Frei oder sicher?
Freigang oder Wohnungshaltung: Was ist besser?

Genetisch gesehen sind unsere Stubentiger noch kaum Haustiere: Wie viel Freiheit und Sicherheit das Büsi bekommt, ist ein Abwägen.
Publiziert: 12.06.2024 um 14:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2024 um 14:33 Uhr
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Stubentiger oder Freigänger? Möglich ist beides.
Foto: Getty Images
Stephenie Siegmann

Wer mit dem Gedanken spielt, sich eine Katze als Haustier anzuschaffen, sieht sich bald mit einer der zentralen Fragen unserer Zeit konfrontiert. Wenn sich ein Individuum durch das blosse Ausleben seiner Bedürfnisse selbst in Gefahr bringen und schlimmstenfalls sogar Schaden erleiden kann, müssen wir das dennoch zulassen, weil dessen Recht auf freie Entfaltung schwerer wiegt als jenes auf körperliche und seelische Unversehrtheit?

Anders gefragt. Gibt es einen Weg, für Sicherheit zu sorgen, ohne die Freiheit einzuschränken? Oder ganz praktisch: Sollte man der Katze freien Zugang nach draussen gewähren und all die Unsicherheiten, Unwägbarkeiten, Gefahren sowie das statistisch signifikant kürzere Leben des geliebten Vierbeiners einfach in Kauf nehmen? Ist ein Katzenleben innerhalb der vier Wände einer Wohnung vorzuziehen, weil sicherer, wenn auch langweiliger, aber dennoch besser, weil sicherer? Kann man nicht beides haben? Den Kuchen kaufen und ihn essen, den «Foifer und das Weggli», für Freiheit und Sicherheit sorgen?

Bedürfnisse abwägen

Es gilt, verschiedene Bedürfnisse der Katze gegeneinander abzuwägen. Vermenschlichend implizieren wir den Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung und das Bedürfnis, das eigene Wesen auszuleben. Doch wie können wir wissen, dass die Katze nach diesen Dingen strebt? Können wir nicht. Freiheit, Selbstbestimmung und dergleichen sind menschliche Begriffe. Die Katze kennt weder sie noch weiss sie, was wir damit verbinden. Doch wir können die Wünsche und den Willen eines Wesens durchaus an seinem Verhalten erkennen. Dazu muss man nur eine Katze in einem Tierheim mit einer vergleichen, die nicht den ganzen Tag in sehr begrenztem Raum verbringen muss. Pirschen, kauern, rennen, jagen ... Neugier auf die Welt und auf Abenteuer, das macht eine Katze aus. Dann wäre da noch das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit und Gesundheit.

Bestens an das Leben in der Wildnis angepasst: Katzen sind genetisch gesehen kaum domestiziert.
Foto: Getty Images

Katzen sind genetisch gesehen kaum domestiziert und bestens an das Leben in der Wildnis angepasst. Und doch gibt es Katzen, die es vorziehen, den grössten Teil des Tages in einer menschlichen Behausung auf Couch oder Heizung zu liegen, als draussen herumzuspazieren. Und so, wie es Menschen gibt, die lieber draussen sind als drinnen, gibt es auch Katzen, die in ihrem «Zuhause» eher Hotelgast sind. Essen, defäkieren, sich putzen, schlafen und dann wieder gehen. Den grössten Teil ihres wachen Lebens verbringen sie im Freien.

Anders als wild lebende Tiere können sich Katzen an ein Leben, das ausschliesslich drinnen stattfindet, problemlos gewöhnen, sofern die Umstände die richtigen sind. Ist ein Tier von Geburt an als Wohnungskatze sozialisiert und ausschliesslich drinnen aufgewachsen, so wird es kaum je etwas vermissen. Anders liegt der Fall bei einer Katze, die von klein an Freigang gewohnt ist. Eine Umgewöhnung gestaltet sich oftmals sehr schwierig, wenn auch nicht völlig unmöglich. 

Freigang, darauf ist zu achten

Wenn ihr dem Tier Freigang gewähren wollt, so ist zu prüfen, ob man diesen überhaupt gewähren kann und darf. Fragt euch , wie die Katze hinein und hinaus kommen soll. Lassen es die baulichen Eigenschaften des Wohnorts zu? Wohnt ihr in einem der oberen Stöcke eines Mehrfamilienhauses? Wie sieht die Umgebung aus? Wohnt ihr im Grünen, in einer verkehrsberuhigten Zone oder verlaufen rund ums Haus oder in ein paar hundert Metern Entfernung diverse, stark befahrene Strassen? Wie ist die Situation mit den Nachbarn? Katzenfreunde, Katzenhasser? Gibt es Hunde im Haus? Und wie steht es mit dem Vermieter, falls man zur Miete wohnt? Erhaltet ihr die Bewilligung, eine Katze mit Freigang zu halten?

