Spears versus Spears benannten Medien den Prozess in Kalifornien, der bereits im November 2021 zu Ende gegangen ist und dessen letzte «Wehen» seit vergangener Woche nun ausgestanden sind. Popsängerin Britney Spears (42) hat um die Freiheit von ihrem Vater gekämpft und gewonnen.
Trotzdem muss sie jetzt, so haben sich die Parteien in einem aussergerichtlichen Vergleich geeinigt, ihrem Vater Jamie Spears (71), der gut 13 Jahre lang, von 2008 bis 2021, als ihr Vormund eingesetzt war, die Gerichtskosten in Millionenhöhe erstatten – wohl weil sie nicht beweisen konnte, dass er sie um Geld betrogen hat. Nach der Zahlung von rund zwei Millionen Franken muss sie nichts mehr mit ihm, der ihr Leben bis ins kleinste Detail kontrolliert hat, zu tun haben.
Es könnte der Beginn eines neuen Lebens für Britney Spears sein. Stattdessen macht die Sängerin im selbst gewählten Ruhestand Negativschlagzeilen. Sie verschleudere ihr Vermögen und stehe vor dem Bankrott, berichtete einen Tag nach dem Vergleich, am Dienstag letzter Woche, die US-Promi-Webseite TMZ. Der US-Promi-Psychiater Charles Sophy (63), der sich gern für TV-Formate wie die Psychiatrie-Sendung «Dr. Phil» anbietet und der Spears gar nicht behandelt, doppelt in einem Video-Beitrag auf demselben Portal nach: Spears sei ausser Kontrolle, benötige wieder eine Vormundschaft und gehöre sofort zwangsmässig medikamentiert.
Pirouetten im Endlos-Loop
Hat man in den vergangenen Monaten und Wochen Britney Spears' Instagram-Kanal verfolgt, bekommen auch Laien Zweifel an der geistigen Gesundheit des Popstars: Spears macht dort seit Monaten nichts anderes, als Videos zu posten, wie sie mit wirrem Haar und verschmiertem Eyeliner äusserst knapp bekleidet Pirouetten dreht. Begleitet sind die Posts – oft sind es auch Nacktbilder mit strategisch platzierten Herzchen oder Sternchen – manchmal von wirren Kurztexten, in denen sie ihre Familie angreift oder die gar keinen Sinn ergeben.
Dennoch: Ein seriöser Psychiater würde nie öffentlich eine Diagnose über den Geisteszustand eines Patienten abgeben. Schon gar nicht, wenn er diese Person gar nicht behandelt. Für Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, scheinen aber andere Regeln zu gelten.
Und so ist Britney Spears' Tragödie eigentlich ein Spiegel, der uns alle etwas angeht, ein Spiegel dafür, wie wir als Gesellschaft mit Frauen umgehen, die es wagen, im Licht der Öffentlichkeit zu stehen: Wir vergöttern junge weibliche Stars, wenn sie ein stereotypes Bild der Unschuld oder «Reinheit» darstellen und zerfetzen sie in der Luft, wenn sie es wagen, erwachsen zu werden, wenn sie Probleme haben und keine Projektionsfläche für Lolita-Fantasien mehr sind.
Ein Image, das auf Sex aufbaut
So ging es nicht nur Britney Spears, die im Video zu ihrem ersten Hit «Baby One More Time» in ein Schulmädchen-Outfit gesteckt wurde und deren Marketing-Team, wie sie in ihrem Buch «The Woman in Me» schreibt, ihr Image gezielt auf einer schon damals nicht mehr existierenden Jungfräulichkeit aufgebaut hatte. In der Folge wurde Spears im Alter von 17 Jahren in Interviews von männlichen, viel älteren Moderatoren ständig nach ihren Brüsten gefragt oder danach, ob sie denn noch immer Jungfrau sei. Als ein paar Jahre später immer offenkundiger wurde, dass im Hause Spears nicht alles stimmt – jeder erinnert sich wohl an die Bilder, als die Sängerin sich im Jahr 2007 ihren Kopf rasierte –, wurde sie zum Freiwild. Ganze Scharen von Paparazzi lebten ausschliesslich von ihren Bildern, Promi-Magazine und US-Klatsch-Webseiten wie Perez Hilton, TMZ oder «Page Six» verzeichneten Hunderttausende Verkäufe oder Klicks mit Britney Spears' Zustand. Bis sie in die Zwangspsychiatrie eingeliefert wurde und unter die Kontrolle ihres Vaters gestellt wurde.
