Bewegungs-Expertin erklärt
Darum kann Sport süchtig machen

Wer exzessiv trainiere, bewege sich auf einem schmalen Grat zwischen Ehrgeiz und Zwang, sagt Flora Colledge, Profi-Triathletin und Wissenschaftlerin. Sie kennt typische Anzeichen für Sportsucht und weiss, inwiefern das Verlangen nach Bewegung anderen Süchten gleicht.
Publiziert: 19.12.2023 um 17:57 Uhr
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Aktualisiert: 20.12.2023 um 10:41 Uhr
Verbissen zu trainieren, ist gemäss Expertin kein alleiniges Merkmal für Sportsucht.
Foto: Shutterstock
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Jana GigerRedaktorin Service

Es scheint paradox, sportliche Aktivitäten als krankhaft zu bezeichnen. Doch auch ein gesundes Verhalten kann ab einem gewissen Punkt ins Negative kippen. Warum das passiert, und weshalb gewisse Menschen eher dazu neigen, eine Sportsucht zu entwickeln, erforscht Profi-Triathletin Flora Colledge (37) an der Universität Luzern. Sie beantwortet die fünf wichtigsten Fragen zum Thema.

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Wann ist Sport eine Sucht?

Ausschlaggebend sei nicht die Anzahl der Trainings pro Woche, sondern das Verhältnis zum Sport, sagt Colledge. «Menschen mit einer Sportsucht trainieren exzessiv – selbst wenn sie keine Zeit dafür haben, krank oder verletzt sind.» Das Training mache keinen Spass mehr, sondern sei ein Zwang, der den Alltag dominiere. Das heisst, sportsüchtige Menschen vernachlässigen oft Freunde, die Familie und den Job. Die Expertin sagt: «Anders als Profisportler regenerieren sie sich nicht und passen die Dauer und Intensität des Trainings nicht an ihre Tagesform an.» Meist würden Sportsüchtige auch nicht auf ein sportliches Ziel hin arbeiten, sondern einfach drauflos trainieren.

Trotz Schmerzen oder Verletzungen zu trainieren, ist gemäss Colledge ein Anzeichen für Sportsucht.
Foto: Getty Images
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Was treibt Sportsüchtige an?

«Wir nehmen an, dass manche Menschen besonders stark auf das Glücksgefühl während oder nach dem Training reagieren und davon abhängig werden», sagt Colledge. Was im Gehirn genau passiert, sei aber noch nicht abschliessend geklärt. Forscherinnen und Forscher gehen gemäss Expertin davon aus, dass die Ausschüttung von Dopamin eine grosse Rolle spielt. In der Regel würden die Glücksgefühle mit der Zeit nachlassen, weil der Körper eine Toleranz dagegen entwickle. «Sportsüchtige trainieren allerdings weiter, weil sie sich sonst schuldig oder schlecht fühlen.»

Profi-Triathletin und Wissenschaftlerin

Flora Colledge (37) ist in Brüssel (BE) geboren und aufgewachsen. Sie hat in England Politikwissenschaften, Philosophie und Medizinethik studiert und ist danach in die Schweiz gezogen, um das Doktorat in Medienethik an der Universität Basel zu machen. Dort hat sie am Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit eine Studie über Bewegungssucht geleitet. Heute forscht sie an der Universität Luzern weiterhin zu Sport- und Bewegungssucht und lebt in Horw LU. Als Triathletin gewann Colledge dreimal den Swissman und im Sommer 2023 den Norseman in Norwegen, einer der härtesten Triathlons der Welt.

zVg

Flora Colledge (37) ist in Brüssel (BE) geboren und aufgewachsen. Sie hat in England Politikwissenschaften, Philosophie und Medizinethik studiert und ist danach in die Schweiz gezogen, um das Doktorat in Medienethik an der Universität Basel zu machen. Dort hat sie am Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit eine Studie über Bewegungssucht geleitet. Heute forscht sie an der Universität Luzern weiterhin zu Sport- und Bewegungssucht und lebt in Horw LU. Als Triathletin gewann Colledge dreimal den Swissman und im Sommer 2023 den Norseman in Norwegen, einer der härtesten Triathlons der Welt.

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Ist Sportsucht mit anderen Süchten vergleichbar?

Ja, sagt die Expertin. «In einer Studie konnten wir zeigen, dass Sportsucht Ähnlichkeiten hat mit Verhaltenssüchten wie der Spiel- und Onlinespielsucht.» Sie gleichen sich unter anderem in folgenden Punkten:

  • Man braucht immer mehr, um sich gut zu fühlen
  • Das Privatleben leidet unter der Sucht
  • Es kommt zu Entzugserscheinungen wie Gereiztheit, Ängstlichkeit oder Depressionen, wenn man das Training ausfallen lässt oder nicht spielt
  • Den Betroffenen ist bewusst, dass ihr Verhalten nicht mehr gesund ist, aber sie können trotzdem nicht damit aufhören
Flora Colledge feierte im Sommer 2023 ihren Sieg am «Norseman Xtreme Triathlon» in Norwegen.
Foto: Paulina Monasterska
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Welche Arten von Sportsucht gibt es?

Forschende unterscheiden zwischen der primären und der sekundären Sportsucht. Bei der primären Sportsucht steht die sportliche Aktivität im Vordergrund. Colledge sagt: «Oft wollen Betroffene mit dem Training etwas kompensieren oder sich selbst therapieren, um negative Gefühle oder Gedanken loszuwerden.» Auch ein einschneidendes Lebensereignis könne zu einer primären Sportsucht führen. Die sekundäre Sportsucht tritt in Kombination mit einer Essstörung auf. Das Ziel: Mithilfe von Bewegung möglichst viel Gewicht zu verlieren. «Für die Betroffenen ist Sport also ein Mittel zum Zweck», sagt die Expertin.

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Ist Sportsucht therapierbar?

«Bisher gibt es keine evidenzbasierte Behandlungsmethode, da Sportsucht noch nicht offiziell als psychische Störung anerkannt ist», sagt Colledge. Das liege daran, dass die Definition von Sportsucht schwierig sei und man in der Forschung noch mehr darüber herausfinden müsse. Gemäss Expertin wird die sekundäre Sportsucht teilweise in Essstörungskliniken behandelt. Für die primäre Sportsucht biete sich aktuell die kognitive Verhaltenstherapie an. «Das Ziel einer Therapie ist es, wieder eine gesunde Balance zu finden zwischen Training und Alltag.»

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