Mit der Bindungstheorie liegt ein Klassiker aus der Psychologie wieder voll im Trend. Der Ansatz teilt die Menschen in vier Typen ein und besagt, dass unterschiedliche Bindungsstile der Grund für eine gescheiterte Beziehung sein können. Auf der Videoplattform Tiktok haben Beiträge mit dem Hashtag #AttachementStyles – zu Deutsch: Bindungstypen – teilweise mehrere Millionen Aufrufe.
Dass die Theorie besonders bei jungen Erwachsenen Anklang findet, verwundert Oskar Holzberg (70), Psychologe und Paartherapeut aus Deutschland, wenig. «Beziehungen sind komplex und die Bindungstypen schaffen mit ihren klar definierten Mustern vermeintliche Orientierung», sagt er.
So prägend ist die Eltern-Kind-Beziehung
Die Bindungstheorie geht auf den englischen Psychiater John Bowlby (1907 – 1990) und die amerikanisch-kanadische Psychologin Mary Ainsworth (1913 – 1999) zurück. Beide erforschten in den 70er-Jahren die Beziehung zwischen dem Kleinkind und seinen Bezugspersonen. Dabei stellten sie fest, dass die Eltern-Kind-Beziehung unsere Beziehungen im Erwachsenenalter prägt.
Folglich kann ein Kind, das eine stabile und verlässliche Beziehung zu den Eltern hat, auch im Erwachsenenalter starke und ausgeglichene Bindungen eingehen. «Ein Kind, dessen Bedürfnisse nicht richtig wahrgenommen werden oder dessen Eltern keine zuverlässige Beziehung anbieten, tendiert im Erwachsenenalter dazu, tiefere Bindungen zu vermeiden», sagt Holzberg. Weisen Eltern ihrem Nachwuchs keine Verantwortung zu bleiben die Kinder laut Experte von ihnen abhängig und neigen später eher zu Verlustängsten. Sie verhalten sich in Beziehungen eher ängstlich.
Diese vier Bindungstypen gibt es gemäss Theorie:
- Sicher
Menschen mit einem sicheren Bindungsstil fällt es leicht, dem Partner zu vertrauen. Sie können Nähe und Intimität aufbauen und trotzdem unabhängig bleiben. Sie haben ein hohes Selbstwertgefühl und kommunizieren ihre Bedürfnisse offen. Gemäss Studien ist der sichere Bindungstyp mit etwa 60 Prozent am meisten vertreten. - Vermeidend
Menschen mit einem vermeidenden Bindungstyp stellen sich von vornherein darauf ein, Abweisung zu erleben. Um nicht enttäuscht zu werden, vermeiden sie eine intensivere Bindung und neigen dazu, Gefühle nicht ausdrücken zu können. Dieser Bindungstyp tritt bei 10 bis 15 Prozent der Menschen auf. - Ängstlich
Beziehungen von ängstlichen Bindungstypen, die etwa 15 Prozent ausmachen, sind von Verlustangst und Unsicherheit geprägt. Solche Menschen brauchen viel Nähe und befürchten, dass ihr Partner sie nicht genügend liebt. Sie haben Schwierigkeiten, allein zu sein, und klammern sich an ihren Partner, um sich sicher zu fühlen. - Desorganisiert
Mit 5 Prozent tritt dieser Bindungstyp am seltensten auf. Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil neigen zu unvorhersehbarem Verhalten. Sie wünschen sich Nähe, stossen den Partner aber gleichzeitig weg. Als Ursache werden in Studien oft psychischen Erkrankungen oder traumatische Erlebnisse wie Gewalt oder Missbrauch in der Kindheit genannt.
«Alte Erfahrungen können überschrieben werden»
An den starren Mustern der Bindungstheorie äussern manche Psychologinnen und Psychologen Kritik. Auch Holzberg. «Der Mensch bewegt sich auf einem Bindungsspektrum und weist nicht exakt einen Bindungsstil auf.» Wir alle hätten ängstliche und vermeidende Seiten an uns. «Bei manchen sind sie stärker ausgeprägt und bei anderen weniger», sagt er.
Ausserdem kann sich der Bindungstyp laut Experte über die Jahre zum Positiven verändern. «Wenn jemand mit einem ängstlichen Bindungsstil in Beziehungen Sicherheit bekommt, können die alten Erfahrungen aus der Kindheit überschrieben werden.»
Oskar Holzberg (70) berät seit mehr als 30 Jahren Paare und Einzelpersonen. Er ist ein bekannter deutscher Psychotherapeut und Kolumnist bei der «Brigitte». Als Autor hat er mehrere Bücher veröffentlicht, in denen er erläutert, worauf es in einer harmonischen Beziehung ankommt. Er ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Hamburg.
Oskar Holzberg (70) berät seit mehr als 30 Jahren Paare und Einzelpersonen. Er ist ein bekannter deutscher Psychotherapeut und Kolumnist bei der «Brigitte». Als Autor hat er mehrere Bücher veröffentlicht, in denen er erläutert, worauf es in einer harmonischen Beziehung ankommt. Er ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Hamburg.