Hausmeister», auf Englisch «The Caretaker», des britischen Literatur-Nobelpreisträgers Harold Pinter aus dem Jahr 1959. Der Begriff Abwart ist übrigens veraltet und wird von Vertretern der Berufsgattung als entwertend aufgefasst. Er suggeriere, dass der Betreffende jemand sei, der abwarte, bevor er etwas unternehme.