4 Minuten, 0,3 Grad
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Redaktor badet im Eiswasser
4 Minuten, 0,3 Grad

Magazin-Redaktor Jonas Dreyfus trainierte drei Monate für ein Bad in ultrakaltem Wasser. Eine Herausforderung, die Immunsystem und Psyche stärken soll. Und bei der nach der Tortur die Belohnung kommt.
Publiziert: 14.03.2021 um 15:27 Uhr
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Aktualisiert: 16.03.2021 um 18:14 Uhr
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Auf dieses Bad im Eiswasser habe ich mich drei Monate lang vorbereitet.
Foto: Thomas Meier
Jonas Dreyfus

Der Schmerz ist vergleichbar mit dem Brennen, das man spürt, wenn beim Wandern der obere Teil des Rucksacks auf dem Sonnenbrand am Nacken hin und her raspelt. Nur, dass ich ihn am ganzen Körper spüre.

Der Schauplatz ist Bern. Ich sitze auf einem Schotterplatz in einer Chromstahl-Badewanne im Wasser, das bis kurz zuvor noch aus Eis in Form von Würfeln bestand. Einige schwimmen noch auf der Oberfläche. Dass ich jetzt nicht zu japsen beginne – dafür habe ich drei Monate lang Atemübungen gemacht. Luft rein, Luft raus. Meine Lunge arbeitet wie ein Ackergaul.

Warum tut man sich das an? Kältebäder- und duschen – so vermuten Wissenschaftler – stärken das Immunsystem, weil sie Blutzirkulation und Produktion weisser Blutkörperchen anregen.

«Schau mich an, schau mich an», sagt Personal Trainer Andreas «Ändu» Lanz, der mich in dieser Extremsituation instruiert. Nach rund einer Minute ist der Schmerz plötzlich weg, und die Welt um mich herum verlangsamt sich. Es fühlt sich an, als würde ich in flüssigem Mondlicht baden. Oder in Champagner-Bläschen. Ruhe kehrt ein in meinem Körper, und ich verstehe jetzt, was Ändu gemeint hat, als er von seinem ersten Eisbad erzählte. Wie es nach langer Zeit endlich mal wieder aufgehört habe «zu rattern» in seinem «Oberstübli». Sag mal … atme ich überhaupt noch?

Eisbäder sind hip

Ob in der Aare oder im Bielersee – überall sahen Spaziergänger in letzter Zeit Personen, die ins eiskalte Wasser stiegen, um eine Runde zu schwimmen. Wenn es heftig in der Brust brenne, sei man zu lang im Wasser gewesen, sagte eine Zürcherin in einer Story des «Tages-Anzeigers» über den «Lockdown-Hype» des winterlichen Limmatschwimmens. «Wenn ich das spüre, bin ich tags darauf jeweils erkältet. Aber ich bin auch Raucherin.»

Schon klar: Richtige Winterschwimmer sind viel zu Rock ’n’ Roll, als dass sie – wie ich – in eine Wanne steigen würden. Allerdings war die Limmat am Tag, als die Raucherin in ihr schwamm, auch nur fünf Grad kalt. Bei mir in der Wanne zeigt die Digitalanzeige des Thermometers 0,3 Grad an.

Bevor ich mich hinsetzte, hatte mich Ändu durch die Atemübung geführt, die ich mir Ende Oktober mithilfe seines Online-Tutorials anzueignen begann. Sie sorgt für einen erhöhten basischen pH-Wert im Blut und lässt den Körper Adrenalin ausschütten. Das Hormon wirkt schmerzlindernd, löst die Produktion eines entzündungshemmenden Proteins aus und lässt einen die Anfangsphase besser überstehen, in der sich der Körper an die Kälte gewöhnen muss. Plus: Wer die Übungen regelmässig macht, lernt, die Atmung zu kontrollieren, sodass sie bei einem plötzlichen Temperatursturz ruhig bleibt und den Organismus mit genügend Sauerstoff versorgt.

