Es klingt verlockend: Kalorien sparen, ohne auf Geschmack verzichten zu müssen. Kein Wunder also, dass zuckerfreie Geschmackspulver und Sirups boomen.
Einer der Marktführer ist die deutsche Firma More Nutrition. Seit 2017 verkaufen die beiden Gründer Christian Wolf und Michael Weigl verschiedene Nahrungsergänzungsmittel, die zahlreiche Aromen und Süssstoffe enthalten.
Der Hype ist riesig. Verkaufschlager sind unter anderem das «Chunky Flavour», verschiedene Geschmackspulver mit kleinen Stückchen, und die «Zerups», zuckerfreie Sirups.
Besonders in den sozialen Medien macht die Firma mithilfe von Influencern jede Menge Werbung. Praktisch zu jeder Mahlzeit werden die Produkte gezeigt und verwendet. Einfach abnehmen, und zwar mit Genuss, so lautet das Versprechen. Man müsse einfach nur seine Mahlzeiten durch die Produkte ergänzen und so Kalorien sparen. Möglich ist dies durch jede Menge Süssstoffe wie Sucralose oder Steviolglycoside.
«Ich bin mittlerweile schwer darmkrank»
Doch nun regt sich Widerstand gegen die Pulver und Sirups. Aufgebrachte Kunden melden sich zu Wort. Sie behaupten, dass der regelmässige Konsum sie krank gemacht habe. Sie seien insulinresistent geworden. «Ich bin mittlerweile schwer darmkrank, inkusive Insulinresistenz von dem ganzen Süssstoff», schimpft eine Kundin auf Instagram.
Insulinresistenz ist keine Kleinigkeit, wie Philipp Gerber vom Unispital Zürich weiss. Er ist leitender Arzt an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung. «Das Hormon Insulin sorgt dafür, dass Zucker von den Zellen aufgenommen und dort zum Beispiel in Fett umgewandelt wird. Ist jemand insulinresistent, nehmen die Zellen weniger Zucker auf. Die Folge ist ein hoher Blutzuckerspiegel und letztendlich ein Typ-2-Diabetes – die häufigste Form des Diabetes», erklärt der Mediziner zu Blick. Eine der häufigsten Ursachen dafür ist Übergewicht.
Süssstoffe haben Einfluss auf Stoffwechsel
Welche Auswirkungen die Zufuhr künstlicher Süssstoffe auf den menschlichen Körper haben, kann man laut Gerber aktuell noch nicht genau sagen. «Klar ist, dass ein Teil der Stoffe Einfluss auf den Stoffwechsel haben, unter anderem auch auf die Insulinwirkung.» Obwohl einige Studien eine Insulinresistenz aufgrund künstlicher Süssstoffe nachweisen konnten, sei es noch ein junges Forschungsgebiet.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO rät zur Vorsicht. Erst Mitte Juli stufte die WHO den Süssstoff Aspartam als «möglicherweise krebserregend für den Menschen» ein.
More-Nutrition-Gründer glaubt, seine Produkte helfen
More-Nutrition-Gründer Christian Wolf hat sich inzwischen auf Instagram zu Wort gemeldet und wehrt sich gegen die Vorwürfe. Für ihn ist klar, dass künstliche Süssstoffe nicht per se zu einer Insulinresistenz führen. Im Gegenteil: Seine Produkte würden beim Abnehmen helfen und damit einer Insulinresistenz vorbeugen.
Damit hat er die Wissenschaftler nun definitiv gegen sich: Auch wenn die Forschung noch keine klaren Antworten zu den langfristigen Folgen von künstlichen Süssstoffen hat – fürs Abnehmen eignen sie sich für die Experten garantiert nicht.
Jeden Tag künstlich gesüsste Produkten zu sich zu nehmen, könne spürbare Folgen haben, sagt Philipp Gerber vom Unispital Zürich. «Durch die regelmässige Zufuhr von Süssstoffen wird immer ein Bedürfnis des Körpers befriedigt. So gewöhnt sich der Körper daran, ständig etwas Süsses zu haben.» Der Mediziner empfiehlt stattdessen, herkömmlichen Zucker zu konsumieren – einfach in kleinen Mengen und am besten in natürlicher statt raffinierter Form, etwa in Früchten.
Auch die Leitlinen der WHO zum Abnehmen sind eindeutig: zuckerfreie Süssstoffe helfen laut der Organisation nicht. Die WHO erklärt, dass bei der Auswahl zwischen einem gezuckerten Getränk und einem mit Süssstoff besser eine dritte Variante gewählt werden sollte: Wasser.