Wenn Grosseltern regelmässig auf ihre Enkel aufpassen, werden sie schnell zu einem wichtigen Bestandteil des Alltags der Kinder. Neben einer engen Bindung zu den Enkelkindern kann dies jedoch auch zu Konflikten und Meinungsverschiedenheiten mit den Eltern führen.
Eines der Forschungsgebiete der Entwicklungspsychologin Prof. em. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello (68) sind familiale Generationenbeziehungen. Im Interview mit Blick erklärt sie, was es an einem Enkel-Grosseltern-Tag zu beachten gilt, damit die Harmonie zwischen allen Parteien bestehen bleibt.
Ein weit verbreiteter Glaube über Grosseltern: Enkel werden bei ihnen häufiger verwöhnt als zu Hause. Wie wichtig ist es für ein Kind, dass es in allen Haushalten dieselben Regeln und Strukturen hat?
Pasqualina Perrig-Chiello: Kinder wollen die Welt verstehen. Sie lernen laufend Wenn-dann-Beziehungen, die ihnen Sicherheit und Orientierung geben. Und ja, am besten ist es, wenn diese kohärent sind und nicht ständig wechseln. Allerdings muss man gleich beifügen, dass Kinder schnell mal verstehen, dass es gewisse, konsistente Ausnahmen geben kann – eben wie bei den Grosseltern. Das geht gut, solange Ausnahmen und Regeln sich nicht gegenseitig widersprechen oder gar zum Zankapfel werden.
Das erwähnte Vorurteil ist in der Regel auch gar nicht der Fall: Es stimmt nämlich nicht, dass Enkelkinder generell verwöhnt werden. Auch wenn die meisten Grosseltern dazu tendieren, grosszügiger und gelassener zu sein als die Eltern, nehmen sie mehrheitlich eine kompensierende Rolle in Sachen Erziehung ein. Sie achten ganz offensichtlich im Interesse des Kindes auf eine gute Passung der Erziehungsstile.
Der Erziehungsstil kann oft zu Diskussionsstoff führen. Bis zu welchem Punkt dürfen sich Grosseltern in die Erziehung einmischen?
Grundsätzlich sollten sich Grosseltern nicht in die Erziehung der Enkelkinder einmischen. Die Verantwortung liegt bei den Eltern, ergo haben sie primär das Sagen. Einmischung ist nur im Notfall in Ordnung, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Gleichwohl ist zu sagen, dass Grosseltern auch ohne viel Zutun eine erzieherische Funktion haben, da sie – ob sie es wollen oder nicht – Modelle sind.
Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Konfliktpunkte zwischen Eltern und Grosseltern?
Meinungsverschiedenheiten sind in der Regel unvermeidlich. Schliesslich unterscheiden sich Eltern- und Grosselterngeneration nicht nur durch unterschiedliche Wertvorstellungen, sondern auch durch die Verantwortung. Konfliktfelder sind somit die unterschiedlichen Einstellungen und Werte, welche zu Reibereien führen, wie etwa: das Einmischen der älteren Generation in Bezug auf Erziehung, Ernährung oder Freizeitgestaltung.
Welche allgemeinen Tipps würden Sie Grosseltern in Sachen Enkelbetreuung geben?
Auf jeden Fall sollten klare Regeln festlegt werden. Enkelkinder hüten geschieht häufig aus persönlichem Bedürfnis der Grosseltern, aber auch aus familialen Interessen wie beispielsweise Berufstätigkeit der Eltern. Klare Regeln bezüglich Häufigkeit, Dauer und Abläufe verhindern falsche Erwartungen und Frustration. Ausserdem sollte seitens der Grosseltern nichts Unausgesprochenes im Gegenzug erwartet werden. Eine offene Kommunikation ist hier unabdingbar. Man sollte auch einfach mal nachgeben.
Bei Meinungsverschiedenheiten und Konflikten sollten sich die Grosseltern dem Frieden zuliebe zurückziehen, ausser das Kindeswohl ist tatsächlich und nachweislich in Gefahr. Und zusammengefasst sollte man erkennen, dass man als Grosseltern «bloss» eine beratende und unterstützende Funktion hat, ohne Anspruch auf direkten Einfluss. Eskalationen lassen sich vermeiden, in dem man viel miteinander spricht, sich nicht zu viel einmischt, nicht auf die eigene Erfahrung pocht, sondern vielmehr auf die Karte der Wertschätzung und Respekt setzt.