Oh, James, was ist bloss mit dir passiert? Wie du angezogen bist – Freizeitklamotten. Wie du sprichst – säusel, säusel! Wie du mit dir ringst – Tränen, immer wieder Tränen in deinen wasserblauen Augen. Seriously?!
Über dreihundert Millionen Dollar hast du mit «No Time to Die» bis jetzt eingespielt. Klar, die letzten Filme liefen besser als diese 25. Ausgabe. Aber hey, die mussten die Leute auch nicht während der Corona-Krise zurück in die Enge der Kinosäle verführen. Du schon. Und du machst das gar nicht schlecht. Die halbe Schweiz will dir beim lizenzierten Killen zusehen. Selbst die actionscheuen Arthouse-Häuser zeigen dich. Fast fühlt es sich an wie früher, als die «Lindenstrasse» noch ganze Dörfer leer fegte. Das ist der Punkt: Du bist ein Relikt aus längst vergangener Zeit. Wir sind mit dir aufgewachsen. Wir hängen an dir. Aus Nostalgie.
Bei dir weiss man, was man kriegt. Die immer gleiche Neuauflage eines Ritterromans: König Artus in Gestalt des Geheimdienstchefs M schickt dich, Ritter Bond, aus, um den Drachen zu erlegen. Nerd Q reicht dir wie der Magier Merlin all die Gadgets, die man dafür so braucht. In «No Time to Die» ist Daniel Craig als du Rentner, lebt auf Jamaika, segelt ein bisschen. Dann läuft auf der Welt natürlich wieder alles schief, man ruft dich, weil deine junge 007-Nachfolgerin Nomi nicht alleine klarkommt. Und ihr rettet die Welt zusammen.
Nicht rumhuren, nicht rumsaufen
Du bist wie ein Versprechen: Egal, wie bedrohlich die reale Welt gerade ist, mit dir wird alles gut. Weil du du bist. Ein konstanter Charakter. Im Guten wie im Abscheulichen. Gerade im Abscheulichen hast du uns immer den Spiegel vorgehalten. In dir kristallisiert sich der jeweilige Zeitgeist, seine Werte, so zuverlässig wie der Schweiss auf der Haut nach dem Sex. Obwohl dieser aktuell meistens fehlt, und das ist mein Problem mit dir:
Du bist zu zeitgeistig, zu konform geworden.
Aber fangen wir vorne an. Erfunden hat dich der britische Schriftsteller Ian Fleming. In der Zeit des Kalten Krieges. Als der Feind noch UdSSR hiess und jeder Mr. President of the United States schauen musste, dass das Volk den politischen Kurs mittrug. Fleming formte aus dir den perfekten Helden, den idealen Mann für jene Zeit: ein Junggeselle, unabhängig, dekadent, verdammt gut aussehend, charmant und sexuell unersättlich.
Ein Engländer mit dem Sexappeal eines amerikanischen John F. Kennedy.
Der Zeitpunkt war gut. Die Menschen gierten nach neuen Helden. Der Soldat hatte ausgedient, er war kaputt vom Schlachtfeld zurückgekehrt, oder gar nicht mehr. Du warst die neue Projektionsfigur.
Für all die Nachkriegsmänner, die nur dann was taugten, wenn sie von neun bis fünf arbeiteten, ihre Familie versorgten, mit ihr abends fernsahen, nicht rumhurten, nicht rumsoffen. Diese Kerle wurden domestiziert und bekamen Angst. Angst um ihren Penis.
Da kamst du, James, wie gerufen. Du trugst die elegantesten Anzüge, fuhrst die abgefahrensten Autos, verführtest die heissesten Frauen und hast jeden ausgeknipst, der dir im Weg stand. Du hast für die Kerle damals stellvertretend all das ausgelebt, was sie nicht konnten. Und für ihre Frauen erst! Welche wäre nicht gerne nackt zu dir ins Bett gestiegen. Oder wäre gern dein tolles Auto gefahren.
Jetzt ist vieles anders. Jetzt hast du Liebeskummer, haderst mit dir. Du bist ein geprügelter Hund – und über weite Strecken asexuell.
Lange überlegten sich die Macher, wie man dich dem Publikum des 21. Jahrhunderts nach #MeToo noch zumuten kann. Stichwort «Goldfinger» (1964). Da fällst du über ein Bond-Girl her, obwohl sie sich wehrt. Eine Vergewaltigung, unterlegt mit romantischem Gedudel im Hintergrund. Du warst oft ein Schwein, James.
