Zu viel Gamen macht blöd – das ist ein Klischee, das in so manchen Köpfen herumgeistert. Der Gegenbeweis ist Philomena Schwab. Vor fünf Jahren stand die bekannteste Game-Entwicklerin der Schweiz auf der exklusiven Liste der jungen Ausnahmepersönlichkeiten «30 unter 30» des Wirtschaftsmagazins «Forbes», lernte alles über Evolutionsbiologie und Genetik, das ihr unter die Finger kam, nebenbei auch Japanisch und wollte ihrer Mutter ein Haus im Grünen kaufen. Wir berichteten darüber.
Jetzt hat die mittlerweile 32-jährige Game-Entwicklerin mit ihrer Firma Stray Fawn Studio vor zwei Wochen ihr neustes Game «The Wandering Village» («Das wandelnde Dorf») auf den Markt gebracht. Es ist ein grosser Erfolg: Bereits knapp 140'000-mal wurde es innert der ersten drei Wochen verkauft – und es handelt sich erst um eine sogenannte «Early Access»-Version, also eine Art nicht ganz fertig entwickelte Frühversion des Spiels für die, die nicht warten können. Schwab, die wir in ihrem Atelier oder Büro an einer vielbefahrenen Strasse in Zürich antreffen, rechnet mit mindestens nochmals doppelt so vielen Verkäufen, wenn das fertig entwickelte Game auf den Markt kommt. Für Nicht-Kenner der schweizerischen Game-Industrie: Das sind ganz schwindelerregende Zahlen, die zudem die Entwicklungskosten des Games von bislang rund 1,5 Millionen Franken bereits hereingeholt haben.
Zu wenig gefördert, dennoch erfolgreich
Schwindelerregend sind diese Zahlen auch, weil die Game-Industrie in der Schweiz als Stiefkind behandelt wird: Die Zürcher Hochschule der Künste bildet zwar exzellente Game-Designer aus, die Förderung danach ist aber dürftig: «50'000 Franken kann man für ein Projekt maximal aus dem Förderverteiltopf der Pro Helvetia erhalten», sagt Schwab. Was zunächst nach viel Geld klingt, relativiert sich sofort, wenn man weiss, dass ein Game zwei bis drei Jahre Entwicklungszeit und rund eineinhalb Millionen Franken Kapital benötigt.
Wie wichtig bessere Förderung auch für den Wirtschaftsstandort Schweiz wäre, zeigt denn auch eine andere Zahl aus einer Erhebung aus dem Jahr 2018: ca. 600 Arbeitsplätze und 150 Millionen Franken Umsatz generierte die Schweizer Game-Industrie damals; heute, vier Jahre später – «wir müssen mal wieder eine Studie machen!» –, schätzt Schwab den Umsatz auf ca. 200 Millionen Franken. Jeder investierte Franken käme also eigentlich mehrfach zurück – und wäre insbesondere bei Berufsanfängern, die ihr erstes Game entwickeln, dringend nötig.
Die Erhebung ist auch auf Schwabs Initiative entstanden: Sie ist im Vorstand der Swiss Game Developer Association, also des Verbands der Schweizer Game-Entwickler. Und sie bietet den Schweizer Gamedesignern eine Art Heimat: Auf dem ganzen zweiten Stock des grossen Bürogebäudes in Zürich hat sie mit anderen den Swiss Game Hub gegründet – eine Art losen Zusammenschluss diverser Schweizer Gaming-Kleinunternehmen, die gross angedachte Games entwickeln. So arbeiten die einen daran, finstere Irrenärzte aus den 1920er-Jahren noch etwas düsterer aussehen zu lassen, («Sanatorium», Zeitglas GmbH, noch in Entwicklung), andere entwickeln innovative neue Racer-Games («Ultimate Godspeed», Ninoko, ebenfalls noch in Entwicklung) – und alle sind offen, neugierig, und am Gegenüber genauso interessiert wie daran, die eigene Arbeit zu zeigen und zu erklären – und sich gegenseitig zu unterstützen. «Wir sind das grösste Kollektiv der schweizerischen Game-Entwickler-Szene und das Haus mit den meisten Game-Developern auf einem Haufen», sagt Schwab.
Schwab zahlt sich selbst so viel Lohn wie ihren Angestellten
Die gegenseitige Unterstützung ist bei der stiefmütterlichen Behandlung durch Fördertöpfe und Innovationsfonds umso wichtiger. Wie es ist, ohne grosse Förderung eine grosse Idee zu entwickeln, das weiss Schwab aus eigener Erfahrung – denn ihr «wandelndes Dorf» ist bereits das dritte grosse Game, das ihrem Hirn entsprungen ist. Ihren Erstling «Niche» haben sie und ihr Geschäftspartner Micha Stettler (35) in unzähligen Monaten mit einem Crowdfunding, viel Herzblut und, wie sie sagt, «ein bisschen Selbstausbeutung» entwickelt – und es hat Furore gemacht: nicht nur wegen des «Forbes»-Artikels, sondern auch weil es Schwab und Stettler ziemlich reich hätte machen können – «aber ich will ja nicht auf meinem Fudi sitzen bleiben!». Stattdessen haben Schwab und Stettler den Millionengewinn von «Niche» in ihr Geschäft reinvestiert, zehn Arbeitsplätze geschaffen und sowohl Stettlers Game-Idee «Nimbatus», in dem man eine Drohne im All entwickeln muss, sowie das gemeinsame Projekt «The Wandering Village» entwickelt.
