Von Turnverein bis Tennislager
Sexuelle Ausbeutung im Sport: So schützt du dein Kind

Nicht nur, weil körperliche Nähe im Spiel ist, besteht in Sportvereinen die Gefahr eines Übergriffes. Yvonne Kneubühler von der Fachstelle Limita weiss, wie Eltern ihren Nachwuchs schützen können.
Publiziert: 15.09.2023 um 09:50 Uhr
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Aktualisiert: 15.09.2023 um 09:57 Uhr
Neben Körperkontakt begünstigen auch andere Aspekte die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen im Sport. (Symbolbild)
Foto: Shutterstock
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Jonas DreyfusService-Team

Warum sind Sportvereine ein Risikofeld?

Dass Kinder in dieser Umgebung physische Nähe zu Erwachsenen haben, ist unvermeidbar. Zum Beispiel, wenn Trainer junge Turnerinnen und Turnern beim Üben eines Rückwärtssaltos sichern. Auch emotionale Nähe gehört dazu in Situationen wie einer Niederlage, nach der ein Kind womöglich Trost braucht. Sport lebe von Freundschaft und intensiven gemeinsamen Erlebnissen, sagt Yvonne Kneubühler (45), Geschäftsführerin von Limita, Fachstelle zur Prävention von sexueller Ausbeutung. Bei Sportvereinen seien Machtgefälle und Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Verantwortlichen und den Schützlingen zudem ausgeprägt. Ein Erwachsener bestimme, wer an einen Wettkampf gehen darf und beschliesst, wer besondere Förderung verdiene. «Tatpersonen können sich das leicht zunutze machen.»

Gibt es Zahlen dazu?

Es ist sehr schwierig, Kinder zu sexuellen Übergriffen zu befragen und die Dunkelziffer ist hoch. Deshalb existieren wenig Studien zu diesem Thema. Die neuste ist die Optimus-Studie aus dem Jahr 2012. Von 1000 weiblichen Kindern und Jugendlichen gab jeder vierte bis fünfte Befragte an, sexuell missbraucht worden zu sein. Bei den Knaben war es jeder zwölfte Befragte. Gemäss Studie birgt das soziale Umfeld, zu dem auch Bezugspersonen aus Sportvereinen gehören, nach dem familiären Umfeld das grösste Risiko für sexuelle Ausbeutung.

Ein Trainer hilft einer Turnerin beim Handstand. Vertrauen zu können, ist gemäss Expertin wichtig. Es dürfe aber nicht dazu führen, dass man ungute Gefühle ausblende.
Foto: Getty Images

Wie gehen Täter vor?

Sie planen ihre Tat immer lange im Voraus, sagt Kneubühler. Zuerst werde eine Beziehung zum Kind und meistens auch dessen Eltern aufgebaut. Dann werde die körperliche Distanz zum Kind subtil verkürzt, sodass es gar nicht realisiere, was geschieht. So könne es zum Beispiel sein, dass Hände bei einer Massage gegen Rückenverspannungen während Monaten immer mehr in Richtung Gesäss wandern. Kneubühler: «Ein Kind ist chancenlos, wenn es in die Fänger einer Tatperson gerät.»

«Mein Körper gehört mir – auch im Sport!» (Loewe Verlag, 2023). Ein Bilderbuch für Kinder, das sich mit dem Bewahren von Grenzen im Sportunterricht befasst. Die deutsche Autorin und Illustratorin Dagmar Geisler (64) hat es in Zusammenarbeit mit der deutsch-kenianische Degenfechterin Alexandra Ndolo (36) realisiert.
Foto: Loewe Verlag

Wie können Eltern ihre Kinder schützen?

