Büchertipps
Lesen Sie mehr Frauen!

Fällt es Ihnen auch leichter, Autoren zu nennen als Autorinnen? Kunststück, wenn jahrhundertelang fast ausschliesslich Männer schrieben. Es gibt also einiges aufzuholen. Hier sechs Tipps von drei Expertinnen. Falls das nicht reicht: Fragen Sie Ihre Buchhändlerin!
Publiziert: 25.01.2021 um 20:43 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2021 um 15:54 Uhr
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Lebt in zwei Welten: Autorin Meral Kureyshi (37) kam mit neun Jahren in die Schweiz.
Foto: Keystone
Eliane Eisenring

Meral Kureyshi

«Deutsch ist meine Muttersprache. Meine Mutter spricht kein Deutsch.» So stellt die Schweizer Autorin Meral Kureyshi (37) sich in einem Video vor. Mit neun Jahren kam sie aus dem Kosovo in die Schweiz. Ihre Familie lebte dort in der Stadt Prizren, wo sich «die Kulturen vermischten und gegenseitig befruchteten». Schon als Kind besuchte Kureyshi Lesungen von Dichtern. In Bern studierte sie Literatur und Germanistik. Nach dem Studium gründete sie ein Lyrikatelier, um Kindern Gedichte näherzubringen. Ihr erster Roman, in dem es um ihren eigenen Migrationshintergrund geht, war für den Schweizer Buchpreis nominiert. Kureyshi sagt, dass sie «nicht zwischen zwei Welten lebt, sondern in zwei Welten». In ihren Texten betrachtet sie diese Welten von ausserhalb.

Buchtipp von Marianne Sax: Kureyshis neustes Buch «Fünf Jahreszeiten» (2019) handelt von einer jungen Frau, die als Museumsaufsicht arbeitet, sich weder für einen Mann noch ein Studium entscheiden kann und sich orientierungslos durchs Leben treiben lässt. Die melancholische Erzählerin «erfreut uns mit ihrer Beobachtungsgabe und ihrem Mut, sich dem Streben nach Klarheit zu entziehen», so Sax. Seit 30 Jahren führt sie in Frauenfeld TG einen Buchladen.

Jane Austen

«Von einer Lady» – das stand Zeit ihres Lebens als Autorenangabe auf Jane Austens (1775–1817) Büchern. Heute ist ihr Name einer der renommiertesten der Literaturwelt. Mit sechs Brüdern und einer älteren Schwester wuchs Austen im englischen Hampshire auf. Ihr Vater, ein Geistlicher, förderte schon früh ihr Interesse an Literatur. Statt zu heiraten und Mutter zu werden, verfasste die Engländerin während ihres kurzen Lebens sieben Romane und etliche weitere Werke. Mit Witz und einer scharfen Beobachtungsgabe schrieb Austen über Frauen und deren gesellschaftliche Position. Ein nach wie vor aktuelles Thema und daher immer noch lesenswert: «Ihre Romane sind mir stets ein grosser Trost und eine Freude», erklärt Marianne Sax.

Buchtipp von Marianne Sax: Austens erster Roman, «Stolz und Vorurteil» (1813), gehört mit über 20 Millionen verkauften Exemplaren und etlichen Verfilmungen zu den erfolgreichsten Klassikern der Weltliteratur. Sax: «Die Geschichte ist voller hintergründigen Humors und versteckter Hinweise auf das frauenverachtende Erb- und Eherecht, das vor 200 Jahren in England herrschte. Ich schwanke beim Lesen ständig zwischen Entzücken und Entsetzen.»

Sophie von La Roche

Als ihre Witwenrente entfiel, blieb ihr nur eines: sich den Lebensunterhalt mit Schreiben verdienen. Die im Allgäu geborene Marie Sophie Gutermann von Gutershofen (1730–1807) gilt als erste finanziell unabhängige Berufsschriftstellerin Deutschlands. Mit 23 Jahren heiratete sie den Adoptivsohn des Staatsministers von La Roche von Kurmainz. Während ihrer Zeit in Mainz begann sie an ihrem ersten Roman zu arbeiten, den sie 1770 fertig schrieb. Später gründete sie in Koblenz einen Literatursalon, den Goethe in seinem Werk «Dichtung und Wahrheit» erwähnt. Neben Autorin war sie auch die Herausgeberin von «Pomona», der, wie Nicola Gess, Professorin für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Basel, erklärt, «ersten um Bildung und Aufklärung bemühten Zeitschriften von und für Frauen in Deutschland».