Das Haus im Grünen für ihre Mutter musste deshalb warten: Sich selbst zahlen Schwab und Stettler denselben Einheitslohn wie ihren Angestellten aus, und für Schwab hat sich seit der «Forbes»-Liste privat gar nicht so viel verändert: Sie lebt noch immer im selben Haus in Zürich-Schwamendingen wie seit eh und je – «jetzt einen Stock über meinem Mami, mit meinem Freund», sie spricht Japanisch mittlerweile fliessend: Wir haben nachgefragt. Und es sprudelt wie auf Knopfdruck. Sie interessiert sich noch immer für Genetik und Biologie («ich liebe auch Balkongärtnern!»).
Wir freuen uns schon, in fünf Jahren oder so wieder im inspirierenden und netten Swiss Game Hub vorbeischauen zu können, den man nach so einem Besuch gar nicht mehr verlassen will. Dann berichten wir hoffentlich von 50 oder 100 Arbeitsplätzen – und insbesondere natürlich von den neuen immersiven Welten, die Philomena Schwabs aussergewöhnlich wunderbarem Hirn entspringen.
Das clevere Game «Wandering Village» (2022), eine gemeinsame Idee von Schwab und Stettler, verbindet einige der Passionen der in Zürich-Schwamendingen aufgewachsenen Unternehmerin. Gamen – ist natürlich gesetzt –, aber auch Biologie und Ökologie: Die Welt, in der man sich im Game befindet, ist weitgehend zerstört. In den unteren Bereichen verbreiten mysteriöse Pflanzen giftige Sporen und machen die Atmosphäre für Menschen ungeeignet. Einzig riesenhafte, berghohe Tiere können sich auf dieser Erdoberfläche noch normal bewegen. Einige Menschen haben sich deshalb auf dem Rücken eines dieser dinosaurierartigen Riesentiere, im Game Onbu genannt, angesiedelt. Es gilt nun, diese Zivilisation erfolgreich weiterzuentwickeln und gleichzeitig eine Symbiose mit dem Tier einzugehen. Hinzu kommen Handelsbeziehungen mit fliegenden Händlern, Missionen ins giftige Umland, um knappe Ressourcen zu gewinnen, und die Zähmung anderer Spezies, um Verbündete zu gewinnen.
In «Nimbatus» (2018), dem Hirn von «Niche»-Co-Gründer Micha Stettler entsprungen, baut man sich im Weltraum aus Hunderten von Teilen spezialisierte Drohnen zusammen, um mit diesen diverse Missionen zu erfüllen, Welten zu entdecken und sich gegen unbekannte, mysteriöse Feinde zu verteidigen. Dies kann man allein tun, man kann sich aber auch mit anderen Spielern verbünden – oder sie bekämpfen.
«Niche» (2016), das erste grosse Game der beiden Entwickler, ist ein Überlebens-/Strategiespiel, in dem man – recht herzig aussehende – Tiere nach evolutionsbiologischen Grundsätzen genetisch so züchten muss, damit sie in verschiedenen Landschaften überlebensfähig werden und sich gegen unterschiedliche Feinde verteidigen und unterschiedliche Krankheiten überstehen können. Dabei ändern sich die Eigenschaften und das Aussehen der Tiere – ein zusätzlicher Anreiz im Spiel.
Das clevere Game «Wandering Village» (2022), eine gemeinsame Idee von Schwab und Stettler, verbindet einige der Passionen der in Zürich-Schwamendingen aufgewachsenen Unternehmerin. Gamen – ist natürlich gesetzt –, aber auch Biologie und Ökologie: Die Welt, in der man sich im Game befindet, ist weitgehend zerstört. In den unteren Bereichen verbreiten mysteriöse Pflanzen giftige Sporen und machen die Atmosphäre für Menschen ungeeignet. Einzig riesenhafte, berghohe Tiere können sich auf dieser Erdoberfläche noch normal bewegen. Einige Menschen haben sich deshalb auf dem Rücken eines dieser dinosaurierartigen Riesentiere, im Game Onbu genannt, angesiedelt. Es gilt nun, diese Zivilisation erfolgreich weiterzuentwickeln und gleichzeitig eine Symbiose mit dem Tier einzugehen. Hinzu kommen Handelsbeziehungen mit fliegenden Händlern, Missionen ins giftige Umland, um knappe Ressourcen zu gewinnen, und die Zähmung anderer Spezies, um Verbündete zu gewinnen.
In «Nimbatus» (2018), dem Hirn von «Niche»-Co-Gründer Micha Stettler entsprungen, baut man sich im Weltraum aus Hunderten von Teilen spezialisierte Drohnen zusammen, um mit diesen diverse Missionen zu erfüllen, Welten zu entdecken und sich gegen unbekannte, mysteriöse Feinde zu verteidigen. Dies kann man allein tun, man kann sich aber auch mit anderen Spielern verbünden – oder sie bekämpfen.
«Niche» (2016), das erste grosse Game der beiden Entwickler, ist ein Überlebens-/Strategiespiel, in dem man – recht herzig aussehende – Tiere nach evolutionsbiologischen Grundsätzen genetisch so züchten muss, damit sie in verschiedenen Landschaften überlebensfähig werden und sich gegen unterschiedliche Feinde verteidigen und unterschiedliche Krankheiten überstehen können. Dabei ändern sich die Eigenschaften und das Aussehen der Tiere – ein zusätzlicher Anreiz im Spiel.