Eine Mahlzeit weniger pro Tag
Das bringt Fasten wirklich

Fasten macht gesund. Es kann bei der Prävention von Alzheimer, Demenz und Brustkrebs helfen. Und Genussmenschen sei gesagt: Es lässt sich leicht in den Alltag integrieren.
Publiziert: 19.03.2021 um 16:24 Uhr
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Aktualisiert: 26.03.2021 um 17:12 Uhr
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Einfach eine Mahlzeit weglassen und sich damit auch noch etwas Gutes tun – geht das?
Foto: Getty Images/Westend61
Susanne Loacker «Beobachter»

Jesus tat es in der Wüste, Muslime tuns im Ramadan, Buddhisten und Juden machens auch – jede grosse Religion kennt das Fasten. Heute zeigt die Wissenschaft: Es ist nicht nur kulturell bedingt, dass die Menschen ab und zu nichts essen, sondern auch biologisch. Unser Körper ist auf Fasten programmiert. Für ihn gibt es eine Zeit zum Essen und eine Zeit zum Hungern. Das hat nichts mit Bikinifigur oder Sixpack zu tun. Es ist objektiv gesund.

«Bei Laborversuchen erhöht sich die Lebenserwartung von Mäusen und Ratten um 30 bis 40 Prozent, wenn man die Energiezufuhr durch Nahrungsaufnahme drosselt», sagte der US-Forscher Mark Mattson im Rahmen eines Vortrags an der Johns Hopkins University.

Der Leiter des Forschungslabors für Neurowissenschaften am Institute on Aging in Baltimore untersucht die Zusammenhänge zwischen der Energieaufnahme des Körpers und Hirnkrankheiten wie Parkinson oder Alzheimer. «Fasten ist gut fürs Hirn. In Tierversuchen können wir sehr genau erklären, warum das so ist und wie es funktioniert», sagt Mattson.

Man kann auf viele Arten weniger essen – diätgewohnte Menschen wissen das nur zu gut. Grundsätzlich sind zwei Varianten zu unterscheiden: dauernd weniger essen oder die Abstände zwischen den Mahlzeiten verlängern. Letzteres heisst im Fachjargon intermittierendes Fasten.

Nach 18 Stunden wird Fett verbrannt

Wenn man isst, geht die Energie vereinfacht gesagt in die Leber, wo sie als Glykogen gespeichert wird. Es dauert ungefähr 12 bis 18 Stunden, bis das Glykogen in der Leber abgebaut ist. Doch dazu kommt es bei drei Mahlzeiten pro Tag nie – ausser man ist körperlich aktiv.

Wenn man aber lange genug nichts isst, hat die Leber Zeit, das Glykogen abzubauen. Danach beginnt die Fettverbrennung, wobei Ketone gebildet werden. Obwohl sie das nicht wussten, nutzten schon die alten Römer deren Wirkung: Wenn jemand einen epileptischen Anfall hatte, wurde er ohne Nahrung in einen Raum gesperrt. Das würde, so der Glaube damals, seine Dämonen austreiben. Tatsächlich halfen die Ketone – die noch heute gegen Epilepsie eingesetzt werden.

In Sibirien behandelt man seit 1995 Patienten, die an Bluthochdruck, Diabetes, Rheuma oder Allergien leiden, mit Fastenkuren. Bei rund zwei Dritteln mit Erfolg.

Wichtig beim Fasten ist die Regelmässigkeit

Fasten bedeutet Stress für den Körper. Forscher Mattson sagt, das Hirn lerne durch diese Belastung, mit Stress umzugehen. Beim Fasten aktiviert der Körper seine Selbstheilungsmechanismen, wobei es eine untergeordnete Rolle spielt, ob man jeden Tag während 16 Stunden auf Nahrung verzichtet, einen Tag pro Woche das Essen auslässt oder jeden Monat ein paar Tage fastet. Hauptsache, man macht es einigermassen regelmässig. Und passend zum Lebensstil.

