Nie gab es so viele Bewegtbilder wie heute, nur die Kinos profitieren davon nicht. 1980 gingen die Menschen in der Schweiz 21 Millionen Mal ins Kino, 2019 waren es 12,5 Millionen Mal. Dann kam die Pandemie: Nun sind es noch 8,7 Millionen.
Die Menschen haben den Kinos den Rücken gekehrt. Die Folgen spüren Häuser im ganzen Land: Alba und Uto in Zürich, Capitol und Moderne in Luzern – sie sind bald Geschichte. So wie die 21 Lichtspielhäuser, die seit 2019 schon verschwunden sind. 224 halten sich noch. Viele von ihren Betreibern stellen sich die gleiche Frage: Wie weiter?
Eine alte Debatte flammt auf
Marcy Goldberg, Filmhistorikerin und Kunsthochschuldozentin für Kultur- und Medienwissenschaft, sagt: «Umwälzungen gab es in der Mediengeschichte schon immer.» Anfangs war das Kino ein Massenmedium. Während der Wirtschaftskrise in den 1930ern waren im Land mit der grössten Filmindustrie – die USA – die Säle voll, die Menschen hatten keine Arbeit, waren arm, ihr Lichtblick: das Kino. Der Boom schwappte auch auf Europa über. Dann kamen erst das Fernsehen, später Videokassetten auf.
Hollywood reagierte darauf ab den 1970ern mit dem Blockbuster-Eventkino. Heute sind wir beim Streaming. Goldberg sagt: «In Zeiten von Streaming nehmen Live-Events im Kinosaal an Bedeutung zu.» Man müsse schauen, dass die Kinos und das Streaming nebeneinander Platz hätten. Wenn die Kinos verschwänden, sei die Struktur unwiederbringlich verloren. «Hinterher könnte man das bereuen.»
Nur: Wer ist «man»?
Der Bund will nicht mehr zahlen
Filmförderung ist Sache des Bundes. Doch das Bundesamt für Kultur (BAK) hat bereits im Sommer klargemacht, dass der Bund «die Rechnung für die Erhaltung der heutigen Kinolandschaft nicht übernehmen will». Auf Anfrage betont es: 2022 erhielten die Kinos 2,3 Millionen Franken aus dem Fördertopf «Succès Cinema» – bei einem BAK-Filmförderbudget von 32 Millionen Franken.
René Gerber, Generalsekretär des Verbands Procinema, reicht das nicht, er fordert: «Die Kinos sollen in der Kulturbotschaft 2025–2028 als Kulturorte definiert werden.» Sie legt die Kulturstrategie des Bundes fest, die Vernehmlassung dafür startet bald. Sein Argument: Die Kinos sollten gleich behandelt werden wie Theater und Opernhäuser, die die Kantone und Gemeinden unterstützten. Nun könnten sie auch mehr für das Kino tun, sagt er: «Die Gemeinden haben auch ein Interesse daran, ihre Kinos zu erhalten.»
Das BAK will bald eine Studie in Auftrag geben, die die Perspektiven der Kinobranche und Finanzierungsmöglichkeiten prüft. Die Resultate werde es «frühestens an den Solothurner Filmtagen 2024» vorstellen.
Korrigendum: In der ersten Version stand, dass das Schlosskino im Thurgau auch zu den Kinos gehört, die bald Geschichte sind. Das ist nicht korrekt. Richtig ist: Das Schlosskino in Frauenfeld TG konnte im vergangenen Dezember von der Cinévision GmbH übernommen und nahtlos weiterbetrieben werden. Cinévision erweitert das Programm mit neuen Filmreihen und ermöglicht neu zudem Live-Events wie das Konzert mit David Garrett kürzlich.