«Okay, ich gehe jetzt die Spritze aufziehen.» Der weisse Kittel von Oberarzt Severin Vogt (32) verschwindet hinter der Tür, lässt mich und mein klopfendes Herz allein im Krankenzimmer zurück. Es ist mucksmäuschenstill und riecht nach Desinfektionsmittel.
Bis zu 100 Milligramm Dimethyltryptamin wird er mir gleich während 90 Minuten in den rechten Unterarm jagen, direkt in die Vene. Eine hohe Dosis einer der stärksten bekannten psychedelischen Substanzen der Welt, kurz DMT genannt. Klingt wie ein Explosivstoff, wirkt auch fast so: In Sekundenschnelle wird die Droge meine Realität in winzige Pixel zerschmettern.
DMT, LSD und Zauberpilze
Noch vor zwei Stunden sass ich im Zug nach Basel, inmitten von Reisenden, für die es ein normaler Freitag zu sein schien. Hektisch klickte ich mich durch Spotify auf der Suche nach dem passenden Soundtrack für diesen Nachmittag. Was hört man bloss auf seinem ersten halluzinogenen Trip?
Im Universitätsspital Basel nehme ich heute an einer sogenannten Phase-I-Studie teil. Die Abteilung Klinische Pharmakologie und Toxikologie untersucht dabei zum ersten Mal, wie DMT körperlich und psychisch auf gesunde Probanden wirkt. In diesem ersten Schritt noch komplett ohne therapeutische Ansätze. Testsprengungen, sozusagen.
Das «Molekül des Bewusstseins», wie DMT auch genannt wird, ist in der Schweiz sowie in den meisten anderen Ländern eigentlich streng verboten. Doch weil psychedelische Drogen gegen Depressionen, Suchtkrankheiten und Zwangsstörungen helfen könnten, trippen derzeit weltweit jeden Tag Probandinnen und Probanden durch die Forschungsräume der Spitäler – komplett legal.
DMT oder N,N-Dimethyltryptamin entsteht in vielen Pflanzen, Tieren und auch im menschlichen Körper als natürliches Stoffwechselprodukt. Schon seit Tausenden von Jahren trinken Ureinwohner des Amazonasgebiets im Rahmen religiöser Zeremonien einen DMT-haltigen Pflanzensud namens Ayahuasca. Das normalerweise gerauchte DMT ist zwar weniger bekannt als die Halluzinogene LSD oder Psilocybin, doch schon seit einigen Jahren ist die «Dschungeldroge» Ayahuasca zum grossen europäischen Trend geworden.
DMT oder N,N-Dimethyltryptamin entsteht in vielen Pflanzen, Tieren und auch im menschlichen Körper als natürliches Stoffwechselprodukt. Schon seit Tausenden von Jahren trinken Ureinwohner des Amazonasgebiets im Rahmen religiöser Zeremonien einen DMT-haltigen Pflanzensud namens Ayahuasca. Das normalerweise gerauchte DMT ist zwar weniger bekannt als die Halluzinogene LSD oder Psilocybin, doch schon seit einigen Jahren ist die «Dschungeldroge» Ayahuasca zum grossen europäischen Trend geworden.
Die Kriterien zur Studienteilnahme
Die einzige Droge, die ich regelmässig konsumiere, ist Alkohol. Schwärmt mir jemand von einem «lebensverändernden» psychedelischen Trip vor, empfinde ich den Grat zwischen spannend und nervig als schmal.
Weshalb ich heute trotzdem hier sitze? Wegen der Kontraste: zwischen steriler Spitalatmosphäre und intimstem Unterbewusstsein, zwischen konstanter Beaufsichtigung und Kontrollverlust, zwischen Selbsterfahrung und Dienst an der Wissenschaft. Verstehen Sie, was ich meine? Nicht? Dann mache ich es kurz: Ich bin neugierig.
Schon vor zwei Wochen hat mich Studienarzt Vogt eingehend darauf untersucht, ob ich überhaupt geeignet bin, an der mehrtägigen Studie teilzunehmen. So darf man nebst zahlreicher weiterer Faktoren weder an einer körperlichen Krankheit oder Insuffizienz noch an einer psychotischen oder bipolaren Störung leiden. Denn bei entsprechender Veranlagung kann DMT eine Psychose hervorrufen oder verschlimmern.