Wie beim Sport fühlt man sich auch durch intermittierendes Fasten besser. Das liegt daran, dass in beiden Fällen im Hirn Proteine entstehen, die ihrerseits neue Nervenzellen und neue Verbindungen zwischen diesen bilden. Das verbessert die Lern- und Erinnerungsleistung. Diese Proteine helfen, Parkinson zu verhindern. «Wir haben auch festgestellt, dass intermittierendes Fasten die Zellen dazu bringt, defektes Erbgut zu reparieren», sagt Mark Mattson.

Drei Mahlzeiten und zwei Snacks?

Fasten ist nicht per se gefährlich, da ist sich die Evolutionsbiologie inzwischen sicher. Schon die allerersten Tiere auf der Erde müssen über einen Mechanismus verfügt haben, dank dem sie längere Hungerzeiten durchstehen konnten, ohne gesundheitliche Schäden zu erleiden. Drei warme Mahlzeiten und zwei Snacks dazwischen sind so ziemlich das Letzte, wofür wir gemacht sind.

Ganz neu ist die Erkenntnis nicht. Schon Paracelsus, einer der Väter der westlichen Medizin, soll gesagt haben: «Fasten ist das beste Heilmittel.» Und 4000 Jahre zuvor zierten die alten Ägypter eine Pyramide mit einer Inschrift, die sinngemäss lautet: Der Mensch lebt von einem Drittel von allem, was er isst. Von den übrigen zwei Dritteln leben die Ärzte.

Ruth Patterson, Professorin für Krebsprävention an der Uni von San Diego, sieht zudem Zusammenhänge zwischen der Ernährung und dem Brustkrebsrisiko. «Wir wissen, dass Östrogen ein Risikofaktor für Brustkrebs ist, weil Östrogen ein Wachstumsfaktor ist. Genau das ist Insulin auch. Je nachdem, was wir essen, steigt unser Insulinspiegel. Es ist kein Zufall, dass übergewichtige, körperlich weniger aktive Frauen und Frauen mit Diabetes ein erhöhtes Brustkrebsrisiko haben», sagt die Forscherin.

Insulinspiegel sinkt dank Essenspausen

Den Insulinspiegel senkt man unter anderem durch Essenspausen, da Insulin ausgeschüttet wird, wenn es gebraucht wird. Und es ist nicht nur ein potenter Wachstumsfaktor, sondern vor allem ein Speicherhormon. Es ist daran beteiligt, den Zucker, den wir nicht verbrennen, als Glykogen in Leber und Muskeln zu speichern.

Deren Speicherkapazität ist auf rund ein halbes Kilo begrenzt. Wenn die Speicher voll sind, werden zusätzlich zugeführte Kohlenhydrate in Fett umgewandelt. Die Fettspeicher sind praktisch unbegrenzt – schlechte News für alle Abnehmwilligen.

Dicke und schlanke Mäuse

Für Menschen, die Fett abbauen wollen, sind längere Essenspausen also sinnvoll. Das legen auch Laborversuche nahe. Mäuse, die nur während acht Stunden am Tag fressen durften, waren am Ende schlanker als Mäuse, die rund um die Uhr knabbern durften – obwohl sie gesamthaft gleich viel Energie zu sich genommen hatten.

Der ausführende Forscher Satchin Panda vom Salk-Institut in Kalifornien sagt: «Jahrelang haben wir nur über Kalorienkonsum und -verbrauch gesprochen, über gesunde Ernährung und Fitnesstraining. Heute glauben wir, dass es mindestens so wichtig ist, wann jemand isst, wie was er isst.»

Bei seinem Experiment stellte Panda zudem fest, dass diejenigen Mäuse, die jeweils nur während acht Stunden frassen, auch bessere Leberwerte, weniger Entzündungen und bessere Cholesterin- und Blutzuckerwerte hatten.

Diejenigen Mäuse, die den ganzen Tag frassen, hatten dagegen einen hohen Cholesterinspiegel, hohe Blutzuckerwerte, eine Fettleber und weitere Stoffwechselprobleme.

