Treue ist in einer glücklichen Beziehung wichtig. Sie gibt einem Sicherheit und das Gefühl von Geborgenheit. Doch was Treue eigentlich genau bedeutet, muss jedes Paar für sich definieren, wie David Siegenthaler (31), psychologischer Berater bei Paarberatung & Mediation im Kanton Zürich, im Gespräch mit BLICK erklärt: «Treue wird individuell erlebt.» Das Wahrnehmen von Treue habe sehr viel damit zu tun, welche Werte und Vorstellungen jemand von einer Beziehung hat.
In einer Beziehung sei daher wichtig, dass gemeinsam besprochen und festgelegt wird, wie man als Paar treu leben will. «Am besten bespricht man das natürlich gleich von Anfang an. Man kann es immer mal wieder ansprechen und vergleichen, ob noch immer das gleiche Verständnis da ist», rät der Experte. Bevor überhaupt irgendetwas passieren kann, ist so geklärt, wie man sich dem Partner gegenüber treu zu verhalten hat.
Grosser Teil der Menschen will monogam leben
Der grosse Teil der Menschen wünscht sich eine treue Beziehung, die monogam geführt wird, wie Siegenthaler anführt. «Es gibt auch die sogenannte polyamore Beziehung – was bedeutet, dass eine Person mehrere Partner liebt und zu jedem eine Liebesbeziehung pflegt –, aber auch dort wird definiert, was okay ist und was nicht, wenn man Beziehungen mit anderen eingeht. Regeln werden immer aufgestellt.»
Treue sei für uns Menschen aber vor allem auch wichtig, um nicht ständig Energie ins Kontrollieren stecken zu müssen: «Vertrauen ist auch ein Energiesparmodus. Denn würden wir konsequent Kontrolle anstatt Vertrauen ausüben, müssten wir dafür extrem viel Energie investieren.» Jemandem Vertrauen zu schenken, sei daher viel energieschonender – neben den Gefühlen von Sicherheit, Verbundenheit und Liebe ein wichtiger Punkt.
«Das Gefühl, wir gehören zueinander, ist wichtig»
Treue ist also vor allem auch wichtig, weil sie etwas in uns auslöst. «Es braucht irgendeine Form von Bestätigung, dass man eine Verbindung hat. So fühlen wir uns geborgen, beim anderen zu Hause und können uns orientieren», stellt Siegenthaler klar. Es werden Klarheit und Grenzen geschaffen, was einem als Paar ausmacht. «Das Gefühl, wir gehören zueinander, das ist ganz wichtig.»
Darum gehen Menschen fremd
Dennoch kommt es in Beziehungen zu Vertrauensbrüchen. Wenn jemand betrügt, dann meist nie aus dem Grund: «Die Beziehung ist mir nichts mehr wert», wie der psychologische Berater ausführt.
Meist sei es so, dass dem Fremdgeher etwas in der eigenen Beziehung fehlt, das er nicht ausleben kann oder das nicht vorhanden ist. «Es sind Bedürfnisse, die beim Fremdgehen ausgelebt werden: Sei es, dass man sich wieder begehrt und verbunden fühlen möchte oder eine spannende Abwechslung zur alltäglichen Beziehung sucht. Manchmal ist die eigene Beziehung und Sexualität gut und die Person geht trotzdem fremd, um etwas komplett Neues zu erleben.»
Ein Fehltritt bedeutet nicht immer gleich das Aus. Laut Siegenthaler ist es besonders wichtig, dass man darüber spricht. «Gerade in Beziehungen, wo Paare sich schon lange nicht mehr miteinander auseinandergesetzt haben, kann die Beziehung danach auch besser werden», so der psychologische Berater. Es werden Dinge offenbart, die vorher vielleicht nicht angesprochen wurden. «Dinge, die das Paar vorher störten und man nicht wusste, wie es ansprechen, sollen jetzt gesagt werden, damit beide verstehen und eventuell das Ganze besser nachvollziehen können.»
Vielfach probiere der Fremdgeher, sich selbst im Gleichgewicht zu halten. Zu entschuldigen sei ein solcher Fehltritt natürlich keinesfalls, und er könne auf jeden Fall auch eine Beziehung zerstören. «Es ist im Moment ja trotzdem ein Vertrauensbruch und für die Person, die betrogen wurde, ist der Partner wahrscheinlich gerade der schlimmste Mensch auf der Welt.»
Das kann man bei Verdacht auf Fremdgehen tun
Wie jemand genau vorgehen will, wenn er seinen Partner verdächtigt, dass dieser fremdgeht, muss jede Person für sich selbst entscheiden. Doch Siegenthaler nennt Möglichkeiten, die es gibt:
- Ignorieren: «Im Sinn von: ‹Ich will es eigentlich gar nicht wissen, sondern meine Gedanken einfach nur unterdrücken.› Das ist tatsächlich eine Option, die man auswählen kann, aber ob sie dann effektiv glücklich macht, ist das andere», sagt der Experte. Bei allen anderen Möglichkeiten riskiert man deutlich mehr.
- Kontrollieren: Wenn man sich für Kontrolle entscheidet, muss man sich einfach bewusst sein, dass man in dem Moment auch eine Grenze überschreitet. «Dann ist man ja auch nicht mehr ehrlich und offen», so Siegenthaler. Laut dem Experten sollte man herausfinden, warum man überhaupt kontrollieren will, und dann überlegen, was man mit der Information machen möchte, die man möglicherweise erhält. «Stellt man das Gegenüber dann zur Rede, kann es auch eine Chance sein, herauszufinden, was man voneinander braucht, um wieder Vertrauen aufbauen zu können.»
- Ansprechen: Eine weitere Möglichkeit ist die direkte Konfrontation. «Man kann das Gegenüber direkt darauf ansprechen: ‹Ich habe den Eindruck, du verhältst dich anders, und ich befürchte, du könntest fremdgehen.›» Natürlich kann man in diesem Moment auch angelogen werden, aber es gibt auch die Chance auf Wahrheit.
Wieder mehr Vertrauen gewinnen
Ist jemand fremdgegangen, wurde das Vertrauen verletzt. Darum ist es wichtig, das Vertrauen Schritt für Schritt wieder aufzubauen: «Dem Fremdgeher sollte es gelingen, den Schmerz des anderen wertzuschätzen.» Das bedeutet, dass es für die Person, die verletzt wurde, ganz wichtig ist, dass der andere auch versteht, was er angerichtet hat.
Der Fremdgeher sollte laut dem Experten dem Partner wieder zeigen, dass dieser wertgeschätzt wird und wie wichtig er ist. Auch Vergebung ist von Bedeutung: «Der Fremdgeher sollt um Verzeihung bitten und die betrogene Person fragen, was und wie lange sie braucht, dass sie vergeben kann und sie beide zur gegebenen Zeit einen Schlussstrich ziehen können.»
Es ist ein Prozess der Entwicklung, der viel Zeit, Emotionen und Energie kostet, um die Beziehung wieder auf den richtigen Kurs zu bringen. Es kann sich laut Siegenthaler aber lohnen, um am Ende eine bessere, schönere und vertrauensvollere Beziehung mit der Person zu haben, welche man von Herzen liebt.