Diese Bücher boomen während der Pandemie
«Platzspitzbaby» und «Die Pest»

Was haben Albert Camus, Snoop Dogg und Martin Suter gemeinsam? Sie alle verkaufen viele Bücher während Corona. Wie die Pandemie das Kaufverhalten der Leser prägt – und weshalb vor allem Klassiker und Prominente profitieren.
Publiziert: 02.05.2021 um 08:35 Uhr
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Aktualisiert: 03.05.2021 um 12:12 Uhr
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2020 haben die Menschen vermehrt auf Altbewährtes zurückgegriffen. Trotz oder vielleicht auch wegen der Corona-Pandemie war «Die Pest» von Camus ein beliebter Kauf.
Foto: mauritius images / Jeffrey Blackler / Alamy
Anna Uebelhart

Das Jahr 2020 hat die Literaturszene erschüttert: abgesagte Literaturfestivals und Lesungen, fehlende Verlagsreisen, über Wochen geschlossene Buchhandlungen. Das spiegelt sich auch im Verkaufsverhalten der Kundschaft wider. Während besonders noch unbekannte Autorinnen und Schriftsteller mit ihren Neuerscheinungen weniger Chancen hatten, klingelte die Kasse von Bestsellerautoren, und die Backlist erlebte einen zweiten Frühling. So nennt man Bücher, die schon seit längerer Zeit auf dem Markt sind, aber von den Buchhändlern immer noch in der Auslage geführt werden.

Diese Entwicklung zeigt der Marktreport des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbands (SBVV). Die Kundschaft griff in der Deutschschweiz vermehrt auf bereits bekannte Literatur zurück, wie zum Beispiel auf den Roman «Platzspitzbaby» von Michelle Halbheer aus dem Jahr 2013. Auch «Mord im Parkhotel» von Silvia Götschi, Erstveröffentlichung 2011, schaffte es unter die zehn umsatzstärksten Titel im Bereich Belletristik. Doch es gab auch Verlierer: «Neue Titel, vor allem aus Schweizer Verlagen, bleiben unsichtbar», schreibt der SBVV.

Kundschaft zieht Bewährtes vor

Die Basler Buchhandlung Bider und Tanner kann eine ähnliche Tendenz bestätigen. «Zu Lockdown-Zeiten konnte die Kundschaft sich nicht spontan im Laden umsehen und ihr bisher noch unbekannte Autoren und Autorinnen entdecken. Deshalb wurde oft auf Bewährtes und schon Bekanntes zurückgegriffen», sagt Geschäftsleitungsmitglied Anita Müller. Ein Paradebeispiel dafür sei «Die Pest» von Camus. «Ein Klassiker, Schullektüre seit eh und je, aber plötzlich wieder brandaktuell.» Es gab auch Ausnahmen. Zum Beispiel wenn das Verkaufspersonal beim Beraten am Telefon ein unbekannteres Buch empfehlen konnte. Ausserdem orientierte sich die Kundschaft stärker an den Buchrezensionen in der Presse. Solche seien im Lockdown stärker beachtet worden als sonst, sagt Müller.

Auch beim grössten Schweizer Buchhändler Orell Füssli suchte die Kundschaft eher nach bekannten Autoren. Es werde vermehrt gezielt nach Namen gesucht, sagt Mediensprecher Alfredo Schilirò. Das hat zur Folge, dass auch die Backlist mehr in den Fokus rückt. Viele Verlage hätten deshalb im letzten Jahr Neuerscheinungen auf 2021 verschoben.

Snoop Dogg räumt ab

Dass bekannte Gesichter im vergangenen Jahr profitieren konnten, während bei neueren der literarische Erfolg ausblieb, ist keine Schweizer Entwicklung. Auch in den USA hat sich das Kaufverhalten der Kundschaft wegen der Pandemie verändert. Die «New York Times» berichtete, dass vor allem Bestsellerautoren und Prominente Umsatz erzielten. Einer von ihnen ist Rapper Snoop Dogg. Sein zwei Jahre altes Kochbuch «From Crook to Cook» verkaufte sich 205’000-mal, fast zweimal so viel wie im Jahr zuvor.

