Loren Cordain, Erfinder der Steinzeitdiät:
«15 Prozent Sünde sind immer erlaubt»

Schlemmen wie Fred Feuerstein: Mit seiner Theorie zur Steinzeit-Küche begeistert US-Ernährungswissenschaftler Loren Cordain weltweit Fans – und befeuert die Kritik der Vegetarier.
Publiziert: 29.08.2016 um 14:54 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 12:05 Uhr
Loren Cordain: «Fred Feuerstein konnte sein Schnitzel nicht aus dem Gefrierfach ziehen. Er musste sich bewegen, damit das Essen auf den Tisch kam.»
Foto: Getty Images
Franziska K. Müller

Als der US-Wissenschaftler Loren Cordain vor 14 Jahren sein erstes Buch über die Ernährungsweise der Steinzeitmenschen schrieb und daraus eine Diät ableitete, erntete er Spott und Skepsis. Mittlerweile gehören seine Bücher zum Paleo-Prinzip (abgeleitet von Paläolithikum) zu den meistverkauften Werken ihres Genres. Viele seiner Thesen wurden wissenschaftlich bestätigt, unzählige Anhänger schwören darauf, so auch Hollywoodstars wie Megan Fox (30) und Miley Cyrus (23). Die getreidelose und fleischlastige Küche soll die Pfunde schwinden lassen und im Gegenzug unsere Fitness und Lebensfreude verbessern.

Doch auch aus der Kritik verschwand das Konzept nie: Wissenschaftler gehen – anders als Cordain – mitunter davon aus, dass unsere Vorfahren bereits im Mittel- bis Jungpaläolithikum Getreide assen. Andere warnen vor dem hohen Fettanteil der Steinzeit-Küche – dieser könne sogar zu einer Gewichtszunahme führen und sei ein Risikofaktor für unsere Gesundheit.

Herr Cordain, kurz und knapp: Wie lassen sich Ihre wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenfassen?
Loren Cordain: Das moderne Leben unterscheidet sich stark von dem, das vor Urzeiten unser Genom geformt hat. Die evolutionäre Entwicklung hat zu allerlei Zivilisationskrankheiten geführt. Diese nehmen überall dort zu, wo es Lebensmittelüberfluss und Bewegungsmangel gibt. Mein Prinzip bringt Ernährungsweisen dieser Ur-Jahre zurück. Berücksichtigen wir sie, gehts uns besser.

Was ist besser an der Ur-Kost?
Die moderne Ernährung ist vermutlich schuld an der Insulinresistenz, was zu verschiedenen Diabetesformen führen kann. Wer sich hingegen hauptsächlich von magerem Fleisch, von Fisch, Früchten, Gemüse und Nüssen ernährt, so wie einst die Steinzeitmenschen vor der Agrarrevolution, senkt den Insulinspiegel. Hilfreich ist die Paleo-Ernährung auch in Bereichen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Arthritis und Autoimmunerkrankungen. Mitunter sinkt sogar das Krebsrisiko.

Sie gehen davon aus, dass die Ernährung der Jäger und Sammler uns genetisch mehr entspricht.
Genau, es ist die einzige Ernährungsform, die zu unserem Erbgut passt. Allerdings konnte Fred Feuerstein auch nicht einfach ein Schnitzel aus dem Gefrierfach ziehen, er musste sich bewegen, damit das Essen auf den Tisch kam. Bewegung ist der zweite Schwerpunkt der Paleo-Ernährung.

Stillleben: Lebensmittel aus dem Paläolithikum.
Foto: StockFood

Qualitativ gutes Fleisch ist teuer. Wie soll eine vierköpfige Familie die anfallenden Zusatzkosten bewältigen?
Eine neuere US-Studie zeigt, dass es Menschen mit mittlerem und unterem Einkommen möglich ist, der Diät zu folgen – sie führt zu Mehrausgaben von rund zehn Prozent. Dabei kommen natürlich nicht bei jeder Mahlzeit Steaks auf den Teller.

In England macht eine Bewegung von sich reden, deren Anhänger aus tierschützerischen Gründen sämtliche Tierteile essen. Was halten Sie davon?
Ganz ehrlich? Nicht so viel. Während unsere jagenden Vorfahren die Tiere praktisch mit Haut und Haaren vertilgen mussten, bleibt dies modernen Fleischessern erspart. Glücklicherweise. Ein Teil der günstigeren Fleischsorten ist aber durchaus auch für die Steinzeiternährung geeignet. Manche gingen vergessen und werden nun neu entdeckt.

