Franziska Berger (57) wird CEO aller Solothurner Spitäler
«Ein Spital zu führen, ist fast eine Mission Impossible!»

Franziska Berger stammt ursprünglich aus der Pflege. Ab Februar 2024 wird sie CEO aller Solothurner Spitäler. Im Interview spricht sie über Fachkräftemangel, Spitalkultur und erklärt, warum wir eine ehrliche Diskussion über unser Gesundheitswesen führen müssen.
Publiziert: 04.11.2023 um 16:01 Uhr
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Aktualisiert: 04.11.2023 um 16:28 Uhr
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Franziska Berger, CEO des Spitals Lachen, ist ein gutes Betriebsklima wichtig.
Foto: Linda Käsbohrer
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Silvia TschuiGesellschafts-Redaktorin

Franziska Berger (57) hat eine beispiellose Karriere hingelegt: Ursprünglich Pflegefachfrau, leitet sie aktuell als CEO das Spital Lachen im Kanton Schwyz. Ab dem 1. Februar 2024 folgt ihr nächster Karrieresprung. Dann leitet sie als CEO die Solothurner Spitäler AG mit drei Akuthäusern und einer Psychiatrie.

Frau Berger, Sie stammen ursprünglich aus der Pflege. Wie wird man mit diesem Hintergrund CEO einer Spitalgruppe?
Franziska Berger:
Ich habe mich ganz klassisch von der Stationsleiterin zur Pflegedienstleitung hochgearbeitet und mich betriebswirtschaftlich und führungsmässig ständig fortgebildet. Für meine Stelle als CEO des Spitals Lachen wurde ich von einem Headhunter angefragt. Ich verfüge über einen Vorteil: Ich weiss, was die Menschen aus dem Kerngeschäft brauchen, wovon sie sprechen, welche Investitionen getätigt werden müssen, um etwa Geräte anzuschaffen. Ein Ökonom oder ein Jurist als CEO müsste sich erst einarbeiten, um zu verstehen, was etwa für eine Gallenblasenentfernung benötigt wird.

Und was ist der Nachteil?
Nachteil würde ich es nicht nennen. Aber ich bin keine Ökonomin und habe deshalb nicht zuerst die betriebswirtschaftliche Brille auf, sondern der Patient steht im Fokus. Ich verstehe meine Rolle so, dass der Patient optimal versorgt sein muss und ich dafür die Rahmenbedingungen sicherstelle.

Ihre Aufgabe ist es aber, ein Spital gewinnbringend zu führen.
Natürlich, aber im Schweizer Spitalwesen wird das zusehends zur Mission Impossible!

Franziska Berger – von der Pflegerin zur CEO

Franziska Berger (57) absolvierte ursprünglich zunächst eine Pflegeausbildung. Sie arbeitete mehrere Jahre am Inselspital und beim damaligen Spital Netz Bern. Im Spital Bülach war die Bernerin unter anderem stellvertretende Direktorin. Seit fünf Jahren leitet sie das Spital Lachen als CEO. Neben einem Nachdiplomstudium in Entrepreneurship an der Universität Bern hat die Spitalmanagerin zusätzlich einen Master in Health Service Management der Fachhochschule St. Gallen abgeschlossen.

Franziska Berger (57) absolvierte ursprünglich zunächst eine Pflegeausbildung. Sie arbeitete mehrere Jahre am Inselspital und beim damaligen Spital Netz Bern. Im Spital Bülach war die Bernerin unter anderem stellvertretende Direktorin. Seit fünf Jahren leitet sie das Spital Lachen als CEO. Neben einem Nachdiplomstudium in Entrepreneurship an der Universität Bern hat die Spitalmanagerin zusätzlich einen Master in Health Service Management der Fachhochschule St. Gallen abgeschlossen.

Weshalb?
2012 wurde die Fallpauschale eingeführt. Das bedeutet, dass stationäre Patienten, also Patienten, die über Nacht bleiben, je nach Schwere der Erkrankung eine sogenannte Fallpauschale erhalten. Diese bestimmt, wie viel die Krankenkasse für den «Fall» bezahlt. Und mit diesem Geld muss man dann haushalten und auch die Investitionen daraus bezahlen.

Und, funktioniert das?
Überhaupt nicht. 

Weshalb nicht?
Sämtliche Kosten sind gestiegen, für Löhne, Materialien, Medikamente, Strom. Zusätzlich gibt es eine Teuerung. Die Fallpauschalen sind aber gleich geblieben oder sogar gesunken. Das gleiche Problem besteht in der Finanzierung der ambulanten Versorgung, also für Patienten, die nicht über Nacht bleiben. Je nach Fachbereich ist diese von den Kassen rund 15–20 Prozent zu tief angesetzt. Wäre ich Bäcker und müsste mehr für das Mehl bezahlen, würde ich auch mehr für mein Brötchen verlangen. Eine Umwälzung der Kosten auf den Kunden wie beim Bäcker geht aber im Spitalwesen nicht, wir müssen für eine Erhöhung der Fallpauschalen direkt mit den Krankenkassen verhandeln.

