Darum gehts
Laut einer Studie nimmt die Fähigkeit, schnell auf Reize zu reagieren, ab dem 25. Lebensjahr ab. Heisst das, dass unser Gehirn so früh zu altern beginnt?
Barbara Plagg: So würde ich das nicht sagen – das wäre, als würde man ein Auto nur an seiner Beschleunigung messen. Intelligenz ist aber mehr als nur Schnelligkeit, und unser Gehirn ist in unterschiedlichen Phasen unseres Lebens unterschiedlich talentiert. Reaktionszeiten können zwar schon ab 25 Jahren minimal abnehmen, dafür werden unser Sprachverständnis, unsere Problemlösungsfähigkeit und unser emotionales Urteilsvermögen immer besser. Ausserdem können wir unser Gehirn darin unterstützen, ein Leben lang neue Synapsen und in manchen Arealen sogar neue Nervenzellen zu bilden.
Indem wir Kreuzworträtsel oder Sudokus lösen?
Ja, je mehr wir unser Hirn benutzen, desto besser und länger fahren wir damit. Und es müssen nicht immer Rätsel sein. Bewegung, Neues ausprobieren, Freundschaften oder Ehrenämter tun dem Gehirn genauso gut. Jeder Lernprozess hinterlässt Spuren auf zellulärer Ebene: Synapsen entstehen, Nervenzellen verknüpfen sich. Je stärker und je zahlreicher diese Verbindungen sind, desto grösser ist unsere sogenannte kognitive Reserve. Diese Reserve kann man sich ein bisschen wie eine Speisekammer vorstellen. Je besser sie gefüllt ist, desto besser sind wir für den Winter – der in Form von Erkrankungen oder Alter zu jedem von uns kommen wird – gewappnet, weil Schäden besser kompensiert werden können.
Welche Faktoren, die unsere Hirngesundheit fördern, unterschätzen wir am meisten?
Meiner Erfahrung nach werden vor allem Bewegung und Vorerkrankungen unterschätzt, aber auch Humor, zwischenmenschliche Beziehungen und Stressmanagement. Bei Bewegung wird beispielsweise Sauerstoff ins Oberstübchen gepumpt, es werden Wachstumsfaktoren und Stickstoffmonoxid produziert und die Durchblutung verbessert. Das ist nicht nur super für die Muskeln, sondern auch für das Gehirn. Vorerkrankungen wie Diabetes, Depression und Bluthochdruck haben – sofern sie nicht therapiert werden – einen direkten Einfluss auf die Gehirngesundheit, weil sie Blutgefässe beschädigen oder für Ablagerungen sorgen können.
Und wie beeinflussen Stress und Humor das Gehirn?
Während Stress unseren Hippocampus lahmlegt, senkt Humor den Cortisolspiegel und verbessert unsere Gedächtnisleistung. Menschen, die täglich lachen, haben weniger Schlaganfälle und Herzkrankheiten. Weil wir als Kind noch 300-mal pro Tag gekichert haben, als Erwachsener aber nur noch 15- bis 20-mal, ist mein Buch humorvoll geschrieben. Denn Humor ist erstens gesund, und zweitens wird Witziges besser erinnert.
Können wir der genetischen Veranlagung, an Demenz zu erkranken, entgegenwirken?
Der Grossteil der Erkrankungen ist nicht vererbbar, sondern eine Mischung aus Umweltfaktoren und Genen. Kurz gesagt: Ja, wir haben Einfluss auf unsere Gene, denn sie sind ständig aktiv und reagieren dynamisch auf unsere Umwelt. Das bedeutet, dass unsere Lebensgewohnheiten und Umweltbedingungen direkt beeinflussen, welche Gene aktiviert oder deaktiviert werden. Wenn wir viel Zeit in der Sonne verbringen, uns schlecht ernähren oder uns nicht bewegen, reagieren unsere Gene darauf und produzieren entsprechende Moleküle, die eher schädlich für unseren Körper sind. Bewegen wir uns hingegen regelmässig, ernähren uns gesund und schauen auf unser psychisches Wohlergehen, aktivieren unsere Gene hilfreiche Moleküle wie beispielsweise Wachstumsfaktoren, die gesund für das Gehirn sind.
