Wie viele Dates hatten Sie schon?
Anne-Kathrin Gerstlauer: Da muss ich erst mal rechnen. Ich mache Online-Dating seit sechs, sieben Jahren. (Rechnet) 30 Dates. Vielleicht auch 40, einige habe ich sicher verdrängt.
Sind Sie schwer vermittelbar?
Hmmm, kommt auf die Perspektive an. Früher hab ich gedacht, dass bei mir was falsch ist, und habe die Fehler bei mir gesucht. Meine Freunde sagten, du bist hübsch, klug und witzig. Aber auf Dates kam das nicht so an. Wir sagten manchmal nach zwei Gläsern Wein: Es wär einfacher, wenn wir dümmer wären.
Ist das Internet schuld an schlechten Dates?
Ich spreche oft mit Single-Freunden übers Daten. Viele sagen: Tinder und Co. haben alles kaputtgemacht. Aber das ist zu einfach.
Wo liegt die Ursache?
Beim Recherchieren fiel mir auf, dass ich mich auf Dates kleiner mache, als ich bin. Ich habe schon mein Gehalt niedriger angegeben, als ich gefragt wurde. Ich frage Männer um Rat, obwohl ich schon eine Entscheidung getroffen habe. Ich gebe an, Hilfe zu benötigen, obwohl ich gar keine brauche.
Sie nennen das «Gender-Dating-Gap». Was bedeutet das?
Wir daten nicht auf Augenhöhe. Der Mann will erobern, die Frau erobert werden. Dinge, die einen Mann attraktiv machen – Intelligenz, Selbstbewusstsein, guter Job –, sind für Frauen eher hinderlich. Der Mann kann vieles wettmachen. Ist er witzig, darf er nicht so gross sein. Ist er reich, darf er alt sein. Anders rum funktioniert das nicht. Eine Frau darf nicht halb so schön sein und dafür doppelt so viel verdienen.
Anne-Kathrin Gerstlauer (31) wuchs in einem kleinen Ort in der Eifel (D) auf. Ihr Vater blieb zu Hause, ihre Mutter arbeitete als Ärztin. Gerstlauer studierte Journalismus in Dortmund und Washington D.C. und schrieb für diverse Medien. Sie war Vize-Chefredaktorin des Nachrichtenportals Watson in Deutschland. Heute arbeitet sie als freie Journalistin und Beraterin. Gerade ist ihr erstes Hörbuch erschienen, darin seziert sie den Datingmarkt der heutigen Zeit und die Rollen, die Männer und Frauen einnehmen. Ihr Fazit nach etlichen Gesprächen mit Frauen, Männern und Experten und Expertinnen: «Es ist alles noch viel trauriger, als ich dachte.»
Anne-Kathrin Gerstlauer (31) wuchs in einem kleinen Ort in der Eifel (D) auf. Ihr Vater blieb zu Hause, ihre Mutter arbeitete als Ärztin. Gerstlauer studierte Journalismus in Dortmund und Washington D.C. und schrieb für diverse Medien. Sie war Vize-Chefredaktorin des Nachrichtenportals Watson in Deutschland. Heute arbeitet sie als freie Journalistin und Beraterin. Gerade ist ihr erstes Hörbuch erschienen, darin seziert sie den Datingmarkt der heutigen Zeit und die Rollen, die Männer und Frauen einnehmen. Ihr Fazit nach etlichen Gesprächen mit Frauen, Männern und Experten und Expertinnen: «Es ist alles noch viel trauriger, als ich dachte.»
In Ihrem Hörbuch geht es immer wieder darum, dass sich Frauen dümmer stellen, sich die Welt erklären lassen, damit Männer stark und als Beschützer dastehen. Das klingt so falsch. Warum tun es Frauen dennoch?
Erstens, weil es Erfolg hat. Wir passen uns an die Umgebung an. Und zweitens sind diese Mechanismen jahrhundertealt. Dass man sich als Frau einladen lässt, kommt aus einer Zeit, in der Frauen gar nichts verdient haben. Das war der einzige Weg, auf ein Date zu gehen. Das kriegt man nur schwer raus. Toxische Beziehungen sehen wir auch zuhauf in Serien und Filmen. In «Twilight» opfert die Frau alles für den Mann. In «Fifty Shades of Grey» bestimmt er über sie. Anders herum sind erfolgreiche Frauen im Film immer Single und unsympathisch.