Mit fasten dem Magen eine Pause gönnen

Für Panda liegt der Grund in der Vergangenheit: «Während Millionen von Jahren assen die Menschen nur tagsüber. Erst in den letzten 50 Jahren ist Essen rund um die Uhr verfügbar. «Unsere Daten legen die Vermutung nahe, dass unsere Verdauung während der Nacht eine Pause braucht, genau wie unser Hirn. Magen und Leber regenerieren sich über Nacht.»

Bevor man Pandas Erkenntnisse zur Vorbeugung und Bekämpfung von Fettleibigkeit und Diabetes anwenden kann, braucht es Studien am Menschen. «Trotzdem kann man die Daten als Paradigmenwechsel bezeichnen», sagt der Biologieprofessor.

«Es geht nicht mehr einfach darum, wie viele Kalorien man zu sich nimmt und wie viele man verbraucht, sondern darum, wann wir essen und wie das den Kalorienverbrauch und die Gesundheit beeinflusst.» Man müsse jetzt im grösseren Stil erforschen, ob der Essenszeitpunkt auch die negativen Eigenschaften von zu hohem Fruktose- und Kohlenhydratkonsum beeinflusst.

«Am Fasten interessiert mich vor allem der gesundheitliche Nutzen», sagt Lawrence Rajendran. Der Zellbiologe forschte bis Mitte 2019 mit seinem Team in Schlieren für die Uni Zürich und interessiert sich für neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz und Alzheimer.

«Alzheimer ist eine Folge des Alterns. Es gibt eine erbliche Komponente, aber die ist klein», sagt er. Grundsätzlich weiss man, dass Alzheimer entsteht, wenn sich im Hirn zwischen den Nervenzellen amyloide Plaque ablagert, eine Art Stoffwechselabfall.

Kann Fasten Alzheimer vorbeugen?

Rajendran: «Es ist ein kleines Protein, ein Peptid, das sich ansammelt. Wir wissen nicht sicher, wie es dazu kommt und ob es wirklich der Grund für Alzheimer ist – es könnten Infektionen sein, unsere Lebensweise, unsere Ernährung. Vermutlich ist es eine Kombination von allem.»

Rajendran untersucht, ob Fasten Alzheimer vorbeugen kann. Bekannt ist, dass bei Erkrankten die Amyloid-Ablagerungen nicht mehr entsorgt werden. «Wenn das Hirn Nahrung in Überfluss hat, wird der Abfall-Schredder-Mechanismus heruntergefahren. Die Folge: Mehr von den Abfällen bleiben liegen. Wir erklären das damit, dass die Abfallverwertung eine eigentliche Recycling-Bude ist. Wenn jetzt genug externe Nahrung kommt, muss man nicht so viel recyceln, um genug zu haben», so Rajendran.

Der Forscher weiss, warum er fastet

Die Erkenntnis könnte der Prävention von Alzheimer dienen: Wenn man dem Körper zu wenig Nahrung zuführt, werfen die Zellen den Recycling-Mechanismus an und räumen die Plaques weg, die sich sonst ansammeln. Rajendran sagt, es sei am besten, in den mittleren Jahren zu fasten. Bei älteren Patienten könnte der Nährstoffentzug auch negative Auswirkungen haben. Fasten ist bei Alzheimer also eventuell eher als Prävention denn als Therapie geeignet.

«Wir wissen heute noch lange nicht alles», sagt er. «Wir wissen, dass es auch Krebsarten gibt, bei denen Fasten eine extrem positive Wirkung hat. Natürlich sollte man so etwas aber nie ohne ärztliche Aufsicht machen.»

Aufgrund seiner Erkenntnisse hat der Neurobiologe seinen Lebensstil geändert: «Seit ich die Ergebnisse dieser Forschung kenne, lasse ich das Frühstück weg. Ich weiss, warum.»

Beobachter
Artikel aus dem «Beobachter»

Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch

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