Spass haben ohne Spontaneität
Wege zu gutem Sex: Leidenschaft ist überbewertet

Sexualwissenschaftlerin Emily Nagoski entlarvt das gesellschaftliche Ideal von spontanem Sex als hinderlich. Mit persönlichen Beispielen illustriert die Amerikanerin in ihrem neusten Sachbuch, wie viel Spass geplante Intimität machen kann.
Publiziert: 23.08.2024 um 16:09 Uhr
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Aktualisiert: 29.08.2024 um 09:07 Uhr
Leidenschaftlicher Sex ist gemäss der Sexualwissenschaftlerin nicht die einzige Form von gutem Sex.
Foto: Getty Images/Westend61
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Jonas DreyfusService-Team

Sexualwissenschaftlerin Emily Nagoski (47) erläutert in ihrem neusten Sachbuch «Kommt zusammen», wie uns das Idealisieren von Spontaneität daran hindert, Spass im Bett zu haben. Oder umgekehrt: Wie viel Vergnügen wir haben können, wenn wir uns von gesellschaftlichen Vorstellungen verabschieden, wie guter Sex zu sein hat.

Viele Bücher über Sex in Langzeitbeziehungen, schreibt sie, handeln davon, «den Funken der Leidenschaft» zu erhalten. Ihres nicht. Nagoski räumt mit dem Wirrwarr an Irrtümern auf, denen wir aufsitzen – meist aufgrund uralter Vorstellungen davon, was sich im Bett gehört, und was nicht. Einige Beispiele:

  • Am Anfang einer Beziehung sollten wir einen «Funken» spüren, ein spontanes, schwindelerregendes Begehren nach sexueller Intimität. Dieses Begehren kann sich sogar obsessiv anfühlen.
  • Die «funkensprühende» Lust, die wir am Anfang einer Beziehung empfinden sollten, ist die einzig richtige, beste, gesunde und normale Art von Begierde. Wenn wir sie nicht empfinden, hat das alles keinen Wert.
  • Falls wir unser Sexleben in irgendeiner Weise vorbereiten oder planen müssen, dann sind wir insgeheim zu wenig interessiert daran.
  • Wenn die Partnerin oder der Partner uns nicht spontan, aus heiterem Himmel, ohne Anstrengung oder Vorbereitung regelmässig will, will sie oder will er uns eigentlich nicht «richtig».

Diese Begehrens-Imperative, wie Nagoski es nennt, gelte es zu überwinden. Sie würden uns vormachen, dass es nur einen korrekten Weg gibt, Lust zu erleben, und alles andere nicht zählt. Das Ironische daran sei, dass Sorgen, die sich Menschen um die Erhaltung des sprühenden Funken machen, vor allem auf die Bremse treten. Es sei nicht die Lust, die zähle, nicht die Leidenschaft und nicht das Begehren. «Das Wichtigste ist Vergnügen.»

Der Inbegriff von Impulsivität: Sharon Stone und Michael Douglas 1992 in «Basic Instinct». Im echten Leben entsprechen Liebesbeziehungen nicht immer wie eine «Amour fou».
Foto: imago/Granata Images

Nagoski illustriert das mit einem Beispiele aus ihrem eigenen Leben. In ihren Zwanzigern führte sie einer On-off-Beziehung mit einem Mann, der seiner Ex-Freundin nachtrauerte und hoffte, dass sie irgendwann zu ihm zurückkehrt.

Weil das Nagoskis Gefühle verletzte, beschlossen die beiden, Freunde zu sein, landeten nach einer Party aber doch wieder in seiner Wohnung, wo er «den ersten Schritt» machte.

Der Reiz des Verbotenen

Das sei sexy gewesen. Sie habe die Aufregung des «Ich will, aber ich sollte nicht» gespürt. Trotzdem sprach sie den Typen darauf an, dass das nicht zur gemeinsamen Abmachung gehört. Sie diskutierten und beschlossen einstimmig, nur noch ein letztes Mal miteinander zu schlafen.

Darauf zu warten, bis der Funke sprüht, kann müde machen.
Foto: Getty Images/Tetra images RF

Ob sie sich daran gehalten haben, ist eine andere Geschichte. Jedenfalls sei ihr starkes Verlangen weg gewesen, als sich die Spontaneität und der Reiz des Verbotenen aufgrund des Gesprächs aufgelöst hatten, schreibt Nagoski.

Sie habe zwar Lust auf Sex verspürt, war sich aber im Klaren, kein Feuerwerk mehr erwarten zu können. «Aber meine Geschichte endet nicht mit dem Verschwinden meines spontanen Begehrens. Coen und ich hatten in dieser Nacht Sex, und es hat echt Spass gemacht. Es war spielerisch leicht und nicht verzweifelt. Und am nächsten Tag verfiel er nicht in seine alten Gewohnheiten.»

Worauf Nagoski hinaus will: Wenn sie sich Coen ohne Gespräch hingegeben hätte, wären ihre Gefühle früher oder später wieder verletzt worden. Und wenn sie sich von der Vorstellung hätte leiten lassen, dass nur der leidenschaftliche Sex, der aus dem Moment heraus entsteht, etwas wert ist, hätte sie ihre Sachen gepackt und wäre gegangen. Wie viel Spass sie mit «abgesprochenem» Sex haben kann, hätte sie nie erfahren.

Sie erforscht sexuelles Verhalten

Sexualwissenschaftlerin Emily Nagoski (47) forschte während ihres Studiums am renommierten Kinsey Institute in Bloomington (Indiana) und war acht Jahre lang in leitender Funktion am Smith College in Northampton (Massachusetts) tätig, dem grössten Frauencollege der USA. Danach schrieb sie die Bücher «Komm, wie du willst» und «Stress» – beides «New York Times»-Bestseller. «Kommt zusammen – die Kunst (und Wissenschaft!) sexuell erfüllter Beziehungen» erscheint am 2. September. Nagoski lebt mit zwei Hunden, einer Katze und einem Mann, der als Cartoonist arbeitet, in Massachusetts.

Paul Specht

Sexualwissenschaftlerin Emily Nagoski (47) forschte während ihres Studiums am renommierten Kinsey Institute in Bloomington (Indiana) und war acht Jahre lang in leitender Funktion am Smith College in Northampton (Massachusetts) tätig, dem grössten Frauencollege der USA. Danach schrieb sie die Bücher «Komm, wie du willst» und «Stress» – beides «New York Times»-Bestseller. «Kommt zusammen – die Kunst (und Wissenschaft!) sexuell erfüllter Beziehungen» erscheint am 2. September. Nagoski lebt mit zwei Hunden, einer Katze und einem Mann, der als Cartoonist arbeitet, in Massachusetts.


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