Ice Queens und Ice Kings sind angeblich nie krank

Wim Hof (61) hat die Methode bekannt gemacht. Der niederländische Extremsportler sagt, dass er nie krank sei. Seine Anhänger – er nennt sie Ice Queens und Ice Kings – sagen dasselbe über sich. Aus meiner Sicht mehr als genügend Argumente, mich gerade in Corona-Zeiten dieser Herausforderung zu stellen.

Jeden Morgen nahm ich hintereinander 40 tiefe Atemzüge. Beim letzten leerte ich die Lunge und hielt die Luft so lange an, wie es sich angenehm anfühlte. Dann atmete ich tief ein und hielt die Luft noch mal an – diesmal für 15 Sekunden. Das machte ich insgesamt dreimal hintereinander. Bei der letzten Runde konnte ich mit der Zeit problemlos für zwei Minuten die Luft anhalten, weil mein Blut so viel Sauerstoff aufgenommen hatte. Mein Rekord liegt bei zwei Minuten und 40 Sekunden.

Zum Abschluss absolvierte ich jeweils eine vierte Runde, bei der ich am Schluss ausatmete und mit angehaltener Luft Liegestützen machte. Der Körper atmet innerlich weiter, indem er den Sauerstoff verbraucht, der sich im Blut angesammelt hat. Die Liegestütze machen sich wie von allein.

Vom Warm- zum Kaltduscher

Die kalten Duschen, an die ich mich im Oktober heranzutasten begann, waren hart. Zuerst musste ich die Temperatur so einstellen, wie ich das immer tat – also knapp an der Grenze zur Verbrühungsgefahr –, mich waschen und die Temperatur dann für eine Minute lang senken, um sie anschliessend wieder zu erhöhen. Mit der Zeit verlängerte ich die Kaltphasen bis auf fünf Minuten.

Mein Gesichtsausdruck muss erbärmlich ausgesehen haben: verzerrt, als hätte ich in eine Zitrone gebissen. Ich tat mir auch wahnsinnig leid. Wie angetönt: Ich duschte vor der Eisbad-Challenge so heiss, dass in meinem Haushalt niemand nach mir in die Kabine wollte. «Machst du mal wieder Hamam?» – solche Sprüche musste ich mir täglich anhören. Ich ging davon aus, dass mein Organismus ohne dieses Ritual nicht auf Touren kommt. Ich bin das, was man ein «Gfrörli» nennt. An schlechten Tagen fühlen sich meine Füsse an wie Eiszapfen.

Die kalten Duschen rissen mich täglich aus meiner Homeoffice-Lethargie heraus. Nach ihnen war ich definitiv wach und stolz darauf, dass ich schon so früh am Morgen ein wenig über mich hinausgewachsen war. Freeskier Andri Ragettli (22) erzählte mir kürzlich im Rahmen eines Interviews, wie er sich bei einem Kältebad im Caumasee bei Flims GR vorgestellt hatte, dass die Kälte an seiner Haut abprallt. Solche Gedanken gehören zum Mentaltraining im Spitzensport. In der Badewanne in Bern sassen vor mir auch schon erschöpfte Schwinger, um ihre Muskulatur in kurzer Zeit wieder leistungsfähig zu machen.

Die Zähne klappern, sprechen ist gerade nicht möglich

Ich sitze nun schon vier Minuten im Kältebad und hätte es noch länger ausgehalten. Doch ich weiss nicht, wie mein Körper nach dem Bad auf den Kälteschock reagiert. Als ich die Wanne verlasse, fühlt sich noch alles okay an. Ändu macht mir eine Aufwärmübung vor, die an Kampfsport erinnert. Wichtig sei, dass ich jetzt noch nichts anziehe.

Das würde dem Körper signalisieren, dass wieder alles okay ist. Die Poren und Venen würden sich öffnen. Das kalte Blut in den äusseren Gefässen, das Schalenblut, würde sich mit dem Blut des Kerns vermischen, die Körpertemperatur rasant sinken. Bei sehr stark unterkühlten Personen kann das zu einem Kältesturz führen.