Es kommt also sehr darauf an, wie man die oben gestellten Fragen beantwortet. Jede dieser Fragen stellt für sich allein gestellt ein mögliches K.-o.-Kriterium dar. Selbst wenn man alle Fragen zur Zufriedenheit beantworten kann, ist ein gefahrloser und sicherer Freigang noch lange nicht gewährleistet, denn Gefahren, die draussen auf den Vierbeiner warten, gibt es genügend. Strassenverkehr, fremde Katzen (Raufbolde!), Tierquäler (Giftköder!) und in ländlichen Umgebungen auch Jäger, die auf Katzen schiessen. Hinzu kommen Infektionskrankheiten und Parasiten, die sich das Tier draussen schnell mal einfangen kann. All diesen potenziellen Gefahren zum Trotz gibt es Katzen, die den grössten Teil ihres Lebens draussen verbringen und dennoch ein hohes Alter erlangen. Katzen können bis zu zwanzig Jahre und älter werden, doch es hat durchaus seinen Grund, warum die Statistik für Freigängerkatzen eine durchschnittliche Lebenserwartung von nur acht (Kater) bis zwölf Jahren (Katzen) angibt. 

Glückspilz im Grünen

Du bist ein Glückspilz mit Wohnung im Grünen fernab von jeglichem Strassenverkehr? Die Nachbarn stören sich nicht an deinen Katzen, der Vermieter erteilt die Bewilligung für den Freigang und der Schreiner hat Ihnen eine Katzentür als Durchgang nach draussen montiert? Dann kann es also losgehen, oder? Gewiss, aber beachtet folgende drei Punkte: Den richtigen Zeitpunkt, Kastration und Chip, regelmässige Gesundheitsvorsorge. 

Nicht weniger als zwei Monate, manche raten sogar eher zu drei, sollte man die Katze in der Wohnung oder im Haus belassen. Eine Katze, der man die Tür nach draussen öffnet, sollte sich in ihrem Zuhause gut eingelebt und dieses akzeptiert haben. Wenn das Tier zu früh Freigang erhält, kann es passieren, dass es abwandert. Manche Katzen laufen zurück zum alten Wohnort. Es ist erstaunlich, wie diese Tiere sich orientieren können. 

Draussen kommt es zu Begegnungen mit anderen Katzen – die sind nicht immer liebevoll.
Foto: Getty Images

Unkastrierte Kater tendieren dazu, nach und nach ein sehr weitläufiges Territorium zu schaffen. Sie lassen sich dabei auch nicht von stark befahrenen Strassen beeindrucken, sollten diese es wagen, ihr Territorium zu durchkreuzen. Sie sind aggressiver und raufen eher mit Artgenossen. Die Gefahr einer Infektion mit ansteckenden Krankheiten ist dadurch leider signifikant höher als bei kastrierten Artgenossen. Unkastrierte Kätzinnen können nicht nur ungewollten Nachwuchs mit nach Hause bringen, auch sie können sich mit Krankheiten anstecken. Man erweist dem Tier, der Umwelt und sich selbst also einen grossen Dienst, wenn man seine Katze kastrieren lässt, bevor sie nach draussen darf.

Kein Halsband oder GPS!

Auch wenn viele Katzen von selbst lernen, mit dem Strassenverkehr umzugehen, geschehen vor allem in den dunklen Wintermonaten viele Unfälle, weil Autofahrer die Tiere im Halbdunkel nicht gut sehen oder Entfernungen falsch einschätzen. Dieses Risiko kann man etwas einschränken, wenn man sein Tier von Anfang an daran gewöhnt, dass kurz vor Sonnenuntergang Futterzeit ist. So wird es sich auch später als Freigänger meistens pünktlich zuhause einfinden, wenn es was zu fressen erwartet. Doch leider wird man nie sämtliche Gefahren ausschliessen können.

Kein Halsband oder GPS: Die Katze kann sich damit verletzen.
Foto: Getty Images/EyeEm

TIPP: Die Katze von Welt trägt draussen wie drinnen nichts ausser ihrem Fell. Kein Halsband oder Schultergurt mit GPS-Empfänger. Im Wettstreit mit Artgenossen können solche «coolen Gadgets» behindern. Ausserdem kann ein Halsband in der freien Wildbahn tödliche Folgen haben. Das Tier kann im ungünstigsten Fall im Gestrüpp oder an einem Zaun hängen bleiben und beim Versuch, wieder loszukommen, jämmerlich sterben. Es braucht kein Halsband, damit ein Tier identifiziert werden kann. Es reicht vollkommen aus, wenn bei der Kastration ein Transponder-Chip injiziert und die Nummer an die entsprechende Datenbank weitergegeben wird. Möchtet ihr trotzdem nicht auf ein Halsband verzichten, verwendet unbedingt eines mit Sicherheitsverschluss.