Buchtipp Nicola Gess: Mit ihrem ersten Buch «Geschichte des Fräulein von Sternheim» (1770) ebnete Sophie von La Roche dem empfindsamen Briefroman und dem Frauenroman im Allgemeinen den Weg. In dem Werk geht es um das Schicksal einer adligen Frau und deren Familie. Die Protagonistin galt schon in den Tagen der Autorin als Vorbild an Selbstbestimmung, weil sie sich den Adels-Konventionen widersetzt.

Sibylle Berg

«Wie viel von dem, was wir heute hier besprechen werden, stimmt?», fragt ein Fernsehmoderator, in dessen Sendung Sibylle Berg (58) 2019 zu Gast ist. «Nichts stimmt», erwidert diese, «weil scheissegal.» Mit dieser Lebenseinstellung hat Berg schon einiges ausprobiert: Die in der DDR aufgewachsene Schriftstellerin war Puppenspielerin, hat Ozeanografie und Politikwissenschaften studiert und arbeitete als Gärtnerin, Putzfrau und Sekretärin. Irgendwo dazwischen begann sie mit dem Schreiben und veröffentlichte 1997 ihren ersten Roman. Zuerst von 50 Verlegern abgelehnt, wurde «Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot» schliesslich mehr als hunderttausend Mal verkauft. Ihr Buch «GRM. Brainfuck», das 2019 erschien, war ihr bislang grösster Erfolg.

Buchtipp von Nicola Gess:: In «GRM. Brainfuck» geht es um den in London entwickelten Musikstil Grime und vier Kinder, die aus ihrem kaputten Alltag und in diese Musik flüchten. Es behandelt die Themen Digitalisierung, Überwachungsstaat, Neoliberalismus. Der sozialkritische Text «geisselt die Auswüchse des globalen Kapitalismus», so Gess. Aber: «Er beweist bei aller Härte auch Empathie mit seinen Figuren und einen menschenfreundlichen Humor.»

Mariella Mehr

Bis zum Alter von sechs Jahren sprach sie kein Wort. Mariella Mehr (73) war eines der 600 jenischen Kinder, die in den Vierzigerjahren vom Zürcher Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse ihren Eltern entrissen wurden. Ihre Kindheit verbrachte Mehr in Kinder- und Erziehungsheimen. Mit 18 Jahren wurde ihr das eigene Kind weggenommen, sie wurde zwangssterilisiert. In ihren Texten, die sie seit 1975 veröffentlicht, findet sich die erlebte Gewalt wieder. «Ihre Sprache aus Wut, Verletzung und Schmerz, hinter der sich eine tiefgreifende Suche nach Liebe und Anerkennung versteckt, ist einzigartig in ihrer Wucht», erklärt Nicola Steiner, SRF-Literaturredaktorin und Moderatorin des «Literaturclub». «Wer ihr Werk noch nicht kennt, sollte dies dringend nachholen.»

Buchtipp von Nicola Steiner: In Mariella Mehrs Trilogie «Daskind – Brandzauber – Angeklagt» (1995–2002) geht es um die Gewalt, die aus Identitätsverlust entsteht. «Leben und Werk verknüpfen sich aufs Engste», so Steiner. «Viele Figuren aus der Trilogie teilen ein ähnliches Schicksal wie sie – aber sie schlagen zurück. Opfer werden zu Tätern.» Mehrs radikale und selbstreflexive Sprache bringt die Leser an ihre eigenen Grenzen.

Maya Angelou

«Ich dachte: Er ist ein schwarzes Mädchen», sagte Maya Angelou (1928–2014) über den englischen Schriftsteller William Shakespeare. Seine Gedichte halfen ihr, ihr Trauma wegen der Vergewaltigung durch den Freund ihrer Mutter als Achtjährige zu verarbeiten. Bis sie selber zu schreiben begann, dauerte es aber noch eine Weile. Zuerst wurde die in den Südstaaten der USA aufgewachsene Schriftstellerin mit 16 Jahren die erste afroamerikanische Strassenbahnschaffnerin San Franciscos. Später arbeitete sie als Tänzerin, Schauspielerin und kurze Zeit auch als Prostituierte. Sie war politisch aktiv und setzte sich für afroamerikanische Bürger- und Frauenrechte ein. Zu ihren Freunden zählten Malcolm X und Martin Luther King. 1993 hielt sie eine Lesung bei der Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton. «Maya Angelou ist in den USA eine Ikone», so Steiner.

Buchtipp von Nicola Steiner: «Ich weiss, warum der gefangene Vogel singt», erschienen im Jahr 1970, ist der erste Teil von Maya Angelous Autobiografie. Darin beschreibt sie ihre Kindheit, die sie im Krämerladen ihrer Grossmutter am Rand einer Baumwollplantage verbrachte. Ein «sinnliches, lebendiges, kraftvolles» Buch und laut Steiner «leider immer noch erschreckend aktuell».

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