Genug jetzt. Nicht noch ein Krieg. Nicht noch mehr Mord, Zerstörung, Hass. Nun muss es doch mal aufhören mit den Schreckensmeldungen? Irgendwie wird derzeit alles immer schlimmer. Und doch: Die Hoffnung stirbt zuletzt, heisst es. Und das ist gut so.
«Wenn man Hoffnung verliert, kann man alles begraben: die eigenen Vorstellungen, Wünsche, Ideen», sagt Andreas M. Krafft (57), ein Ökonom und HSG-Professor, der als Koryphäe in der Erforschung der Hoffnung gilt. Ein Mensch ohne Hoffnung versinkt in Depressionen, leidet unter mangelndem Selbstwertgefühl, erachtet das Leben als sinnlos.
Kritische Masse an Hoffnungslosen
Steigt die Zahl der Menschen, die perspektivlos in die Zukunft schauen, zu einer kritischen Masse an, verändert sich die Gesellschaft zum Schlechteren. Beobachten konnte man dies in der Schweiz im zweiten Pandemiejahr 2021, als die Menschen von den Corona-Massnahmen ermüdet waren und keine Besserung in Sicht war: Solidarität und Zusammenhalt nahmen ab, es gab mehr Misstrauen, Spannungen und Konflikte.
Gut also, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. «Wir sind veranlagt, weiterhin zu hoffen, auch in schwierigen Situationen, weil uns nichts anderes übrig bleibt. Die Hoffnung gehört zu unserem menschlichen Dasein, so wie die Angst und die Sorge auch», sagt Krafft.
Die Hoffnung als empirisches Forschungsfeld ist verhältnismässig jung. Während sich die Philosophie schon seit Jahrhunderten mit der Hoffnung beschäftigt, tun dies sowohl die Pflegewissenschaften als auch die Psychologie erst seit den 1980er-Jahren. Seit 2009 misst das Institut Swissfuture mittels empirischer Befragungen in der Schweizer Bevölkerung jährlich, wie die Hoffnungswerte sind.
Das Hoffnungsbarometer und die Pandemie
Die gesellschaftlichen Spannungen im zweiten Pandemiejahr 2021 vermochte das sogenannte Hoffnungsbarometer abzubilden: Die Hoffnungsfähigkeit war im Vergleich zu den Vorjahren gesunken.
Interessanter findet Andreas M. Krafft jedoch, was auf Ebene des Individuums und gesellschaftlich im ersten Jahr der globalen Krise 2020 passierte: Das Hoffnungsniveau stieg.
Der Co-Präsident von Swissfuture und Studienleiter des Hoffnungsbarometers erklärt: «Es herrschte ein Gefühl des ‹Jetzt erst recht›. Die Menschen hatten die Hoffnung, dass wir die Pandemie und die dazugehörige Isolation überwinden können. Dies zeigte sich in einer verstärkten Solidarität und Hilfsbereitschaft.»
Ein Beispiel dafür, dass wir als Menschen an eine positive Entwicklung glauben. Glauben wollen.
Optimismus ist nicht Hoffnung
Mit Optimismus hat dies allerdings nichts zu tun. Für die französische Philosophin Corine Pelluchon (55) ist Hoffnung gar das Gegenteil von Optimismus, wie sie kürzlich in der SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie» sagte. Optimismus gleiche einer Maske der Verleugnung, denn er lasse einen glauben, man kenne die Lösung zu allen Problemen. Hoffnung setze hingegen voraus, dass man Schwierigkeiten erkenne.
Hoffnung ist also nicht realitätsfremd, geht nicht von einem naiven «Alles wird gut» aus. Die Hoffnung hat einen Realitätsbezug, sie nimmt Hindernisse und Probleme wahr. Sie sieht die Möglichkeit, dass nicht alles gut wird. Und ist doch der Motor für Veränderung. Getrieben von einem Herzenswunsch und dem Glauben, dass die Erfüllung des Wunsches möglich ist, dank Selbstwirksamkeit, Zusammenhalt und Kollaboration.
Wie Hoffnung dargestellt wird
Im Bilderbuch «Hoffnung» von Corrinne Averiss ist Finn in Sorge um seinen kranken Hund. Er zieht sich in sein Zimmer zurück, verkriecht sich im Dunkeln in ein Zelt. Sein Vater sagt, sie könnten nun noch hoffen. Mit einer Taschenlampe zündet er ins Schwarz und sagt: «Hoffnung ist das kleine Licht, das an bleibt, auch wenn rundherum alles dunkel ist.» Hoffnung als Lichtschimmer – ein häufig genutztes Bild.
Ganz anders stellt sich die US-amerikanische Poetin Emily Dickinson (1830–1886) die Hoffnung vor: In ihrem Gedicht «Hope is the thing with feathers» beschreibt sie Hoffnung als kleinen flatternden Vogel, der in der Seele sitzt und desto schöner singt, je heftiger der Wind bläst.