Ist das Verlegen des Schlüssels ein Indiz dafür, dass die Hirnfunktion abnimmt?
Nein, das liegt in den allermeisten Fällen schlicht daran, dass ein müdes, überlastetes oder gestresstes Gehirn schusseliger ist als ein ausgeschlafenes, entspanntes und gut ernährtes. Ausserdem überschätzen viele Menschen die Fähigkeit ihres Gedächtnisses für Multitasking.
Barbara Plagg (39) ist Wissenschaftlerin und Autorin. Sie doktorierte in Humanbiologie in der Alzheimerforschung an der medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München (D). Heute forscht sie am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health in Bozen (IT). In ihrem neuen Buch «Smart bis zum Sarg – Gesundes Gehirn, starkes Gedächtnis» erklärt sie, wie unser Gedächtnis funktioniert, warum Denken und Erinnern neuronale Teamarbeit sind und dass es möglich ist, Gedächtnisproblemen und Demenz vorzubeugen.
Barbara Plagg (39) ist Wissenschaftlerin und Autorin. Sie doktorierte in Humanbiologie in der Alzheimerforschung an der medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München (D). Heute forscht sie am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health in Bozen (IT). In ihrem neuen Buch «Smart bis zum Sarg – Gesundes Gehirn, starkes Gedächtnis» erklärt sie, wie unser Gedächtnis funktioniert, warum Denken und Erinnern neuronale Teamarbeit sind und dass es möglich ist, Gedächtnisproblemen und Demenz vorzubeugen.
Warum?
Gleichzeitigkeit ist für das Gehirn schwierig, denn eigentlich kann es nur schnell zwischen Dingen «switchen». Versuchen Sie beispielsweise einmal, diesen Absatz zu lesen und gleichzeitig die Vokale zu zählen. Obwohl beide Aufgaben für sich genommen leicht sind, kann Ihr Gehirn sie nicht gleichzeitig erledigen, sondern es muss sie nacheinander abarbeiten. Genauso wenig kann es gleichzeitig dem Chef am Telefon zuhören, daran denken, dass noch Hafermilch besorgt werden muss, die Kinder abgeholt und der Schwiegermutter die Medikamente vorbeigebracht werden müssen. Und dann wundern wir uns, warum der Autoschlüssel neben dem Kühlschrank und nicht in der Garderobe liegt. Unser Gedächtnis macht einen Superjob in einer hochkomplexen Welt, aber weil alles sehr viel ist, muss es manchmal priorisieren und kann sich nicht alles merken.
Wann ist Vergessen ein Warnzeichen für Demenz, das man abklären lassen sollte?
Wenn man den Autoschlüssel permanent verlegt und plötzlich Fähigkeiten verliert, die man eigentlich immer gut konnte. Wenn ich etwa meine Steuererklärung nicht allein machen kann, ist das nicht bedenklich – denn ich konnte das noch nie. Aber wenn ein Steuerberater dabei plötzlich Schwierigkeiten hat, obwohl er es immer konnte, dann ist das ein deutliches Warnzeichen. Neben Demenzen gibt es allerdings noch eine ganze Reihe anderer Erkrankungen, die sich durch Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen bemerkbar machen, viele davon sind auch gut behandelbar. Es ist deshalb wichtig, dass man sich frühzeitig um eine Abklärung bemüht. Und für den Rest gilt: sich nicht von der Angst ins Bockshorn jagen lassen und mit Prävention das eigene Erkrankungsrisiko senken. Denn die gute Nachricht ist: Da ist wirklich viel machbar!