Der Trip der Geschäftsleute
Das Basler Krankenzimmer ist so karg, wie es Krankenzimmer nun mal sind. Doch Vogt und der Masterstudent Livio Erne (27) lockern die Stimmung auf. Ich fühle mich wohl, lache viel, lege mich ins Krankenbett. Erne wird mir während des Trips 21 Blutproben abnehmen und immer wieder meinen Blutdruck messen.
Vogt befragt mich zu meiner Verfassung. Ob ich gut geschlafen habe, gestresst sei, mich gut fühle? Seitenweise fülle ich Fragebögen aus, kreuze an, wie meine Woche war und wie zufrieden ich mit meinem Leben insgesamt bin.
Dann geht es los. Mit einer grossen Spritze kommen die beiden ins Zimmer zurück. Sie legen mir Zugänge in beide Arme: links für die Blutentnahme, rechts für das DMT. Denn ohne die konstante Infusion hätte der Körper die Droge bereits nach zehn Minuten wieder komplett abgebaut. Eine Eigenschaft, die ihr in den 60er-Jahren den Spitznamen «a businessman’s trip» eingebracht hat, der rasche Rausch der Geschäftsleute. Der vielleicht schon bald in Therapiesitzungen eingebaut werden könnte.
Um zwei wollen wir anfangen. «In Ordnung?», fragt mich Vogt. Ich nicke. Schaue auf die Uhr an der Wand gegenüber vom Bett. Gleich ist es so weit. Der Sekundenzeiger nähert sich der Zwölf. Ich halte den Atem an, spüre einen Kloss in meinem Hals. Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins. Und die Uhr schmilzt.
Pixel, Elefanten und Comicfüchse
Päng! Von einer Sekunde auf die andere rase ich in Höchstgeschwindigkeit durch Farben und kaleidoskopartige Muster. Ich falle in einen erdigen Raum, gefüllt mit Bergen aus weissen Pixeln. Sitzt da ein Elefant? Alles bewegt sich, doch nicht so, wie ich es gewohnt bin.
Herrje, wie bin ich denn hier gelandet? An diesem rätselhaften Ort, an den meine Gedanken in den folgenden Tagen noch viele Male zurückkehren werden, funktioniert alles so anders, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können.
So radikal, so allumfassend weiss ich: Alles, was vorher war, hat sich aufgelöst. Mein Alltag, die Gesellschaft, der Krieg, Sprache und Emotionen, Raum und Zeit. Auch ich selbst habe mich komplett aufgelöst, bin nichts und alles zugleich. Ich bin auf den tiefsten Grund meines Bewusstseins geplumpst, wie auf den Boden einer Computer-Speicherkarte, auf dem sich nur noch ein schauderhaftes Vakuum aus rationalen Codes und die Pixel der Existenz befinden.
Plötzlich windet sich ein rationaler Gedanke durch das strudelnde Chaos: «Sind meine Augen eigentlich offen oder zu?» Ich blinzle, um es zu testen, und erschrecke, dass ich noch einen Körper habe. Das Krankenzimmer taucht wieder auf. «Gibt es die Welt noch?», frage ich erstaunt.
Die beiden merkwürdigen Comicwesen neben mir nicken. Als Fuchs im weissen Kittel erkenne ich Dr. Vogt. «Wie stark ist deine Wirkung von eins bis zehn?», fragt er mich. Ich kann mich an keine Zahlen erinnern. «Hat sich alles aufgelöst», murmle ich entschuldigend. Und: «Mann, seht ihr vielleicht lustig aus.» Verzerrtes Gelächter, dann versinke ich wieder im Farbenrausch.
Das Gehirn unter Psychedelika
Ich bin Studienteilnehmerin 21, stand auf dem Becher, in den ich gepinkelt habe. Insgesamt sind wir 30. Neben DMT forscht das Universitätsspital Basel unter anderem auch mit LSD und Psilocybin, dem Stoff psychedelischer Pilze.