Wie gehen solche Verhandlungen vonstatten?
Schwierig und langwierig. Die Krankenkassen hüten sich davor, die Pauschalen den gegebenen Bedingungen anzupassen, da dann die Prämien steigen.

Sie steigen ja aber Ende Jahr.
Ja, aber das nützt den Spitälern nichts: Die Fallpauschalen sind darin noch gar nicht erhöht. Eigentlich müssten die Prämien noch viel stärker steigen, damit Spitäler kostendeckend arbeiten können. 

Wer übernimmt dann schliesslich diese Defizite?
In vielen Kantonsspitälern ist das der Kanton. Auch das ist ein Politikum, das niemand angehen will, und zwar gleich auf zwei Ebenen: Um die Defizite auszugleichen, müssten die Kantone die Steuern erhöhen. Damit macht man sich als Politiker unbeliebt, wer dafür plädiert, die Steuern zu erhöhen wird nicht gewählt. Macht man’s aber nur über die Krankenkassen und erhöht die Prämien, steigt die Anzahl der Menschen, die Prämienverbilligungen beanspruchen. Und auch so steigen wiederum die Kosten für die Kantone – und die Steuern müssten angepasst werden. Niemand will sich an diesem Thema die Finger verbrennen. 

Und wie lösen das Nicht-Kantonsspitäler?
Das ist eine ungelöste Frage. Was sicher ist: So wie bis jetzt können viele nicht mehr lange wirtschaften. Einzelne Spitäler sind ja bereits in Konkurs gegangen oder stehen kurz davor. Und wenn dann milllionenschwere Sanierungspakete notwendig werden, verwerfen alle die Hände!

Aber Spitäler wie beispielsweise Hirslanden sind ja auch finanziell erfolgreich?
Es gibt natürlich Privatspitäler ohne sogenannten Grundversorgungsauftrag. Die können sich die zusatzversicherten Patienten herauspicken. So ist es einfacher, gewinnbringend zu wirtschaften. Regionalspitäler sind da ganz anderen Zwängen ausgesetzt.

Als ehemalige Pflegerin: Was hat es in Ihnen ausgelöst, als in der Covid-Zeit Pflegende beklatscht und bejubelt wurden?
Es war natürlich schön, dass man endlich einmal Wertschätzung erfahren hat. Obwohl viele wohl auch dachten: Ich hätte lieber einen angemessenen Lohn oder bessere Arbeitszeiten als Applaus.

Nun, da das Scheinwerferlicht wieder weg ist: Hat sich dadurch für Pflegende etwas verbessert?
Ehrlich gesagt: Eigentlich war das Ganze langfristig gesehen eher kontraproduktiv. Es hat einen Scheinwerfer auf die Missstände im Beruf geworfen, sodass sich nun noch weniger Menschen für eine Pflegeausbildung entscheiden. Wichtiger wäre gewesen, den Beruf zu stärken und zu zeigen, wie interessant, vielseitig und zukunftsorientiert der Pflegeberuf ist.

Man hört immer wieder, dass viele in der Pflege nach kurzer Zeit ihren Beruf aufgeben. Viele Stellen bleiben unbesetzt. Was bräuchte es, damit sie länger blieben?
Pflegepersonal ist vielerorts unterbezahlt und muss Schicht arbeiten. Dabei sind sie hoch spezialisiert und sehr gut ausgebildet: Jede Pflegefachfrau oder jeder Pflegefachmann hat heute einen höheren Abschluss und kann viele Aufgaben von Assistenzärzten übernehmen. In der Weiterbildung werden sie aber immer noch zu wenig unterstützt. Im Ausland ist man da teilweise weiter. In den Pflegeteams ist ausserdem ein guter Teamgeist elementar: Im Spital ist fast jede zweite Stelle mit Pflegern besetzt. Laufen einem dort die Leute davon, muss man die Bettenanzahl reduzieren – was wiederum eine wirtschaftliche Katastrophe nach sich zieht.

Und? Mussten Sie das schon einmal tun?
Nein, in Lachen wurde kein einziges Bett abgebaut.

Auch Assistenzärzte klagen über mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Ja, Assistenzärzte arbeiten 48- bis 50-Stunden-Wochen. Das ist sehr viel. Man muss dabei aber wissen, dass der Trend in die richtige Richtung geht: Früher waren 60- bis 80-stündige Wochen die Regel. 

Man hört aber, dass anstatt 50 Stunden eher 60-Stunden-Wochen die Regel sind. Eigentlich ist das gesetzeswidrig. Weshalb kann dieses Arbeitspensum nicht auf Teilzeitstellen aufgeteilt werden?
Aus gleich mehreren Gründen: Teilzeitstellen kosten den Arbeitgeber mehr Sozialabgaben. Und für die Patientenbetreuung ist es schwierig. Wenn sich zwei Assistenzärzte eine Stelle teilen würden, müssten sie unter der Woche stets eine saubere Übergabe aller Anordnungen und getroffenen administrativen Massnahmen vornehmen. Den Aufwand, dies alles zu besprechen und abzugleichen, übernimmt keine Kasse. Man läuft also auch dort ins Defizit. 

