Auf einen Blick
Im Herbst finden traditionellerweise Lohngespräche statt. Zumindest sollten sie das. Denn laut einer Umfrage der Arbeitnehmer-Organisation Angestellte Schweiz führen nur knapp die Hälfte aller Unternehmen mit ihren Angestellten Lohngespräche. Kein Wunder also, dass ein beachtlicher Anteil der Arbeitnehmenden unzufrieden ist mit dem eigenen Lohn. Wie aber verhandelt man diesen richtig? Jan Borer (29), Arbeitspsychologe bei Angestellte Schweiz, weiss Rat.
Wie komme ich überhaupt an ein Lohngespräch?
Die Antwort ist relativ simpel: darum bitten. «Man sollte den oder die Vorgesetzte proaktiv, aber höflich nach einem entsprechenden Gespräch fragen», sagt Jan Borer. Das Wording könnte so klingen: «Ich würde mich gern über meine berufliche Entwicklung und die damit verbundenen Möglichkeiten austauschen». Ein idealer Zeitpunkt dafür ist zum Beispiel ein gerade abgeschlossenes Projekt oder ein kürzlicher beruflicher Erfolg. Auch im Jahresgespräch kannst du den Lohn erwähnen. Falls darauf hingewiesen wird, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt sei, direkt um einen Termin für ein separates Gespräch bitten.
Wird ein Lohngespräch immer wieder aufgeschoben, rät der Experte dazu, hartnäckig zu bleiben, bis es klappt. Keine gute Idee ist hingegen, den direkten Vorgesetzten zu übergehen und sich an die nächst höhere Person zu wenden: «Davon würde ich stark abraten. Genauso wichtig wie die formellen sind auch die informellen Strukturen, und jemanden zu umgehen ist da nicht besonders förderlich.»
Woher weiss ich, was ein angemessener Lohn ist?
Klar, wenn du im Freundes- und Kolleginnenkreis Menschen hast, die offen Auskunft geben, erkundigst du dich zunächst dort. Ansonsten findest du auf Plattformen wie lohnrechner.ch Anhaltspunkte. Gute Nachschlagewerke sind auch das Lohnbuch des jeweiligen Kantons oder Gesamtarbeitsverträge. Und: «Man sollte nicht nur in Zahlen denken», sagt Jan Borer. «Das Gesamtpaket, das einen Arbeitgeber interessant macht, enthält auch andere Dinge, zum Beispiel Ferienanspruch oder bessere BVG-Zulagen.»
Und wie verhandle ich nun richtig?
Gut vorbereitet ist halb verhandelt! Jan Borer: «Erstens sollte man sich vorher überlegen, was das Ziel ist. Geht es nur um Geld oder auch um anderes? Zweitens muss man in der Lage sein, die eigenen Erfolge sichtbar zu machen.» Dann hilft ein selbstbewusster Auftritt – «daran scheiterts oft» – und die Fähigkeit, seine Wünsche klar zu formulieren. «Man darf ruhig zeigen, was man Wert ist», so der Experte. «Aber auch aktives Zuhören ist eine Tugend, auch als Arbeitnehmender.»
Des Weiteren gilt: Gelassen bleiben. «Mit Konsequenzen drohen, würde ich nicht empfehlen, schon gar nicht beim ersten Versuch», so der Arbeitspsychologe. Ebenfalls skeptisch steht er Vergleichen gegenüber: «Zu sagen, man möchte mindestens gleich viel verdienen wie der Kollege oder die Kollegin, kann funktionieren, oder auch nicht – vor allem, wenn man gar nicht genau weiss, wie hoch sein oder ihr Lohn überhaupt ist. Bei Lohngesprächen lässt es sich selten vermeiden, Zahlen in den Mund zu nehmen.»
Sollte ich Alternativen zur Lohnerhöhung akzeptieren?
Oft bieten Unternehmen als Alternative zu einer effektiven Lohnerhöhung zum Beispiel einen Bonus an, oder eine Pensenreduktion bei gleichbleibendem Lohn. «Ob man dies annimmt, ist sehr individuell und kommt auf die eigene Lage an», sagt Jan Borer. Der Vorteil: Man zeigt sich flexibel und legt einen guten Grundstein für weitere Verhandlungen.
Der Nachteil: Die Alternative kann bei einem nächsten Gespräch als Ausrede verwendet werden («Du hast ja erst gerade einen Bonus bekommen»). Überleg dir gut, ob das Angebot für dich eine echte Alternative ist, die deine Situation längerfristig verbessert.
Was, wenn das Gespräch scheitert?
«Kommunizieren, dass man unzufrieden ist mit dem Ergebnis, sich nicht entmutigen lassen und gleich ankündigen, dass man erneut das Gespräch suchen wird», rät der Experte. Und dies dann zum richtigen Zeitpunkt umsetzen. Wenn man zum Beispiel wegen schlechter Auftragslage vertröstet wird, um ein erneutes Gespräch bitten, wenn diese sich verbessert hat. Und wenn du über lange Zeit immer wieder vertröstet wirst? «Irgendwann muss man sich fragen, wie viel man der Firma – und sich selbst – wert ist und sich alternative Karrieremöglichkeiten überlegen.»