Vielleicht habe ich mich doch etwas zu schnell angezogen. Denn als ich vor der Kamera für ein Video ein paar Fragen beantworten soll, merke ich, dass meine Zähne so stark klappern, dass ich nicht sprechen kann. Ich mache Kniebeugen so motiviert wie noch nie in meinem Leben, das Zittern hört nach einer Minute auf. So richtig kehrt die Wärme erst wieder in meinen Körper ein, als ich in Zürich ankomme. Nach zwei Stunden Autofahrt. Mit einer glühenden Sitzheizung am Rücken.

Ice Ice Baby

Wer zur Icewoman oder zum Iceman werden will, muss unbedingt die Sicherheitsregeln kennen und die Anleitung eines Profis in Anspruch nehmen. Online-Tutorials bieten sich an. Zum Beispiel die von Wim Hof auf dessen Webseite (Wimhofmethod.com) oder die von Andreas Lanz, Personal Trainer des Fitnessclubs der Tatkraft-Werk GmbH in Bern (Tatkraft-training.ch).

Die Methode, die das Bad mit Atemübungen kombiniert, hat der Niederländer Wim Hof (60) entwickelt. Seine Fachliteratur ist auf Deutsch erhältlich. Schauspielerin Gwyneth Paltrow (48) widmet ihm in ihrer Lifestyle-Serie von Netflix eine Folge. Hof hat mehrere Rekorde im Zusammenhang mit Kälte aufgestellt. Unter anderen bestieg er Mount Everest und Kilimandscharo – in nichts ausser Shorts und Schuhen.

Um zu beweisen, dass er sein Immunsystem mithilfe seiner Methode kontrollieren kann, liess sich Hof vor zehn Jahren unter ärztlicher Aufsicht Bakterien in die Blutbahnen spritzen, auf die das Immunsystem «normaler» Menschen mit Schüttelfrost, Fieber etc. reagieren würde. Bei ihm – und später bei weiteren Probanden – traten diese Symptome nicht auf. Um die Wirkung der Methode als wissenschaftlich erwiesen bezeichnen zu können, müsste der Versuch jedoch auf eine grosse Zahl von Individuen ausgeweitet werden.

Wer zur Icewoman oder zum Iceman werden will, muss unbedingt die Sicherheitsregeln kennen und die Anleitung eines Profis in Anspruch nehmen. Online-Tutorials bieten sich an. Zum Beispiel die von Wim Hof auf dessen Webseite (Wimhofmethod.com) oder die von Andreas Lanz, Personal Trainer des Fitnessclubs der Tatkraft-Werk GmbH in Bern (Tatkraft-training.ch).

Die Methode, die das Bad mit Atemübungen kombiniert, hat der Niederländer Wim Hof (60) entwickelt. Seine Fachliteratur ist auf Deutsch erhältlich. Schauspielerin Gwyneth Paltrow (48) widmet ihm in ihrer Lifestyle-Serie von Netflix eine Folge. Hof hat mehrere Rekorde im Zusammenhang mit Kälte aufgestellt. Unter anderen bestieg er Mount Everest und Kilimandscharo – in nichts ausser Shorts und Schuhen.

Um zu beweisen, dass er sein Immunsystem mithilfe seiner Methode kontrollieren kann, liess sich Hof vor zehn Jahren unter ärztlicher Aufsicht Bakterien in die Blutbahnen spritzen, auf die das Immunsystem «normaler» Menschen mit Schüttelfrost, Fieber etc. reagieren würde. Bei ihm – und später bei weiteren Probanden – traten diese Symptome nicht auf. Um die Wirkung der Methode als wissenschaftlich erwiesen bezeichnen zu können, müsste der Versuch jedoch auf eine grosse Zahl von Individuen ausgeweitet werden.

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