Seine Rosen seien «permanent mit Gift» besprüht worden. Und irgendjemand habe immerzu seine Geranien abgeknickt. Oder ihm Abfall vor die Türe gekippt und die Post geklaut. Das erzählt Erich L.* (68) gestern den drei Richtern am Bezirksgericht Zürich. Der Angeklagte erscheint in einem klassischen, etwas zu grossen, grauen Anzug mit schwarzem Hemd und einem auffälligen schwarzen Hut. Wenn er spricht, bebt sein geschwungener Schnauzer.
Der laut Gutachten an einer wahnhaften Störung leidende Erich L. macht für all diese Dinge, die ihm angeblich angetan wurden, seinen Abwart Philippe M.* (63) verantwortlich. In der Schwamendinger Alterssiedlung wohnten die beiden Streithähne Tür an Tür – bis zum verheerenden 10. Juni 2018.
Nach dem Stumpen eskaliert die Lage
An diesem Tag liess Erich L. seine Türe offen, um nach einem Stumpen die Wohnung zu lüften. Auf dem Laubengang erschien Abwart Philippe M., der einen Schritt in die Wohnung von L. machte, um dessen Türe zu schliessen – weil es stank. In seiner Hand: ein Teppichmesser.
«Er wollte mich angreifen», schildert L. den Richtern. Auf einem Handyvideo, das der Beschuldigte selber aufgenommen hat, ist zu hören, wie er seinen Kontrahenten anschreit: «Wottsch no meh?» Dieser wiederum beschimpft den Rentner als «Schwein» und «Terrorist». Und dann knallt es. Ein Schuss aus Erich L.s Revolver, den er sich zu Beginn des Streits in die Hosentasche gesteckt hatte, trifft den Abwart in den Bauch. Philippe M. erleidet einen glatten Durchschuss, bricht zusammen.
Rentner fühlte sich gemobbt
Der Abwart überlebte – für den Rentner klickten die Handschellen. Vor Gericht beschuldigt Erich L. den Staatsanwalt und sogar seine Verteidigerin, die Fakten zu verdrehen. Dass sich der Schuss gelöst hatte, sei ein Unfall gewesen. Überhaupt sei er jahrelang gemobbt und in seiner eigenen Wohnung angegriffen worden.
Während der Staatsanwalt von Schuldunfähigkeit ausgeht und wegen hoher Rückfallgefahr eine stationäre Massnahme fordert, verlangt die Verteidigerin drei Jahre und acht Monate Haft, da der Vorsatz nicht erwiesen sei. Das Urteil folgt.
* Namen geändert