Darum gehts
Pubertät ist, wenn Eltern sich plötzlich nutzlos fühlen. Die kleine Tochter, die früher kaum ohne Mama und Papa einschlafen konnte, findet sie plötzlich peinlich. Der Sohn, der Ausflüge mit der Familie liebte, möchte die Sonntage lieber mit Freunden verbringen.
Abnabelung war für frühere Elterngenerationen einfacher
Die Ablösung eines Kindes von seinen Eltern beginnt bereits früh und passiert in kleinen Schritten. Doch in der Pubertät wird sie für viele Eltern plötzlich zur Herausforderung.
Nicht nur Streit und Hormonchaos sind vorprogrammiert, viele Eltern leiden während der Teenagerjahre auch unter Verlustängsten. Sie fürchten, die starke emotionale Nähe zum Kind zu verlieren. Wie sie diese Ängste vermeiden und das Selbständigwerden ihres Kindes auf positive Weise begleiten können, erklärt die Expertin in sechs Punkten.
Persönliche Grenzen schaffen Sicherheit
«Eltern stehen heute unter grossem Druck, da sie viele Aufgaben gleichzeitig bewältigen müssen – Job, Erziehung, Haushalt und andere Verpflichtungen. In ihrem Bemühen, allem gerecht zu werden, stellen sie oft ihre eigenen Bedürfnisse zurück. Dadurch fühlen sich Kinder für ihr Wohl verantwortlich, was die Ablösung erschwert. Doch wenn Eltern gut für sich selbst sorgen, geben sie ihren Kindern die Freiheit, unbeschwert aufzuwachsen. Dazu gehört, klare Grenzen zu setzen, sich Zeit für sich zu nehmen und Hobbys zu pflegen – ohne dass sich das Kind abgelehnt fühlt. Ein stabiles Familiensystem gibt Sicherheit. Fehlt diese, schlüpfen Kinder oft in eine unterstützende Rolle, was ihre eigene Entwicklung hemmt.»
Vertrauen schenken, Verantwortung übergeben
«Eltern wollen das Beste für ihre Kinder und haben oft klare Vorstellungen davon, was das Beste wäre – sei es in Bezug auf Ausbildung oder schulische Leistungen. Doch es ist essenziell, Kindern zu vermitteln: Ich vertraue dir, du schaffst das. Wenn man ihnen schrittweise Selbständigkeit zugesteht, sie eigene Entscheidungen treffen lässt und akzeptiert, dass auch Fehler passieren, erfahren Kinder Selbstwirksamkeit. Diese Erfahrung ist wertvoller als durchgehend gute Noten.»
Freunde nicht als Konkurrenz wahrnehmen
«Teenager orientieren sich zunehmend an ihrem Freundeskreis. Aus gutem Grund: Nur dort können sie sich ausserhalb der Familie mit Werten auseinandersetzen und ihre Persönlichkeit in einem sozialen Gefüge weiterentwickeln. Innerhalb der Familie ist das schwieriger, da Kinder oft bis ins Erwachsenenalter in ihrer angestammten Rolle verharren. Die Peer-Group ist ein wichtiges, ergänzendes System zur Familie.»
Eigenen Werten treu bleiben
«Eltern dürfen authentisch sein und müssen nicht alles akzeptieren. Sie dürfen ansprechen, was ihnen wichtig ist. Wenn sie sich beispielsweise gemeinsame Familienzeit am Sonntag wünschen, sollten sie diesen Wunsch mit ihren Kindern diskutieren. Gleichzeitig ist es essenziell, die Bedürfnisse der Kinder ernst zu nehmen. Entscheidend ist, eigene Werte klar zu formulieren und zu leben – nicht vorwurfsvoll, sondern gleichwürdig. Damit setzen Eltern ein gutes Vorbild.»
Rückzug und Raum zugestehen
«In manchen Familien ziehen sich Teenager stark in ihr Zimmer zurück, verriegeln die Tür und kommen kaum noch heraus. Oft steckt dahinter die Angst, dass ihre Privatsphäre nicht respektiert wird. Deshalb ist es wichtig, mit dem Kind im Gespräch zu bleiben und herauszufinden, wie viel Rückzugsraum es in der Pubertät braucht. Wenn Eltern diesen Raum von sich aus zugestehen, muss das Kind ihn nicht mühsam erkämpfen. Das zeigt Respekt. Allerdings sollten Eltern aufmerksam werden, wenn sich ihr Teenager extrem isoliert, keine Kontakte zu Gleichaltrigen hat, seine Hobbys aufgibt oder nicht mehr über persönliche Themen spricht.»
Emotional verfügbar bleiben
«Auch wenn sich ein Teenager zurückzieht, sollten Eltern weiterhin Interesse zeigen, damit der Kontakt nicht abbricht. Sie müssen nicht alles über das Leben ihres Kindes wissen, können aber neugierig und offen Fragen stellen. Eine bewährte Methode, um zurückhaltende Teenager zum Reden zu bringen, ist, selbst etwas zu erzählen – ohne Druck oder Erwartungen. Es müssen keine tiefgründigen Gespräche sein, sondern einfach kleine Einblicke in den eigenen Alltag, zum Beispiel über schöne Erlebnisse oder lustige Momente. Das signalisiert Interesse und lädt zum Austausch ein.»