Für Krafft wiederum ist der Regenbogen das stärkste Symbolbild der Hoffnung: «Beim Regenbogen ist das Dunkle noch da, doch ein Sonnenstrahl bringt wunderschöne neue Perspektiven hervor. Krisen können helfen, das Beste in sich zu finden.»
Hoffnungslosigkeit bei jungen Menschen
Und doch. Grosse Krisen hinterlassen Spuren. Gerade bei jungen Menschen. Die Forschung zeigt: Hoffnungsfähigkeit nimmt mit dem Alter zu. Sie wächst mit dem Leben. Mit erlittenen Rückschlägen und durchlebten Krisen. Mit der Erfahrung, dass es trotzdem weitergeht.
Diesen Erfahrungsschatz haben junge Menschen noch nicht, worin auch eine Erklärung liegt, dass gerade sie angesichts der Klimakrise ein starkes Gefühl der Perspektivlosigkeit verspüren und durch ein fehlendes Gefühl der Selbstwirksamkeit gelähmt werden. Philosophin Pelluchon sagt dazu: «Kinder, die an solchen Ängsten leiden, haben keine psychische Erkrankung, die einen Psychiater erfordert.» Die Ängste seien berechtigt, ein psychischer Zusammenbruch eine normale Reaktion auf die heutige Situation. «Es ist das Gegenteil von Verleugnung.»
Andreas M. Krafft sagt, das grösste Geschenk, das Eltern ihren Kindern machen können, sei, an sie zu glauben. «Eltern sollten ihrem Kind immer wieder vermitteln: Ich glaube an dich, ich habe Vertrauen in dich.» Kindern und Jugendlichen helfe es auch, wenn Eltern bewusst darauf achteten, nicht permanent über Negatives zu reden. «Wenn wir ständig über das Schlechte in der Welt sprechen, sind wir ständig negativ eingestellt. Es ist darum wichtig, auch über Gutes zu sprechen.»
Quellen der Hoffnung
Die Rolle der Eltern, der Angehörigen darf nicht unterschätzt werden. Das Hoffnungsbarometer zeigt, dass Familie und Freunde eine wichtige Quelle für die Hoffnung sind. Ebenso wie die Natur, sich eins zu fühlen mit Bergen, Wäldern, Seen. Andere Menschen schöpfen Hoffnung aus der Erfahrung, anderen zu beizustehen. In nicht europäischen Ländern sind Glaube und Gebet zentrale Quellen der Hoffnung.
Der grösste Feind der Hoffnung ist die Einsamkeit. Forschung zeigt: Wer das Gefühl hat, abgelehnt und unverstanden zu sein, zeigt geringere Hoffnungswerte, leidet eher an Zukunftsängsten und Depressionen.
Was die Geschichte der Hoffnung lehrt
Ein Blick in die Geschichte der Hoffnung ist aufschlussreich – und gleichzeitig ermutigend und ernüchternd. Denn einerseits zeigt sich: Wir haben als Menschheit immer Verbesserungen geschafft. Doch: Es war schwer.
«Jedes Jahrhundert hatte seine eigenen Hoffnungen», sagt Krafft. Menschen im 17. Jahrhundert wurden getragen von der Hoffnung nach Wahrheit, Wissenschaft, Erkenntnis. Im 18. Jahrhundert lag die Hoffnung auf Freiheit, im 19. auf materiellem Wohlstand. Im 20. Jahrhundert stand die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Gleichbehandlung im Zentrum. «All dies haben wir Menschen geschafft. Aber es dauerte immer 80 bis 100 Jahre.»
Und der Weg dahin war kein Sonntagsspaziergang. Für das Erlangen der Freiheit mussten etwa die Französische Revolution und der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg durchlebt werden. Für Andreas M. Krafft ist es deshalb wichtig, in grösseren Zyklen zu denken. Wenn wir als Menschen des 21. Jahrhunderts die Hoffnung auf Frieden und Nachhaltigkeit ins Zentrum stellen, müssen wir dies mit einem Blick tun, der über uns hinausgeht. «Es geht um die Situation, die wir für unsere Kinder und Enkelkinder erreichen wollen.»
Schnelle Fortschritte sind unwahrscheinlich
Auch wenn wir uns kollektiv wünschen, Krisen und Kriege würden besser heute als morgen gelöst: Der Blick in die Geschichte lässt schnelle Fortschritte unwahrscheinlich erscheinen. Für Andreas M. Krafft ist es ein realistisches Szenario, dass die Situation auf der Welt kurzfristig nicht besser, sondern schlechter wird.
In einem Aufsatz schrieb er einmal: «Wenn wir die Hoffnung auf eine nachhaltige Welt in Harmonie und Frieden aufgeben, dann ist das Scheitern nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher. Solange wir aber unsere Hoffnung hochhalten, werden wir etwas dafür unternehmen und die Erfüllung unserer sehnlichsten Wünsche wieder möglich erscheinen lassen.» Es ist eindeutig: Es bleibt uns schlichtweg nichts anderes übrig als zu hoffen.