Halluzinogene docken an den körpereigenen Serotoninrezeptoren an, deren Aktivierung ein psychedelisches Erlebnis auslöst. Die Informationsverarbeitung, die Sinneseindrücke normalerweise voneinander trennt, wird gehemmt. Dadurch können die Sinne verschmelzen: Man spürt Geräusche körperlich oder sieht Worte als Farben. Untersuchungen an Ratten und Fliegen deuten darauf hin, dass Psychedelika wie DMT die neuronale Plastizität fördern. Also die Fähigkeit des Gehirns, neue Verbindungen zu schaffen.
Psychedelika wie LSD, Zauberpilze und DMT machen nicht körperlich abhängig. Doch könne eine ungenügende Vorbereitung das psychedelische Erlebnis stark negativ beeinflussen, sagt Vogt. Konsumiert man psychedelische Drogen in einem unkontrollierten Setting, in dem man sich nicht wohlfühlt oder nicht genügend betreut wird, können starke Ängste bis hin zum «Horrortrip» entstehen.
Welche Wahnsinnige würde diese Dosis unbeaufsichtigt nehmen?!
Mein Trip dauert bereits eine halbe Stunde. Ich bin erleichtert, dass ich die Uhr wieder halbwegs lesen kann. Die Maximalwirkung ist abgeebbt, das unbehagliche Gefühl von vorher verschwunden. Stattdessen ist meine Neugierde erwacht.
Das Zimmer schimmert in intensiven Pastellfarben, ich kann mich kaum daran sattsehen. An den Wänden tanzen zarte Muster, wie Sterne funkeln die Neonlichter von der Decke. Die Infusion tropft violett leuchtend in den Schlauch. Ein Augenblick schierer Schönheit, der mich zutiefst berührt.
Ich starte ein Lied der Playlist, die Vogt mir empfohlen hat: «Oming Ocean» von Yulara. Die Klänge scheinen das, was ich sehe, zu beeinflussen. Schon tauche ich ein in Welten grenzenloser Kreativität: ein Dschungel voller freundlicher Tierwesen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Eine Wand aus Augen, die mich beobachtet. Eine galaxieartige Landschaft, die mein absolutes Lieblingsgemälde würde, könnte ich sie auf einer Leinwand festhalten.
Mir schiesst durch den Kopf: Welche Wahnsinnige würde diese Dosis unbeaufsichtigt nehmen?! «Ich bin froh, dass ihr hier seid», lasse ich deshalb Vogt und Erne wissen.
Hatte ich mich vorher noch komplett aufgelöst, scheint meine Persönlichkeit nun auf einem Podest zu stehen. Ohne es aktiv zu steuern, beleuchte ich sie von allen Seiten. Bin stolz auf meine Stärken, akzeptiere liebevoll meine Schwächen. Auch der Krieg in der Ukraine ist wieder da in meinem Kopf, bedrückend präsent. Doch auf eine abstrakte Art und Weise. Erträglicher als vor dem Trip.
Aus weiter Ferne surrt das Blutdruckgerät um meinem Oberarm, der Ton scheint durch meinen gesamten Körper zu rieseln. Tiefe Glückseligkeit breitet sich in mir aus. Ich bin mir sicher: Genau so wohlwollend und neugierig sollte sich das Leben immer anfühlen.
Entdeckt, bejubelt, verpönt
In der Psychiatrie herrschte Goldgräberstimmung, nachdem der Schweizer Chemiker Albert Hofmann 1943 per Zufall die Wirkung von LSD entdeckt hatte. Das mächtigste Werkzeug, um etwas über das eigene Bewusstsein zu lernen, schien gefunden.
Mehr als zwei Jahrzehnte lang flossen Unmengen an privaten und Regierungsgeldern in die psychoaktive Forschung, wie Rick Strassman, Professor für Psychiatrie, schreibt. Hunderte wissenschaftlicher Artikel beschrieben, wie vorher behandlungsresistente Patienten mit bemerkenswertem Erfolg bei Zwangsstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Essstörungen, Angstzuständen, Depressionen, Alkoholsucht und Heroinabhängigkeit geholfen werden konnte.