Beim grössten Schweizer Verlag Diogenes liefen gemäss Geschäftsleiterin Ruth Geiger auf dem deutschsprachigen Markt 2020 auch Neuerscheinungen gut, aber ebenfalls vor allem solche von Autoren, die bereits mehrere erfolgreiche Bücher veröffentlicht haben, wie Martin Suter und Hansjörg Schneider. Gute Verkaufsergebnisse bei wenig bekannten Autoren waren eher eine Seltenheit. Ein Beispiel dafür ist Joachim B. Schmidt, dessen Roman «Kalmann» trotz Corona-Jahr «einen schönen Erfolg verzeichnen konnte», so Geiger.

Der Onlinehandel boomt

2020 hat den Bücherverkauf nicht nur hinsichtlich der Auswahl der Titel geprägt. Geändert hat sich auch die Art, wie Bücher gekauft wurden. Immer mehr Menschen sparen sich den Gang zur Buchhandlung und bestellen sich Literatur online. Diesen Trend zum Onlinehandel gibt es zwar schon länger, durch Corona habe er sich, so der SBVV, jedoch stark beschleunigt. Gemäss Schätzungen des SBVV hat er im vergangenen Jahr über 35 bis 45 Prozent des Umsatzes ausgemacht.

Den Online-Trend macht sich auch der Buchhandel Orell Füssli zunutze. Er hat am 23. April die Lese-Community «Book Circle» lanciert. Mitglieder können online Bücher in Sammlungen sortieren, Bewertungen verfassen und kommentieren sowie an Diskussionen teilnehmen. Die Idee sei zwar vor Ausbruch der Pandemie entstanden, jedoch nehme die Plattform in dieser Zeit eine noch zentralere Rolle ein, so Alfredo Schilirò. «Die Lese-Community könnte sich tatsächlich auch zu einer Plattform entwickeln, auf der unbekanntere Schriftstellerinnen und Schriftsteller oder Neuerscheinungen von den Mitgliedern untereinander weiterempfohlen werden.»

Bei den Gründen für die Entwicklungen im Buchhandel sind sich Buchhändlerinnen, Verlage und auch der SBBV einig. Einerseits können Verlagsvertretende ihre Reisen nicht im üblichen Rahmen durchführen und deshalb Neuerscheinungen nicht ausreichend präsentieren. Andererseits fehlen Veranstaltungen, an denen Autorinnen und Autoren sich und ihre Bücher präsentieren können. Dazu gehören nicht nur die abgesagten Literaturfestivals im Jahr 2020. Janka Wüest von der Buchhandlung Bodmer in Zürich sagt: «Ein nicht zu unterschätzender Unterschied vom Corona-Jahr zu anderen Jahren war vermutlich, dass die neuen Autoren kaum Lesungen machen konnten, um ihr Buch vorzustellen und bekannt zu machen.»

Social Media als Ersatz für Lesungen

Dieser Ansicht ist auch Tanja Messerli vom SBBV. Für die Schriftsteller und Autorinnen ist es eine schwierige Zeit – trotz der Möglichkeiten des Internets. Mit Instagram-Stories oder Videos auf Social-Media-Kanälen versuchen sie ihre neuen Bücher zu präsentieren. Vergleichbar mit Lesungen in Buchhandlungen sei dies aber nicht, so Messerli. «Es ist hart für einen Autor, wenn er über Jahre an einem Buch schreibt, das dann in den Lockdown fällt.»

Dem gesamten Schweizer Büchermarkt hat die Tendenz zu Bestsellerautoren und zu bekannten Titeln nicht geschadet. Der Umsatz lag 2020 auf dem gleichen Niveau wie im Jahr davor. Über 15 Millionen Bücher gingen über die reale oder virtuelle Ladentheke. Betroffen sind also vor allem Einzelpersonen. Wie sich die Lage für sie 2021 entwickeln wird, bleibt unklar. Festivalveranstalter zeigen sich kompromissfähig bis kämpferisch. Die Solothurner Literaturtage vom 14. bis 16. Mai finden als Online-Festival statt. Und die Verantwortlichen des Thuner Literaturfestivals Literaare schreiben auf ihrer Website: «Wir ziehen es durch – jetzt erst recht! Sei es mit Publikum oder als reines Radio-Festival: Literaare wird am letzten Mai-Wochenende Literatur wieder eine Bühne geben.»

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