Nicht mehr sexistisch, aber konservativ
Das wollte man nun verhindern. Bei «No Time to Die» gibt es eine Art Sexismus-Kontrolle. Die bekannte Co-Drehbuchautorin Phoebe Waller-Bridge las das Skript gegen, besserte nach. Sie schaute, dass du Frauen respektierst. Und dass die Frauen mehr Profil bekommen, das Bond-Girl heisst jetzt Bond-Woman. Gut so! Wenn du dich jetzt bei deiner Agenten-Kollegin hinten aufs Töffli setzt, fragst du, ob du deine Hand um ihre Taille legen darfst. Eine Persiflage auf dein früheres sexistisches Ich.
Nur: Man geht zu weit mit dir. Das Ganze wirkt beflissen. Zu korrekt.
Schön ist, du stehst zu dir. Daniel Craig als du in deinen Fünfzigern und tut kein bisschen so, als wärst du ewig jugendlich. Manchmal siehst du aber körperlich und emotional so fertig aus, dass man dir den schnellen, unverbindlichen Sex der alten Tage gegönnt hätte. Vielleicht mit der Agentin Paloma (Ana de Armas), die mit dir zusammen in Kuba Bösewichte erledigt, im verführerischen Abendkleid, rückenfrei, Ausschnitt bis zum Bauchnabel. Doch du verlässt sie ohne Kuss. Nicht mal ein Kuss, herrje!
Dein aktuelles Ich ist enthaltsam, wenn du single bist und monogam, wenn du eine Freundin hast. Wer lebt denn jetzt all unsere dunklen Fantasien für uns aus? Ich bin nur eine Zuschauerin, was denkt die Expertin?
Marcy Goldberg ist Film- und Kulturwissenschaftlerin und langjähriger Fan der Bond-Filme. Die Schweiz-Kanadierin sagt: «Der angeblich fortschrittliche Bond der neuesten Filme transportiert altmodische Vorstellungen von Männer- und Frauenrollen.» Dein kinderloses Playboy-Ich sei damals ein Bruch mit der Idee der bürgerlichen Kleinfamilie gewesen. So viel kann man verraten: Jetzt ist das anders.
Weibliche Lust: inexistent
Und die Frauen – ach, die Frauen. Sie sind trainiert, intelligent, schön, alles andere als Beigemüse, wie früher oft. «Aber», sagt Marcy Goldberg, «jetzt, wo die Frauen gewachsen, Agentinnen auf Augenhöhe sind, versucht Bond gar nicht mehr, bei ihnen zu landen.» Das sei beleidigend, es suggeriere: Kompetente Frauen sind nicht sexy und haben keine Lust. Das sei in den alten Filmen oft anders gewesen. Lustobjekte waren sie, ja, aber nicht nur. Unvergesslich Grace Jones als May Day in «A View to a Kill» (1985). Sie wurde nicht von dir übertölpelt, war dir körperlich überlegen, sie begehrte dich, war selbstbestimmt. «Solche Frauenfiguren vermittelten ein positives Bild der weiblichen Sexualität», sagt Goldberg.
Jetzt rufen viele nach einer Jane Bond. Daniel Craig will ja nicht mehr. Doch eine Frau als Hauptfigur wäre eine Fehlbesetzung. Du, James, würdest an Profil verlieren. Ein Macho in der Krise ist doch viel interessanter als eine Frau, die den alten Helden nachahmt. Siehe die Folter-Szene in «Casino Royale» (2006), als du nackt auf einen Stuhl gefesselt bist und der Bösewicht auf deine Weichteile einpeitscht. Mit einer Jane Bond würden wir Frauen auch nichts gewinnen. Sie würde ständig mit dir als Mann verglichen werden. Das ist unwürdig.
Marcy Goldberg hat einen anderen Vorschlag: «Der Zeitpunkt wäre ideal für einen nicht-weissen Bond.» Gespielt von Idris Elba zum Beispiel. Mit ihm eröffnen sich für dich ganz neue Erzählperspektiven, postkoloniale, mit neuen Identitätsfragen, neuen Bösewichten.
Bei der Gelegenheit sollte man unbedingt nachjustieren. Etwas weniger Tränen, etwas mehr Macho, mehr Spielchen. So dass es Spass macht, deinen Agenten-Kolleginnen zuzuschauen, wie sie dich immer mal wieder souverän in den Senkel stellen.