Eigentlich sagen Sie also, dass Sie als CEO an den Arbeitsbedingungen gar nichts verändern können?
Doch, wir versuchen im Rahmen unserer Möglichkeiten, die Anstellungsbedingungen wettbewerbsfähig zu halten. Für viele Mitarbeitende sind auch weiche Faktoren wichtig wie Kultur, Teamgeist, Kollegialität.

Auch das scheint aber oft im Argen zu liegen: In Spitälern, liest man, herrscht eine strikte, männerdominierte Hierarchie. Kennen Sie das aus Ihrem eigenen Arbeitsleben?
Ich selbst hatte nie oder kaum je sexistisch geprägte Erfahrungen. Aber das männerdominierte Hierarchische, das stimmt. Das hängt damit zusammen, dass gegen oben die Luft sehr dünn wird. Hier muss man als CEO aktiv werden und vorausschauend handeln, denn ein starkes Team über die einzelnen Abteilungen und Berufsgruppen hinweg kann so manchen kleinen Berg versetzen.

Wie fördern Sie das?
In Lachen habe ich zum Beispiel Führungskurse eingeführt, die alle Kader gemeinsam besuchen. Da lernt der Kaderarzt, dass er dieselben Führungsthemen hat, wie etwa die Küchenchefin. Das hat so manchem schon die Augen geöffnet. Diese gemeinsamen Tage sind für den Zusammenhalt Gold wert.

Stichwort Betriebsklima: Chefärzte sind meist Männer. Tun Sie etwas, um dem entgegenzuwirken?
Ich würde gern, aber es ist sehr schwierig. Wir hatten letzthin am Spital Lachen eine Stelle für einen Chefchirurgen ausgeschrieben. Es hat sich keine einzige Frau beworben. 

Woran, denken Sie, liegt das?
Ich glaube, es gibt tatsächlich einen Geschlechterunterschied: Frauen sind eher an einer Spezialisierung in ihrem Fach interessiert und vielleicht weniger an Status. Ich würde es begrüssen, wenn sich mehr Frauen auf die Topstellen bewerben würden. Aber ich stelle auch keine ein, nur weil sie eine Frau ist. Die Qualifikation muss stimmen. 

Wenn Sie aufgrund Ihrer Erfahrung in die Zukunft blicken: Wie sieht das Schweizer Gesundheitswesen in zehn Jahren aus, und was braucht es dafür?
Wir müssten uns als Gesellschaft offen unbequeme Fragen stellen: Wollen wir ein Gesundheitssystem, das allen zu jeder Zeit alles bietet? Ich finde, man müsste sich ehrlicherweise auch fragen, wer welche Behandlung auf Kosten der Öffentlichkeit «verdient» hat. Dann müssen wir auch bereit sein, dafür zu zahlen – oder aber Dienstleistungen abbauen. 

Moment, Sie plädieren dafür, ältere Menschen sterben zu lassen oder Suchtkranke reduziert zu behandeln, um zu sparen?
Nein, ich plädiere dafür, eine ehrliche Diskussion zu führen. Unser Körper ist darauf angelegt, ungefähr 70 Jahre alt zu werden. Alles darüber hinaus ist Bonus. Und für die Gesellschaft teuer. Aktuell ist es so, dass bei jedem jede lebensverlängernde Massnahme getroffen wird. Bei allem Verständnis für Angehörige muss man sich doch fragen, ob das in jedem Fall sinnvoll ist. In diese Diskussion gehört für mich auch die Frage nach dem Leistungsumfang der Grundversicherung.

Was meinen Sie damit?
Es gibt schon heute vonseiten der Krankenkassen Beispiele, die im zusatzversicherten Bereich gewisse Leistungen ausschliessen, zum Beispiel bei Suchterkrankungen. Aber niemand führt diese Diskussion offen, weil damit schwierige moralische Fragen einhergehen. 

Wie werden sich aber unsere Spitäler konkret verändern? Und was bedeutet dies für uns potenzielle Patienten?
Wenn wir mit der Finanzierung so weiterfahren wie bis jetzt, müssen Patienten – wie bereits im Ausland – lernen, zu warten. Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass wir zum Beispiel unser neues Hüftgelenk sofort erhalten. Ich denke ausserdem, dass die Gesundheitsversorgung in der Schweiz nicht kantonal, sondern überregional analysiert und organisiert wird. Für Menschen in abgelegenen Gebieten wird deshalb die Versorgung schwieriger und weniger wohnortnah werden. Und natürlich wird der Trend von ambulant vor stationär weitergehen und immer mehr Operationen werden, wann immer möglich und vertretbar, ambulant durchgeführt werden.

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