Doch nach dem Flug kam der Fall. In den Sechzigerjahren entkam LSD aus den Laboren und geriet ausser Kontrolle. Berichte über eingelieferte Notfälle und angeblich angeborene Schädigungen häuften sich. Die Regierungen griffen durch, verboten den privaten Gebrauch von Psychedelika. Der Geldstrom in die Forschung versiegte, niemand wollte mehr mit den Hippie-Halluzinogenen in Verbindung gebracht werden. Und so verschwanden sie ebenso schnell wieder aus den Laboren, wie sie darin aufgetaucht waren.
Bis vor kurzem. Depressionen, Angstzustände und Sucht gehören zu den grössten Problemen unserer Zeit. Wegen des enormen Potenzials schiessen weltweit Start-ups, Forschungszentren und Psychedelika-Studien wie Zauberpilze aus dem Boden. Seit knapp zehn Jahren steigt die Anzahl neuer Publikationen rasant an. In der Schweiz behandeln einige Ärzte in Einzelfällen bereits Patienten mit LSD und Psilocybin – mit Spezialbewilligungen vom Bundesamt für Gesundheit.
Weniger Nebenwirkungen als Antidepressiva
Im Gegensatz zu Drogen wie MDMA sind Psychedelika keine simplen Glückspillen. «Man reist tief in seine eigene Innenwelt, wo einem auch traurige Gefühle, negative Erlebnisse oder intensive Erinnerungen erwarten können», sagt Vogt. Das kann unangenehm werden. Doch einen Horrortrip hat er noch bei keinem seiner Teilnehmerinnen erlebt.
Viele von Vogts Probanden schätzen ihre erste psychedelische Erfahrung rückblickend als eine der bedeutendsten Erlebnisse ein. «Sie durchleben unbeschreibliche Halluzinationen, intensive Gefühle, subjektiv tief empfundene Einsichten und ein Gefühl der Körperlosigkeit», sagt Vogt. Ein tiefgreifendes Erlebnis, das oft mehrere Tage lang nachhallt und das Bewusstsein für das Hier und jetzt steigern kann. Die Hoffnung der Forschung: Die durch den Trip in Gang gesetzten psychischen Prozesse zu nutzen und psychotherapeutisch aufzuarbeiten.
Zu DMT gibt es noch keine Patientendaten. Doch zeigen mehrere Studien, dass Psilocybin und LSD bei Depressionen helfen. Und das mit viel weniger Nebenwirkungen als herkömmliche Psychopharmaka wie Antidepressiva, auf die etwa ein Drittel der depressiven Patienten nicht anspricht. Dennoch: Psychedelika seien kein Wunderheilmittel, mahnt Vogt. «Doch haben sie eingebettet in eine kontrollierte und begleitete therapeutische Behandlung grosses Potenzial.»
Lebensverändernd, doch einmalig
Nach 90 Minuten piepst die Zeitschaltuhr. Das DMT ist aufgebraucht. Und tatsächlich: Zehn Minuten später bin ich komplett nüchtern, das Zimmer wieder karg. Erneut fülle ich seitenweise Fragebögen aus und versuche, das Unbeschreibliche zu beschreiben. Schon um 17 Uhr sitze ich wieder im vollen Zug nach Hause. Ist das alles gerade wirklich passiert?
Es war mit Abstand das Merkwürdigste, was ich jemals erlebt habe. Eine Erfahrung jenseits meiner Vorstellungskraft. Ich will nicht lügen: Sie war spannend. Doch auch äusserst erschütternd und verwirrend, teils gar beängstigend. Ich fühle mich um eine Erfahrung reicher und um einige Vorurteile ärmer.
Das Erlebnis sollte noch tagelang nachhallen, war so einschneidend, dass es alles andere in Perspektive zu setzen scheint. Fühlt es sich «lebensverändernd» an? Definitiv. Würde ich es weiterempfehlen? Nur sehr bedingt. Möchte ich es nach der Studie wieder tun? Nein. Ich schaue aus dem Zugfenster. Golden geht die Sonne über den Frühlingsfeldern unter. Schön, zurück zu sein. In dieser Realität.