Vegetarier, Veganer und Flexitarier finden Ihre Ansätze gar nicht lustig. Was antworten Sie auf deren Anfeindungen?
Früher war ich selber Vegetarier. Heute sehe ich die fleischlose Küche ausschliesslich mit den Augen des Ernährungswissenschaftlers und fokussiere mich dabei auf die gesundheitlichen Fakten. Manche Defizite sind gravierend, vor allem im Bereich der Vitaminaufnahme. Zu einer gesunden Ernährung gehören Fleisch und Fisch, daran gibts aus wissenschaftlicher Sicht nichts zu rütteln. Ich spreche natürlich nicht von vorfabrizierten Würsten, Hamburgern und Fischstäbchen.

Muss die Rinderkeule nach Paleo zwingend über offenem Feuer brutzeln?
Allenfalls über der Glut, das muss aber nicht sein. Weit wichtiger ist, auf vorfabrizierte Produkte zu verzichten. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Fleisch ist zwar ein wichtiger Bestandteil von Paleo, aber es gibt auch viele raffinierte, fleischlose Gerichte, die dem Prinzip entsprechen – und Zutaten enthalten, die in der Steinzeit noch nicht vorhanden waren: etwa Crevetten-Omeletts oder poschierte Eier mit Pfirsichsauce und Basilikum.

Gegner finden es trotzdem eklig, wenn Babys mit pürierter Kalbsleber gefüttert werden.
Vielen Fleischessern graust es im Gegenzug vor grünen Smoothies und Leinsamenbrei.

Weiss man eigentlich, an welchen Krankheiten unsere Vorfahren starben?
Leider sind keine Gewebeproben erhalten geblieben – somit weiss man nicht, an welchen Krankheiten Menschen vor 300'000 Jahren litten.

Heute leben die Menschen der westlichen Welt im Schnitt über ein halbes Jahrhundert länger als Steinzeitmenschen – nicht auch deshalb, weil wir uns im Grossen und Ganzen gesünder ernähren?
Was nützen schon Statistiken, die den Todeszeitpunkt der Menschen festhalten? Weit wichtiger sind jene, die das Alter und die damit verbundenen Krankheiten beschreiben. Von den Jägern und Sammlern weiss man, dass sie oft in den ersten zehn Lebensjahren starben, weil es ihnen an Hygiene und medizinischen Möglichkeiten mangelte. Jene, die älter wurden, starben an Infektionen und aufgrund von Unfällen an Traumata. Aber nie an Zivilisationskrankheiten, an denen heute selbst jüngere Personen in der westlichen Kultur leiden.

Heute gibts Paleo-Restaurants, spezielle Produkte und eine riesige Fangemeinde, die mit der Diät einen Lifestyle des Verzichts verbindet. Sind Sie enttäuscht?
Warum? Sollte ich?

2002 erscheint das erste Buch von Loren Cordain: «Das Paleo-Prinzip». Seine Theorie zur Steinzeit-Küche wird weltweit diskutiert. 2013 geht er damit unter anderem in der Talkshow von Larry King auf Sendung, mit Food-Expertin Cat Cora. Die Theorie, dass die Ernährungsweisen unserer Urahnen vorbildhaft sind, bleibt umstritten. Trotzdem hat sie weltweit Anhänger, darunter Stars wie Miley Cyrus.
Foto: ora.tv

Finden Sie es denn gut, dass manche Anhänger das Prinzip mit strikten Regeln verbinden, ihr Leben ganz darauf ausrichten?
Die meisten sind einfach froh, endlich ohne schlechtes Gewissen wieder ein Steak in die Pfanne hauen zu dürfen. Sie werden also von einem wesentlichen Verzicht befreit (lacht). Spass beiseite: Paleo macht keine Probleme, sie löst sie. Denken wir nur an die vielen Zusatzstoffe, Unverträglichkeiten und Allergien, sie sind bei uns kein Thema. Zudem: Sonne, Bewegung und viel Fleisch – darin kann ich nichts Schlechtes sehen.