«Eltern müssen für die Grenzen ihrer Kinder einstehen», sagt Kneubühler. Das beginne damit, dass sie es nicht automatisch als Hirngespinst des Kindes abtun, wenn es von irritierendem Verhalten einer Bezugsperson erzählt. Besser noch, sagt Kneubühler, wenn Eltern das irritierende Verhalten noch vor dem Kind wahrnehmen. Bei ihrer Arbeit wurde sie zum Beispiel mit einem Fall konfrontiert, in dem ein Junge im Alter von rund 9 Jahren regelmässig alleine mit dem Privatwagen des Fussballtrainers an Tourniere gefahren wurde. Der Trainer gab an, dass er sowieso alleine hinfahren müsse und der Wohnort des Jungen auf dem Weg läge. Die Eltern waren im ersten Moment froh, dass sie entlastet wurden, fanden die Fahrten mit der Zeit aber immer wie seltsamer. Während ihnen kam es tragischerweise tatsächlich zu Übergriffen, von denen das Opfer nach längerer Zeit erzählte.

Wie spricht man solche Dinge als Eltern am besten an?

Es brauche Mut, eine Bezugsperson mit unguten Gefühlen, die man hat, zu konfrontieren, sagt Kneubühler. Wichtig sei, dass man sachlich bleibe. Zum Beispiel, indem man bei der Vereinsleitung nachfrage, wie die Situation, die einen verunsichert, geregelt sei. Oder, indem man das Problem direkt anspreche: «Es irritiert mich, dass XY das und das macht.» Die Eltern des sexuell ausgebeuteten Jungen haben sich laut Kneubühler wahnsinnige Vorwürfe gemacht, dass sich sie sich nicht getraut haben, vom Verein zu verlangen, dass keine Einzelfahrten mehr durchgeführt werden. Sobald sich ein Verdacht erhärte, sagt sie, wende man sich am besten an eine geeignete Fachstelle. Limita ist auf Prävention spezialisiert, hilft aber gerne bei der Vermittlung.

Kontakte Prävention und Opferberatung

Elternabende, Schulung und Beratung:

  • Fachstelle Limita (Deutschschweiz) www limita.ch
  • Espas (Romandie) www.espas.info
  • Aspi (Tessin) www2.aspi.ch


Bei Verdacht auf sexuelle Ausbeutung:

Elternabende, Schulung und Beratung:

  • Fachstelle Limita (Deutschschweiz) www limita.ch
  • Espas (Romandie) www.espas.info
  • Aspi (Tessin) www2.aspi.ch


Bei Verdacht auf sexuelle Ausbeutung:

Was können die Vereine selbst unternehmen?

Fachstellen wie Limita beraten Vereine, Schulen, Kitas etc. beim Erstellen eines Schutzkonzeptes/Verhaltenskodex, in dem zum Beispiel definiert wird, dass sich Erwachsene nicht gleichzeitig mit Kindern und Jugendlichen in der Umziehkabine aufhalten. «Je genauer man definiert, wie man in bestimmten Situationen vorgeht, desto auffälliger ist es, wenn es jemand anders macht», sagt Kneubühler. Dazu gehöre auch der Umgang mit sogenannten Heimwehkindern in Lagern. Eine Tatperson sorge womöglich dafür, dass sie das Kind, das sein Zuhause vermisst, unbeaufsichtigt bei sich habe unter dem Vorwand, es zu trösten. «Man kann zum Beispiel definieren, dass die Eltern miteinbezogen werden oder erst einmal ein anderes Kind die tröstende Rolle übernimmt.» Ein Verhaltenskodex dürfe nicht nur ein Papier in einem Ordner sein, fügt Kneubühler an. Es sei wichtig, dass man regelmässig bespricht, wie gut oder schlecht sich der Kodex bewährt oder welche schwierigen Situationen sich daraus ergeben. «Der offene Umgang mit Fehlern geniesst im leistungsorientierten Sport-Bereich keine Priorität.» Hier sei ein Umdenken nötig. «Denn die beste Prävention bietet ein Verein, wenn er seine Diskussions- und Feedbackkultur pflegt.»

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