«Wir sind zu laut. Wir sind zu selbstbewusst. Wir sind zu ambitioniert. Wir verdienen zu viel Geld. Wir haben zu viel Meinung. Wir sind zu emanzipiert. Das denken die Männer über uns», schreiben Sie. Dabei würden die meisten Männer nicht wissen, dass sie das denken.
Die meisten Männer halten sich für progressiv und sagen, sie wollen eine intelligente Frau, die gut verdient. Das Problem ist, Männer, die denken, sie seien aufgeklärt und emanzipiert, hinterfragen sich gar nicht mehr. Sie schreiben mir jetzt nach der Hörbuchveröffentlichung: «Nicht alle Männer sind so.»
Haben Sie denn jetzt einen Tipp?
Ne (lacht). Das war eigentlich der Auftrag, dass ich eine Lösung finde. Wenn du es so machst, klappt es. Das ist natürlich Unsinn, weil es ein strukturelles Problem der Gesellschaft ist. Das kann ich nicht lösen, nur hinterfragen und darüber reden.
Das Hörbuch ist sehr persönlich.
Ja, das hat mir auch Mühe gemacht. Ist es zu persönlich? Kriegst du keinen Job mehr? Ich schreibe da auch über Männer, von denen ich vielleicht mehr wollte, als ich damals zugab.
War es eine Art Therapie?
Ich musste viel über mich nachdenken – es war nicht alles schön. Warum suche ich einen grösseren Mann? Warum lasse auch ich mich vom Status blenden? Ich gebe Männern eher eine Chance, wenn sie tolle Jobs haben, aber Arschlöcher sind.
Haben Sie Ihr Datingprofil nach der Recherche verändert?
Ja. Man kann bei der Dating-App Bumble Feminismus angeben. Ich sag das heute lieber frei raus, als dass es später Probleme gibt. Bei einem Mann mit Grösse 1,70 swipe ich immer noch meistens nach links.
Das ist auch oberflächlich.
Ich weiss. Einmal sagte ein Mann nach einem Date zu mir: «Ich bin dir zu klein, oder?» Da habe ich gemerkt, das ist ein Ding für den. Ich arbeite da dran.
Zu hohe Ansprüche, würden viele sagen.
Grösse ja, bei allem anderen nervt der Satz. Soll ich mich mit jemandem zufriedengeben, den ich nicht so toll finde? Ein Freund wollte mich mit einem Bekannten verkuppeln, ich fand den Typen langweilig. Er meinte, er habe einen 9-to-5-Job und viel Zeit. Das hört man von Leuten, die in einer Beziehung sind. Aber niemand will über sich hören: «Der war langweilig, aber wir sind seit vier Jahren zusammen.»
Das mit den Ansprüchen war provokant. Singles werden immer wieder damit konfrontiert.
Man muss wissen, was man will, welche Bedürfnisse man hat. Ich glaube nicht, dass das ein spezifisches Frauenproblem ist. Das Wort Ansprüche ist so negativ konnotiert, es ist immer zu viel, zu hoch. Als Frau kann man heute easy Single sein, das konnte man früher nicht. Man sagt immer, früher war alles besser. Wenn ich an meine Grosseltern denke, weiss ich nicht, ob meine Oma glücklich war. Heute haben wir hohe Scheidungsraten – es ist doch super, wenn man noch gehen kann.
Singles werden ständig von der Familie gelöchert. Wie gehen Sie damit um?
Ich lächle das meistens weg. Ich hab keine Lust mehr zu diskutieren. Sie denken wirklich, ich bin schwer vermittelbar. Vielleicht haben sie mich auch schon aufgegeben. Vergebene Leute wollen auch immer mit meinem Dating-Account swipen. Das machen die fünf Minuten, und dann sagen sie: «Oh Gott, ich darf nie wieder Single werden!» und haben Mitleid.
In einem früheren Text schrieben Sie: «Single sein ist ein Beziehungsstatus und kein Problem.» Sehen Sie das heute noch so?
Auf jeden Fall. Die Intension meines Hörbuchs war nicht: «Oh Gott, ich bin verzweifelter Single, bitte meldet euch bei mir!» Es ist nicht so, dass ich unbedingt jemanden brauche. Ich konnte ja mit Männern zusammen sein, einfach nicht mit jemandem, bei dem es genug gepasst hat. Es ist hart, jemanden zu finden, aber man ist trotzdem auch alleine glücklich. Das ist kein Widerspruch.
