Südlich des Gotthards ist vieles anders. Im Tessin scheint die Sonne, wenn im Norden Schmuddelwetter herrscht. Das Essen schmeckt nach Italien, und Schwiegermütter sind hier nicht kratzbürstig, sondern lieblich und süss: Nach genussvollen Stunden in der Grotto Brunoni im Dörfchen Golino offeriert uns die Bedienung zum Abschluss eines herrlichen Mahls einen milchigen Likör. «Schwiegermutter», sagt sie in gebrochenem Deutsch. Was da unsere Kehlen hinunterläuft, ist eine süsse Versuchung und ein vielversprechender Auftakt zu einem Wanderwochenende im Tessin.
Wanderland Tessin
4000 Kilometer markierte Wege gibt es im Sonnenkanton. 29 dieser Touren wurden als «Premium-Wanderungen» klassifiziert: Wege zu besonders schönen Ecken im Schweizer Süden. Wandern? Das ist doch nur etwas für Alte! Im Gegenteil: Längst hat das Laufen sein angestaubtes Image abgeschüttelt. Nach einer Studie des Dachverbandes «Schweizer Wanderwege» gehen 44 Prozent aller Schweizer regelmässig wandern, darunter etwa jede dritte Schweizerin und jeder fünfte Mann unter 29 Jahren.
Doch nicht nur die klassischen Wanderziele auf der Alpen-Nordseite profitieren vom Boom, auch das Tessin verzeichnet eine steigende Nachfrage. Und dank des neuen Gotthard Basistunnels rückt die Schweizer Sonnenstube noch ein Stückchen näher an den Norden - eine Spritztour ins Tessin wird dann noch attraktiver.
Ein Blick in die Geschichte des Centovalli
Für dieses Mal überspringen wir also Citylife und Jetset am Lago Maggiore und Künstlerflair in Morcote und begeben uns auf die «Via del Mercato», den Marktweg von Camedo nach Intragna im Seitental Centovalli, wo einst Händler mit ihren Maultieren von Italien ins Tessin unterwegs waren (bis Mitte des 19. Jahrhunderts war dies der einzige Verbindungsweg).
Das Centovalli, das Tal der 100 Täler, das von Locarno gegen Westen führt, ist ein kleines Juwel, das abseits der grossen Touristenströme liegt. Der Fluss Melezza hat ein tiefes Kerbtal in die Landschaft gegraben, dessen steile Hänge mit Mischwald bewachsen sind. Dörfer und Alpen finden sich auf den sonnigen Terrassen hoch oberhalb des Tals. Der Marktweg führt auf einem schmalen Pfad vorbei an Marronikulturen, herzigen Granitdörfchen und immer wieder zu historischen Zeugnissen.
Beim Dörfchen Lionza passiert man die Überreste einiger Mühlen und den Palazzo Tondù – einen verblüffend grossen Bau in dieser ländlichen Gegend. Gebaut wurde der Palazzo im 17. Jahrhundert von zwei lokalen Waisenkindern, die im italienischen Parma zu Ansehen und Wohlstand gekommen waren. Steter Begleiter sind neben den typischen Marroni-Bäumen unzählige Bildstöcke, die den Reisenden von anno dazumal Trost und Zuversicht spenden sollten.
Mit der Centovalli-Bahn von Locarno Richtung Domodossola
Trost braucht es heutzutage für den Weg nicht mehr, etwas Ansporn dagegen schon: Wegen der vielen Seitentäler geht es ständig auf und ab. Immer wieder ertönt die Pfeife der Centovalli-Bahn, die sich von Locarno Richtung Domodossola (I) schlängelt. Die Schmalspurbahn aus dem Jahr 1923 führt gemäss Kennern über eine der schönsten Strecken der Alpen. Nach einer Extra-Schlaufe über den Monte Comino, von wo aus man weit über das Tal bis Locarno und zum Lago Maggiore sieht, erreichen wir nach sechs Stunden das Ziel der Wanderung: das Dörfchen Intragna.
Das Dorf Intragna: Zentrum der Kaminfeger
Schon von weitem grüsst der Kirchturm der Pfarrkirche San Gottardo – mit 65 Metern der höchste Campanile des Tessins. Zu seinen Füssen treffen wir Dorfvorsteher und Lokalhistoriker Stefan Früh, der uns etwas zur Geschichte erzählt. «Intragna hatte im 19. Jahrhundert mehr Einwohner als Locarno», so Früh. Berühmt wurde das Dorf dank des guten Rufs seiner Kaminfeger (auf alten Karten wird das Centovalli als Kaminfegertal bezeichnet).
Vom Tessin zogen die Schlotfeger in die Metropolen Europas und nahmen die Kinder der Region mit. Denn nur Kinder passten in die Kamine. Heute ist Intragna ein charmantes Dorf mit herzigem Dorfplatz. Zum Abschluss eines schönen Ausflugs gibt es dort – wie sollte es anders sein? – eine süsse «Schwiegermutter».
Länge
12 Kilometer
Dauer
5 Stunden Wanderzeit
Anforderungen
Eine gewisse Grundkondition ist von Vorteil. Ansonsten stellt der Weg keine Schwierigkeiten dar.
Streckenverlauf
Start ist in Camedo und Intragna. Beide Orte sind mit der Centovalli-Bahn von Locarno schnell erreichbar.
Tipp
Das Regionalmuseum zum Centovalli in Intragna ist sehr sehenswert. Es zeigt die Lebensbedingungen der Region, die Geschichte der Kaminfegerkinder und zeigt lokale Kunst. www.centovalli.net
Übernachten
Das Hotel Garni Cà Vegia in Golino bietet historischen Charme. www.hotel-cavegia.ch
Informationen
www.ticino.ch und die App «hikeTicino».
Länge
12 Kilometer
Dauer
5 Stunden Wanderzeit
Anforderungen
Eine gewisse Grundkondition ist von Vorteil. Ansonsten stellt der Weg keine Schwierigkeiten dar.
Streckenverlauf
Start ist in Camedo und Intragna. Beide Orte sind mit der Centovalli-Bahn von Locarno schnell erreichbar.
Tipp
Das Regionalmuseum zum Centovalli in Intragna ist sehr sehenswert. Es zeigt die Lebensbedingungen der Region, die Geschichte der Kaminfegerkinder und zeigt lokale Kunst. www.centovalli.net
Übernachten
Das Hotel Garni Cà Vegia in Golino bietet historischen Charme. www.hotel-cavegia.ch
Informationen
www.ticino.ch und die App «hikeTicino».