Auf einen Blick
Lebkuchen beim Adventsfenster, ein Grittibänz vom Samichlaus und Mailänderli in der Schule – während der Weihnachtszeit dürfen Kinder kräftiger zulangen als sonst. Ariella (10) aus Hägglingen AG darf nichts davon essen. Sie leidet an Zöliakie. Sobald sie auch nur Spuren von Gluten zu sich nimmt, reagiert ihr Körper mit Erbrechen und Durchfall. Das hat enorme Auswirkungen auf den Alltag der Familie.
Die Krankheit wurde bei Ariella im Alter von drei Jahren diagnostiziert. «Mir fiel auf, dass sie zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr kaum gewachsen ist», sagt ihre Mutter Pia Bosshard (44). Das habe sie stark beunruhigt, weshalb sie die Ursache medizinisch abklären liess. Wachstumsstörungen sind bei Kleinkindern ein häufiges Symptom von Zöliakie. Weitere Warnzeichen sind Durchfall, Bauchschmerzen, Gewichtsverlust, Blässe und Übelkeit.
Sogar bei Linsen ist Vorsicht geboten
Nach der Diagnose im Jahr 2017 begann bei den Bosshards die Ernährungs- und Lebensumstellung. Ariella ist das einzige der vier Kinder der Familie, das an Zöliakie leidet. Sie sagt: «Für mich ist es nicht schlimm, dass ich vieles nicht essen darf. Ich kenne es gar nicht mehr anders.» Die Mutter bestätigt, dass sich Ariella gut an die Umstellung gewöhnt habe. «Aber wenn ihre Geschwister feine Cornflakes kaufen, die sie nicht essen darf, ist sie natürlich schon frustriert.»
Bis anhin ist der komplette Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel die einzig mögliche Therapie bei Zöliakie. Gluten ist ein Klebereiweiss und in sämtlichen Getreidesorten enthalten. Nicht nur Brot und Teigwaren sind vom Speiseplan gestrichen, sondern auch gewisse Fertigprodukte wie Bouillon oder verarbeitete Fleischwaren. Selbst Linsen, die von Natur aus glutenfrei sind, können aufgrund des Herstellungsprozesses kleinste Weizenstücke enthalten.
Bescheidenes Angebot im Supermarkt
Für Menschen mit Zöliakie gibt es alternative Produkte auf Basis von Reis- oder Maismehl. Sie sind mit dem Glutenfrei-Symbol gekennzeichnet. Da die Krankheit aber nur einen kleinen Teil der Bevölkerung betrifft, halte sich die Auswahl an Produkten im Supermarkt in Grenzen, sagt Bosshard. «Immer wieder fallen glutenfreie Produkte aus dem Sortiment, das ist schade und mühsam.»
Der Konsum von Gluten löst bei Menschen mit Zöliakie eine Entzündung der Dünndarmschleimhaut aus. Das führt dazu, dass sich die Dünndarmzotten, die für die Aufnahme von Nahrungsbestandteilen verantwortlich sind, zurückbilden. Der Körper kann lebenswichtige Nährstoffe mit der Zeit nicht mehr richtig aufnehmen. Eine unbehandelte Zöliakie kann unter anderem zu Knochenproblemen, Osteoporose, Leber- und Nervenschäden führen. Fachpersonen schätzen, dass in der Schweiz etwa eine von hundert Personen von der Autoimmunerkrankung betroffen ist. 75 Prozent wissen allerdings nichts von ihrer Erkrankung. Bei Erwachsenen können Müdigkeit, Eisenmangel, Verdauungsstörungen sowie Appetitlosigkeit auf eine Zöliakie hindeuten.
Der Konsum von Gluten löst bei Menschen mit Zöliakie eine Entzündung der Dünndarmschleimhaut aus. Das führt dazu, dass sich die Dünndarmzotten, die für die Aufnahme von Nahrungsbestandteilen verantwortlich sind, zurückbilden. Der Körper kann lebenswichtige Nährstoffe mit der Zeit nicht mehr richtig aufnehmen. Eine unbehandelte Zöliakie kann unter anderem zu Knochenproblemen, Osteoporose, Leber- und Nervenschäden führen. Fachpersonen schätzen, dass in der Schweiz etwa eine von hundert Personen von der Autoimmunerkrankung betroffen ist. 75 Prozent wissen allerdings nichts von ihrer Erkrankung. Bei Erwachsenen können Müdigkeit, Eisenmangel, Verdauungsstörungen sowie Appetitlosigkeit auf eine Zöliakie hindeuten.
