Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Wo bleiben die Frauen?

Dichter und Denker gegen Putzfrau und Poetin: Dieses Buch zeigt eindrücklich, wie Frauen ihre Schreibarbeit in den Alltag quetschen müssen, während Männer am Pult pupsen.
Publiziert: 05.11.2020 um 12:52 Uhr
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Aktualisiert: 22.01.2021 um 11:56 Uhr
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Schreibtisch mit Aussicht auf gelb leuchtende Herbstbäume: So verfasse ich diese Kolumne über «Schreibtisch mit Aussicht». In diesem Sachbuch ist die Perspektive allerdings zappenduster, denn 23 Schriftstellerinnen – von Anne Tyler (79) bis Zadie Smith (45) – berichten darin über ihre teils prekären Arbeitsbedingungen. «Ziel der Anthologie ist es, die Situation schreibender Frauen zu erhellen», lese ich in der Einleitung der Herausgeberin, der «Zeit Magazin»-Redaktorin Ilka Piepgras (56).

«Still just writing» (ich schreibe noch immer) der US-Autorin Tyler ist Ausgangspunkt für dieses Buch. 1981 geschrieben, ist der Text eines der frühesten Dokumente über die Schaffenssituation von Schriftstellerinnen – Piepgras präsentiert ihn hier erstmals auf Deutsch. Tyler, damals Mutter von zwei schulpflichtigen Mädchen, musste ihre Ausgangslage schildern, nachdem sie eine andere Mutter gefragt hatte: «Haben Sie schon Arbeit gefunden? Oder schreiben Sie nur?»

Mit viel Galgenhumor beschreibt Tyler, wie ihre Arbeit am bevorstehenden Roman immer weiter nach hinten rückt: Zuerst kommen ihr die Ferien der Kinder dazwischen, dann der verwurmte Hund, der zum Tierarzt muss, dann der Einkauf, dann das Badputzen. Tyler weiter: «Der Spülmaschinen-Reparaturdienst kam vorbei und dann der Gärtner, ganz abgesehen von der kurzen Unterbrechung durch den Stromableser, fünf Zeugen Jehovas und zwei Mormonen.»

«Schreiben Sie täglich oder warten Sie auf Inspiration?», ist die häufigste Frage, die die zweifach britische Booker-Prize-Trägerin Hilary Mantel (68) zu hören bekommt. Für Ilka Piepgras ein klares Zeichen dafür, dass «die Arbeit von Schriftstellerinnen weniger ernst und wahrgenommen wird als die von Schriftstellern». Doch es ist diszipliniertes Dichten, wie die deutsch-schweizerische Autorin Sibylle Berg (58) im Buch belegt: «Ich stehe jeden Morgen gegen sieben auf, frühstücke, schreibe bis am Nachmittag, dann ist die Konzentration weg.»

Und sobald ein Werk fertig vorliegt, müssen sich Frauen rechtfertigen. «Mein erstes Buch erschien, glaub ich, 1994 oder 1995», schreibt Berg in ihrem Beitrag zu «Schreibtisch mit Aussicht». «Damals waren Kritiker überwiegend Männer, die sich darüber erregten, dass ich männlich schreibe.» Männerlastig ist die Literaturszene noch immer: Piepgras zitiert eine Studie der Universitäten Rostock (D) und Innsbruck (A) von 2018 und schreibt, Frauen seien als Rezensentinnen und als Gegenstand von Rezensionen «in den prestigeträchtigen Publikationen schockierend unterrepräsentiert».

Einen Lichtblick bietet die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek (74), wenn sie zu Piepgras sagt: «Vielleicht hat eine Anfängerin im Schreiben heute sogar mehr Chancen als ein Mann, einen Verlag zu finden, es schreien ja immer so viele: Wo bleiben die Frauen?»

Ilka Piepgras, «Schreibtisch mit Aussicht – Schriftstellerinnen über ihr Schreiben», Kein & Aber

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