Sie sagen: «Ich kenne kaum eine Frau, die gerne beim ersten Date von ihrem Job erzählt oder davon, wie ihr Tag im Büro gelaufen ist. Sie wird immer riskieren, dass es arrogant rüberkommt.» Bei Männern ist das üblich.
Die Arbeit ist sein Lieblingsthema. Der Arzt erzählt, wie viele schwierige OPs er heute machte. Wenn ich sage, dass ich Journalistin bin, kommt erst mal, dass er das auch werden wollte, und dann erklärt er mir meinen Job. Männer definieren sich über ihre Arbeit, es kommt ja auch gut an. CEO, Manager, Arzt – das wird auf den Profilen angegeben. Mir erzählte eine Frau, ab dem Zeitpunkt, als sie ihren Doktortitel hinschrieb, hatte sie gar keine Matches mehr.
Viele Frauen warten auf Dating-Plattformen, bis der Mann sie anschreibt. Könnten Frauen sich da auch ändern?
Wir sollten mutiger sein. Aber ich will anderen Frauen nicht sagen, was sie zu tun haben, ich möchte, dass wir uns reflektieren.
Sie schreiben öfters als Erstes. Wie kommt das an?
Die Antwortrate ist nicht super hoch. Die Dating-App Bumble ist so beliebt geworden, weil nur Frauen die erste Nachricht schreiben können. Das hat geholfen: Frauen müssen, und sie sehen, wie schwierig es ist.
Aber den Heiratsantrag soll immer noch der Mann machen.
In meiner Fantasie macht auch er den Antrag. Jetzt denke ich natürlich: Ich muss den Antrag machen, sonst werde ich unglaubwürdig (lacht). Es ist wieder das uralte Prinzip, das bei der Hochzeit noch am stärksten manifestiert ist: Die Frau möchte erobert werden, er soll es etwas mehr wollen. Disney wollen wir nicht, aber eine emanzipierte Version davon.
Frauen wollen, dass der Mann sie will, obwohl sie ihn gar nicht will. Diese verdammte Sehnsucht, gewollt zu werden, woran liegt das?
Das fragte ich mich ganz lange. Wir Frauen brauchen viel Bestätigung, weil wir so unsicher sind. Auch wenn wir nach aussen selbstbewusst wirken, jede Frau hat Probleme mit ihrem Körper. Frauen kriegen so oft gesagt, dass sie für etwas nicht gut genug sind. In der Schule, von den Eltern, im Job. Mir half das Reflektieren. Ich frage mich immer: Ist das wirklich ein Problem oder nur mein Ego?
Brechen Sie Dates auch ab?
Das fällt mir sehr schwer, da fehlt mir das Selbstbewusstsein. Ich sage meistens schon am Anfang, ich habe nicht so viel Zeit.
Und wenn es gut läuft, ist der Termin plötzlich abgesagt.
Genau (lacht).
Unsere Generation wird immer wieder als «beziehungsunfähig» beschrieben.
Das war vor zwei, drei Jahren Trend. Es ist einfach eine super Ausrede. Für einen Mann ist es fast cool, er kokettiert damit.
Viele verteufeln Online-Dating. Sie nicht.
Nein, nur einer Plattform schuld zu geben, finde ich nervig. Ja, man muss neue Regeln einhalten – wann nicht mehr schreiben, was ist unhöflich etc. –, aber wenn man selber mal aufpasst, ist man auch nicht besser. Ich glaube Online-Dating ist für die Emanzipation etwas Positives. Die Überwindung ist nicht so gross wie an einer Bar. Schüchterne Männer kommen witzig rüber, sie können schreiben. Man lernt Leute ausserhalb der eigenen Bubble kennen. Das sind alles positive Effekte.
Letzte Frage. Ihr Vater gab vor über 30 Jahren eine Kontaktanzeige in der «Zeit» auf und fand seine grosse Liebe. Ihre Mutter. Sie möchten das auch tun?
Ja, ich werde das noch machen. Mein Vater hat damals jedenfalls wahnsinnig viele Antworten bekommen. Und schlimmer als Tinder kann es ja eigentlich nicht werden …