Auf einen Blick
Eines vorweg: Hochsensibilität ist keine Krankheit oder Störung, sondern eine Wahrnehmungsbegabung, eine Wesenseigenschaft, eine Ausprägung und ein Charakterzug. Aus diesem Grund gibt es keine «Diagnose».
Die wissenschaftliche Forschung zur Hochsensibilität steht noch am Anfang. So existiert bis heute keine eindeutige, allgemein anerkannte Definition. Man geht davon aus, dass rund 15 bis 30 Prozent der Bevölkerung hochsensibel ist. Unbestritten ist jedoch: Hochsensibilität ist ein psychologisches und neurophysiologisches Phänomen. Sie betrifft Seele, Körper und Nervensystem. Wichtig: Hochsensibilität muss nicht geheilt oder beseitigt werden, sagt Experte Philippe Hollenstein. «Hochsensible Menschen sollen vielmehr schon im Kindesalter so gut unterstützt und bestärkt werden, dass die Hochsensibilität mehr ein Segen als sonst was ist.»
Was ist Hochsensibilität?
«Es gibt vier Kriterien, welche auf eine Hochsensibilität zutreffen. Erfüllst du oder dein Kind alle vier, ist die Chance, hochsensibel zu sein, hoch. Das erste Kriterium ist emotionale Intensität, sowohl schöne als auch schwierige Gefühle werden sehr intensiv erlebt. Das zweite Kriterium ist Übererregbarkeit. Das heisst, Reize und Wahrnehmungen stürzen ungefiltert auf einen ein. Das führt dazu, dass das Nervensystem deshalb fast immer angespannt ist.
Der dritte Punkt ist die gründliche und tiefe Informationsverarbeitung. Wahrnehmungen und Erlebnisse werden differenziert begriffen und sorgfältig verarbeitet, sie hallen lange nach. Das vierte Kriterium ist die sensorische Empfindsamkeit. Einer oder mehrere Sinne reagieren stark auf Eindrücke: visuelle Reize, Geräusche, Gerüche, Geschmäcker, Berührungen und/oder Übernatürliches. Übrigens hat man herausgefunden, dass Hochsensibilität vererbbar ist. Oft ist mindestens ein Elternteil hochsensibel, wenn nicht sogar beide. Sind die Eltern nicht betroffen, dann lässt sich mit grösser Wahrscheinlichkeit bei den Grosseltern eine Hochsensibilität finden.»
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Wie zeigt sich Hochsensibilität?
«Eine Studie, dir vor ein paar Jahren erschienen ist, wies auf, dass schon rund 20 Prozent der Säuglinge Merkmale zeigen. Sie sind empfindsamer als andere Babys, sie überreizen schnell und spüren sehr stark die Schwingungen des Umfelds. Später kann ein hochsensibles Kind an lauten Orten, an denen viel los ist, den Impuls spüren, sich zurückziehen zu wollen. Es kann aber auch sein, dass es diesen unterdrückt und sich, zum Beispiel auf einem Spielplatz, ins Spiel begibt. Das ist nicht verkehrt. Im Gegenteil. Es ist gut möglich, dass das Kind viel Spass und Freude im Spiel entwickelt. Im Gegensatz zu anderen Kindern ist es danach aber wahrscheinlicher, dass es überreizt ist und zur Verarbeitung der vielen Reize Erholung braucht. Überreizung zeigt sich unterschiedlich, zum Beispiel durch Rückzug, aber auch durch Aggressivität.
In Gruppen fühlen sich introvertierte Hochsensible zuerst eher unwohl und unsicher. Sie ziehen sich zurück und beobachten. Sie brauchen Zeit, um für sich herauszufinden, was hier alles läuft, wer ein Freund, eine Freundin werden könnte und wer es nicht so gut mit ihnen meinen könnte. Wir beobachten auch oft, dass Hochsensible sich in der Schule total zusammenreissen, und absolut unauffällig sind. Sie sind überangepasst. Daheim dann entladen sie sich bei der kleinsten Störung wie ein Vulkan. Das ist sowohl für Eltern als auch das Kind höchst anstrengend.»
Wie kannst du als Elternteil dein hochsensibles Kind unterstützen?
«Hochsensible Kinder sind sehr beziehungsorientiert. Sie brauchen eine starke Bindung zu ihren Bezugspersonen, um sich sicher zu fühlen. Oft funktioniert es sehr gut, wenn andere Kinder das hochsensible Kind zum Spielen auffordern. Hilfreich kann sein, mit der Lehrperson das Gespräch zu suchen. Diese kann zum Beispiel auch am Anfang in der Gruppe beim hochsensiblen Kind bleiben, und sich dann langsam entfernen. Grundsätzlich gilt: Auf keinen Fall Druck ausüben. Ein hochsensibles Kind soll unbedingt die Zeit bekommen, eine Gruppe für sich zu analysieren und rauszufinden, wo sein Platz ist.
Bewegung und sportliche Aktivitäten sind super, um Reizüberflutungen abzubauen. Positive Rückmeldungen und Bestärkungen sind ganz wichtig. Hochsensible sind für diese besonders empfänglich und brauchen ganz viel Zuspruch. Wenn sie diesen bekommen, können sie sich sehr gut entwickeln und ein starkes Selbstbewusstsein aufbauen. Ganz allgemein soll man das Kind in seinem Wesen stärken und ihm sagen, dass es wunderbar ist, so wie es ist. Harmonie ist auch etwas, das für hochsensible Kinder besonders wichtig ist. Was nicht funktioniert sind Druck und negative Äusserungen, im Stil von «reiss dich mal zusammen» oder «nimm nicht immer alles so ernst». Das funktioniert auch deshalb nicht, weil die Sensibilität ja eben zu seinem Wesen gehört.
Eine gute Idee ist auch immer, sich Hilfe zu holen. In der Schweiz gibt es zum Beispiel den Verein oder Netzwerk Hochsensibilität den internationalen Verband Neurodiversität. Da findet man auch viele aufgeführte Fachpersonen.»