Abgesehen von der Weihnachtszeit sind auch Geburtstage, Restaurantbesuche oder Einladungen zum Essen mit Hürden verbunden. Bosshard sagt: «Die meisten Leute geben sich unglaublich viel Mühe, aber von manchen bekommen wir keine Einladungen mehr, weil sie es zu schwierig finden, glutenfrei zu kochen.»
Gefahren in der Küche
In der Vorratskammer und im Kühlschrank der Bosshards hat alles genau seinen Platz. Denn die glutenfreien Lebensmittel von Ariella dürfen nicht kontaminiert werden. Die Mutter sagt: «Beim Kochen passieren die meisten Fehler, wenn man nicht vorsichtig ist.» Zum Beispiel, wenn man aus Versehen den Apfel mit einem Messer schneidet, das zuvor zum Brotschneiden verwendet wurde. Oder wenn man ein Stück Brot im Fondue schwingt anstatt ein Stück Kartoffel.
Ebenso kann es passieren, dass Wasser von der Weizenpasta in die Pfanne mit den glutenfreien Teigwaren spritzt. Oder dass man die Saucenkelle über die glutenhaltige Pasta abstreicht und sie dann wieder in die eigentlich glutenfreie Sauce taucht. Es sei alles mit Kopfarbeit und viel Planung verbunden, sagt Bosshard. «Aber ich achte darauf, Ariella nie das Gefühl zu geben, dass sie kompliziert ist.»
Jeden Tag für die ganze Familie glutenfrei zu kochen, sei aufgrund der hohen Kosten nicht möglich. Ein Beispiel: In der Migros gibt es 500 Gramm «normale» Spätzli für 2.95 Franken. Eine Packung mit 300 Gramm glutenfreien Spätzli kostet 3.95 Franken. Der Preis liegt vor allem an der aufwendigen Produktion von glutenfreien Lebensmitteln.
1. Warum wissen so viele Betroffene nicht, dass sie Zöliakie haben?
«Viele Menschen kennen die Komplexität und Spannbreite der Symptome bei Zöliakie nicht», sagt Ronia Schiftan, Ernährungspsychologin und Co-Präsidentin der IG Zöliakie, einer Patientenorganisation, die sich für die Anliegen von Betroffenen mit Zöliakie einsetzt. «Die Krankheit wird deshalb auch als Chamäleon bezeichnet.» Neben den bekannten Symptomen wie Blähungen, Übelkeit und Bauchschmerzen können Nervosität, Konzentrationsschwierigkeiten, Gelenkschmerzen oder psychische Probleme auf Zöliakie hindeuten. «Selbst Fachpersonen denken oft zu wenig daran, bei ihren Patientinnen und Patienten eine Zöliakie auszuschliessen», sagt Schiftan. Das führe zu einer hohen Dunkelziffer.
2. Wie verhindere ich als Elternteil, dem Kind das Gefühl zu geben, dass es aufgrund seiner Ernährungsweise kompliziert ist?
Schiftan sagt: «Es ist wichtig, dass Eltern ihre Unsicherheit und Angst nicht ungefiltert auf das Kind übertragen.» Die Sorgen, dass das Kind etwas Falsches essen könnte oder ausgeschlossen werde, seien ganz normal. Allerdings rät die Expertin Eltern, diese Gefühle zuerst selbst zu verarbeiten, da sie oft nicht der Realität entsprechen. «Kinder sind sehr resilient und gehen meist viel entspannter mit der Zöliakie um.» Für sie sei die Diagnose nicht per se etwas Schlimmes, sondern eine Möglichkeit, neue Dinge zu lernen. «Das kann sie stolz und neugierig machen», sagt Schiftan.