Gesundheitsvorsorge ist vor allem für «Draussenkatzen» sehr wichtig, deshalb sollte das Tier regelmässig dem Tierarzt vorgestellt werden, um neben dem obligatorischen Check auf Herz und Nieren alle notwendigen Impfungen durchzuführen und auf allfällige unliebsame Gäste, wie Würmer oder Flöhe zu untersuchen.

Die Katze lässt das Jagen nicht

Die Katze wurde domestiziert, weil sie eine gute Jägerin ist. Diesen Instinkt kann man nicht abgewöhnen.
Foto: AFP

Ein anderer Aspekt, den wir hier nicht aussen vor lassen sollten, ist die Belastung des lokalen Ökosystems durch die kleinen, krallenbewehrten Räuber. Die sozialen Beziehungen zu den Nachbarn können arg strapaziert werden, wenn das Büsi die Fische aus Nachbars Teich stibitzt und zum Dank im Gemüsebeet die Notdurft verrichtet. Nicht jeder weiss diese kostenfreie Gabe von Karnivorendünger zu schätzen. Katzen das Jagen abgewöhnen zu wollen ist ein genauso unbrauchbarer Vorschlag wie den Fleischfressern vegetarische Ernährung angedeihen zu lassen. Weit wird man damit nicht kommen. Sollte man die Katze also vielleicht doch besser in der Wohnung lassen? Dem Tier und der Umwelt zuliebe?

Wohnungshaltung

Habt ihr vor, eure Katze ausschliesslich drinnen zu halten, so könnt ihr euch zum Beispiel die Tollwutimpfung sparen. Dafür sollte man Zeit in die katzengerechte Umstrukturierung der Wohnung investieren. 

Büsi können sich auch drinnen wohl fühlen – wenn sie artgerecht gehalten werden.
Foto: Getty Images/EyeEm

Hier dennoch ein geraffter Überblick: Die Katze erwartet Rückzugsmöglichkeiten, Liegeflächen (am besten mit und ohne Aussicht aus einem Fenster) und möchte regelmässig bespasst, abwechslungsreich unterhalten und gefordert werden. Sie sollte nicht immer wieder über lange Zeit alleine gelassen werden. Bei einer Wohnungshaltung empfiehlt es sich ohnehin, zwei Tiere, die sich gut verstehen, zusammen zu halten, denn die meisten Katzen sind sehr soziale Tiere und benötigen regelmässigen, liebevollen und verlässlichen Kontakt. Das sind auch schon die groben Richtlinien für die Wohnungshaltung. Fragt sich nun, ob es nicht noch mehr gibt, das man tun kann. Wenn ihr einen Balkon habt, den ihr dem Tier zugänglich machen könnt, ist das schon ein Upgrade! Aber auch da geht noch was.

Die goldene Mitte

Wenn ihr über einen Gartensitzplatz, eine Terrasse oder einen kleinen Gartenanteil verfügt, könnt ihr eurem feliden Liebling vielleicht die goldene Mitte anbieten. Die Vorteile der Wohnungshaltung und des Freigangs finden sich hier vereint. Allerdings inkludiert dieses Modell das volle Programm regelmässiger gesundheitlicher Vorsorge und Impfungen und natürlich muss hier die Bewilligung des Eigentümers/Vermieters für die Sicherheitsmassnahmen eingeholt werden.

Sichert den Bereich, in dem sich die Katze bewegen kann, so gut ab, dass sie die Hindernisse nicht überwinden kann, wie zum Beispiel einen Baum, der sich auf dem Grundstück befindet. Gleichsam sollten andere Tiere nicht eindringen können. Natürlich sollten in diesem Bereich keine für Katzen giftigen Pflanzen zu finden sein. Wenn ihr im Garten Düngemittel einsetzen, achtet darauf, dass dieses für Ihre Vierbeiner gut verträglich ist.

Wenn ihr dies so weit beachtet, steht eurem feliden Freund zwar nicht die grosse weite Welt, aber doch zumindest Ihr Garten für abenteuerliche Entdeckungsreisen offen.

Das Katzen Magazin

Ob langjähriger Besitzer, Liebhaber und Züchter: Das «Schweizer Katzen Magazin» richtet sich mit vielseitigen und kompetenten Beiträgen an alle Freunde der Samtpfoten. Dieser Artikel stammt aus dem Katzen Magazin – für noch mehr Verständnis und Freude mit Ihrer Katze!

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