Welche Nahrungsmittel sind böse und deshalb verboten?
Steinzeitmenschen kannten keine Milchprodukte, assen so gut wie kein Getreide, verwendeten kein Salz. Und sie kannten nur einen einzigen raffinierten Zucker, der ihnen selten zur Verfügung stand: Honig. Was die Fette anbelangt: Steinzeitmenschen assen fast ausschliesslich einfach ungesättigte, mehrfach ungesättigte und Omega-3-Fette. Auf gesättigte Fette und hoch erhitzte Transfette sollten wir unbedingt verzichten.

Haben Sie eine Erklärung, warum Paleo vor allem in Europa derart populär wurde?
Das erstaunt mich nicht. Europäer haben sich schon immer besser und bewusster ernährt als Amerikaner. Viele Studien zu dieser Ernährungsweise stammen denn auch aus Europa. Darüber hinaus: Die positiven Ergebnisse trugen dazu bei, dass sich die Menschen mit dieser Ernährungsform identifizieren konnten.

Ist der Rummel um die richtige Ernährungsweise nicht auch eine Art Religionsersatz?
Das sehe ich nicht so. Unser Verständnis von optimaler Ernährung hat sich in den vergangenen 50 Jahren einfach sehr stark verändert. Wir wissen mehr und berücksichtigen die Erkenntnisse.

Experten warnen aber vor Food-Fundamentalismus und Orthorexie. Kann man auch zu gesund leben?
Alles ist eine Frage von Mass und Ziel. Der Orthorexie, dem obsessiven Verhalten im Bereich der gesunden Ernährung, liegt wie anderen Zwangserkrankungen eine psychische Störung zugrunde, die behandelt werden muss. Food-Fundamentalismus kann auch darauf zurückgehen. Beides finde ich natürlich schlecht. Und unnötig. Deshalb vertrat ich schon immer die 85:15-Regel: Wer auf einen Drink oder auf Schokolade nicht verzichten kann, soll das auch nicht tun müssen. 15 Prozent Sünde sind immer erlaubt. Und schaden nicht.

Bücher: «Die Paleo-Ernährung», www.trainer-verlag.com, «Das Paleo-Prinzip der gesunden Ernährung im Ausdauersport», SportweltVerlag, beide von Loren Cordain.

Wer ist Loren Cordain?

US-Ernährungswissenschaftler Loren Cordain (65) gilt als Urheber der Paleo-Diät, die sich an den Essgewohnheiten der Steinzeitmenschen orientiert – viel Fleisch, keine Getreideprodukte. Damit trat er einen heftigen Disput los. Der emeritierte Professor der Colorado State University interessierte sich schon als Kind für die kulinarische Lebensweise unserer Vorfahren. Er wurde Vegetarier, kam im Verlauf seiner wissenschaftlichen Forschung aber zur Überzeugung, dass Wildschweinsteak und Ochsenragout dem heutigen Menschen besser entsprechen als die fleischlose Küche. Er widmete seine gesamte berufliche Laufbahn dem Paleo-Prinzip, mit dem sich mittlerweile weltweit Millionen Menschen identifizieren. Cordain ist verheiratet und hat drei erwachsene Söhne. Sein Lieblingsessen kocht seine Frau Lorrie: in Olivenöl gebratene Kalbsleber mit viel Knoblauch und Rosmarin.

US-Ernährungswissenschaftler Loren Cordain (65) gilt als Urheber der Paleo-Diät, die sich an den Essgewohnheiten der Steinzeitmenschen orientiert – viel Fleisch, keine Getreideprodukte. Damit trat er einen heftigen Disput los. Der emeritierte Professor der Colorado State University interessierte sich schon als Kind für die kulinarische Lebensweise unserer Vorfahren. Er wurde Vegetarier, kam im Verlauf seiner wissenschaftlichen Forschung aber zur Überzeugung, dass Wildschweinsteak und Ochsenragout dem heutigen Menschen besser entsprechen als die fleischlose Küche. Er widmete seine gesamte berufliche Laufbahn dem Paleo-Prinzip, mit dem sich mittlerweile weltweit Millionen Menschen identifizieren. Cordain ist verheiratet und hat drei erwachsene Söhne. Sein Lieblingsessen kocht seine Frau Lorrie: in Olivenöl gebratene Kalbsleber mit viel Knoblauch und Rosmarin.

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