3. Wie viel Unterstützung brauchen Kinder mit Zöliakie?
Der Umgang mit der Krankheit sei eine Gratwanderung zwischen der Verantwortung, das Kind zu beschützen, und ihm gleichzeitig gewisse Fähigkeiten zuzutrauen, so die Expertin. «Wer dem Kind sämtliche Entscheidungen abnimmt, entzieht ihm die Selbstwirksamkeit.» Gemäss Schiftan sollte das Ziel sein, das Kind zu bestärken, dass es selbst fähig ist, für sich einzustehen und etwas zu verändern, und ihm dort Unterstützung zu bieten, wo sie benötigt wird. «Das gelingt am besten, indem man das Kind zum Beispiel fragt, ob es selbst in der Mensa bezüglich glutenfreier Optionen anrufen will, oder ob man als Elternteil diese Aufgabe übernehmen soll.»
4. Warum ist ein Hyperfokus auf die Ernährung bei Zöliakie schädlich?
«Das Kind ist mehr als seine Zöliakie», sagt Schiftan. Das Thema darf Raum einnehmen, doch es sollte nicht das Einzige sein, worum es geht. Zöliakie sei nur ein Teil des Lebens, der präsent, und manchmal auch frustrierend sei. «Es ist wichtig, dass das Kind diese Krankheit nicht als einziges Identitätsmerkmal sieht, sondern seine vielen anderen Fähigkeiten und Eigenschaften ebenso anerkennt.»
1. Warum wissen so viele Betroffene nicht, dass sie Zöliakie haben?
«Viele Menschen kennen die Komplexität und Spannbreite der Symptome bei Zöliakie nicht», sagt Ronia Schiftan, Ernährungspsychologin und Co-Präsidentin der IG Zöliakie, einer Patientenorganisation, die sich für die Anliegen von Betroffenen mit Zöliakie einsetzt. «Die Krankheit wird deshalb auch als Chamäleon bezeichnet.» Neben den bekannten Symptomen wie Blähungen, Übelkeit und Bauchschmerzen können Nervosität, Konzentrationsschwierigkeiten, Gelenkschmerzen oder psychische Probleme auf Zöliakie hindeuten. «Selbst Fachpersonen denken oft zu wenig daran, bei ihren Patientinnen und Patienten eine Zöliakie auszuschliessen», sagt Schiftan. Das führe zu einer hohen Dunkelziffer.
2. Wie verhindere ich als Elternteil, dem Kind das Gefühl zu geben, dass es aufgrund seiner Ernährungsweise kompliziert ist?
Schiftan sagt: «Es ist wichtig, dass Eltern ihre Unsicherheit und Angst nicht ungefiltert auf das Kind übertragen.» Die Sorgen, dass das Kind etwas Falsches essen könnte oder ausgeschlossen werde, seien ganz normal. Allerdings rät die Expertin Eltern, diese Gefühle zuerst selbst zu verarbeiten, da sie oft nicht der Realität entsprechen. «Kinder sind sehr resilient und gehen meist viel entspannter mit der Zöliakie um.» Für sie sei die Diagnose nicht per se etwas Schlimmes, sondern eine Möglichkeit, neue Dinge zu lernen. «Das kann sie stolz und neugierig machen», sagt Schiftan.
3. Wie viel Unterstützung brauchen Kinder mit Zöliakie?
Der Umgang mit der Krankheit sei eine Gratwanderung zwischen der Verantwortung, das Kind zu beschützen, und ihm gleichzeitig gewisse Fähigkeiten zuzutrauen, so die Expertin. «Wer dem Kind sämtliche Entscheidungen abnimmt, entzieht ihm die Selbstwirksamkeit.» Gemäss Schiftan sollte das Ziel sein, das Kind zu bestärken, dass es selbst fähig ist, für sich einzustehen und etwas zu verändern, und ihm dort Unterstützung zu bieten, wo sie benötigt wird. «Das gelingt am besten, indem man das Kind zum Beispiel fragt, ob es selbst in der Mensa bezüglich glutenfreier Optionen anrufen will, oder ob man als Elternteil diese Aufgabe übernehmen soll.»
4. Warum ist ein Hyperfokus auf die Ernährung bei Zöliakie schädlich?
«Das Kind ist mehr als seine Zöliakie», sagt Schiftan. Das Thema darf Raum einnehmen, doch es sollte nicht das Einzige sein, worum es geht. Zöliakie sei nur ein Teil des Lebens, der präsent, und manchmal auch frustrierend sei. «Es ist wichtig, dass das Kind diese Krankheit nicht als einziges Identitätsmerkmal sieht, sondern seine vielen anderen Fähigkeiten und Eigenschaften ebenso anerkennt.»