Ähnlich wie Spears ging es auch Sängerin Amy Winehouse (1983–2011) – die Bilder, in denen sie betrunken, weinend und mit blutverschmierten Ballerinas nachts auf der Strasse herumtorkelt, gingen um die Welt und steigerten den Verkauf von Magazinen. Bilder von Prinzessin Diana (1961–1997) waren so lukrativ, dass sie von Paparazzi bekanntlich zu Tode gejagt wurde.
Bleiben sie Kinder, ist ihre Karriere vorbei, werden sie erwachsen, manchmal auch
Etwas weniger drastisch, aber immer noch bezeichnend, sind die Geschichten von Popsängerin Miley Cyrus (31) oder – ganz aktuell – von der hierzulande weniger bekannten Sängerin und dem Youtube-Star JoJo Siwa (20). Die ehemaligen Kinderstars – Cyrus ist mit der TV-Serie «Hannah Montana» berühmt geworden, Siwa mit der Reality-Serie «Dance Moms» – mussten irgendwann ihr Kinder-Unschulds-Fun-Image ablegen. Sie taten dies mit übersexualisierten Auftritten und wurden via Presse und Social Media prompt mit Shitstorms eingedeckt.
Cyrus schaffte es dank Humor, die Situation umzudrehen. Ob das Siwa ebenfalls gelingt, ist noch abzusehen. Auch Superstar Janet Jackson (57) wurde von der Öffentlichkeit bestraft, nachdem ihr Justin Timberlake (43) am Superbowl 2004 den BH während ihres gemeinsamen Auftritts heruntergezogen hatte und ihre mit einem Piercing verzierte Brustwarze kurz sichtbar wurde. Die «New York Times» schreibt, ihre Karriere habe sich nie von diesem Moment erholt. Timberlake hingegen geschah … nichts.
Genauso wie den vielen anderen männlichen Rockstars, die genauso vor die Hunde gingen wie Spears oder noch dramatischer Winehouse. Oder hat jemand Kurt Cobain (1967–1994) vor dessen Suizid derart in der Öffentlichkeit vorgeführt und schliesslich entmündigt? Guns N'Roses-Sänger Axl Rose (62), der seine Drogenprobleme öffentlich zugibt? Chris Cornell (1964–2017), Sänger von Soundgarden, der sich umgebracht hat? Johnny Depp (60), von dem es Audioaufnahmen gibt, in denen er komplett zugedröhnt ist? «Friends»-Star Matthew Perry (†54), der anscheinend im Drogenrausch mehrfach Leute verprügelt hat, bevor er an einer Überdosis starb?
An die Stelle der Klatschmagazine tritt Social Media
Etwas weiter sind wir heute: Nach der Dokumentation «Framing Britney Spears» ist der Umgang von Klatschmagazinen mit weiblichen Berühmtheiten, die zerbrechen, vielleicht teilweise etwas reflektierter geworden. Nur ist an ihre Stelle Social Media getreten – und zwischen einem Star, der gerade an Problemen mit seiner geistigen Gesundheit leidet und deshalb, so wie Britney Spears in den letzten Monaten, gleich selbst zweifelhaftes Material liefert, und einer sensationshungrigen Öffentlichkeit existiert nun gar kein Filter mehr. Und so kann man im realen Leben zusehen, wie eine Frau zum zweiten, dritten oder vierten Mal implodiert, und keiner kann etwas tun.
Wegsehen tun wir aber auch nicht: Wenn man sich vorstellt, dass früher, etwa zu Zeiten der Römer, mehr oder minder wehrlose Sklaven vor Publikum den Löwen zum Frass vorgeworfen wurden, schaudert es einen. Die Zerstörung einer schwachen Person als Unterhaltung eines brüllenden Mobs widert an. Dabei ist unsere Gesellschaft bei näherer Betrachtung heute nicht sehr viel weiter. Die Mittel der Zerstörung sind einfach keine Löwen mehr, sondern die eifrigen Augen und Finger einer Heerschar von Internet-Trolls hinter Tastaturen und Bildschirmen, die Frauen am liebsten jungfräulich, problemlos und schön anzusehen haben wollen.