Wenn Kinder im Bett der Eltern schliefen, galt das bis vor zwanzig Jahren in der Schweiz als Zeichen dafür, erzieherisch zu versagen. Das habe sich stark geändert, sagt Kinderarzt Oskar Jenni (56), Leiter der Entwicklungspädiatrie des Kinderspitals Zürich.
Grund sei die zunehmende Verbreitung der bindungsorientierten Erziehung, deren Verfechterinnen und Verfechter verständnis- und liebevoll auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen. Wenn das Kind Geborgenheit sucht im elterlichen Bett, darf man es laut Jenni ruhig dort schlafen lassen. «Eltern, die sich gestört fühlen, suchen an besten mithilfe einer Fachperson nach Lösungen.»
Die Wissenschaft teilt sogenanntes Co-Sleeping oder Bedsharing in drei Kategorien ein:
- Frühes Elternbett: Säuglinge, die auf Wunsch ihrer Eltern in deren Bett schlafen.
- Reaktives Elternbett: Kinder ab etwa einem Jahr, die bei den Eltern schlafen, weil sie in der Nacht aufwachen und nicht mehr selbständig einschlafen können.
- Kulturelle Gründe: Kinder schlafen im Elternbett, weil ihre Eltern das aus weltanschaulichen Gründen so wünschen oder es in der Kultur, aus der sie stammen, so üblich ist. Wie zum Beispiel in Teilen von Asien und Afrika.
Viele Eltern hätten nach wie vor Ängste, wenn es ums Thema Co-Sleeping gehe, sagt Jenni. Er räumt mit den am meisten verbreiteten Befürchtungen auf.
Befürchtung 1: Mein Kind lernt nicht, alleine zu schlafen
Ein Kind, das im Elternbett schlafe, habe tendenziell länger, bis es ein- und durchschlafe, sagt Jenni. Das liege daran, dass es weniger geübt darin sei, seine Emotionen selbst zu regulieren. «Wenn immer jemand neben ihm liegt und reagiert, wenn es aufwacht, fällt es dem Kind schwer, sich selbst zu beruhigen, wenn es plötzlich alleine im Bett liegt.» Das heisse aber nicht, dass das Kind nicht lernt, alleine zu schlafen. «Es tut es einfach ein bisschen später.»
Befürchtung 2: Der plötzliche Kindstod könnte eintreten
Weil der plötzliche Kindstod statistisch öfter bei Kindern eintritt, die bei den Eltern im Bett schlafen, empfehlen die Kinderärztegesellschaften in allen europäischen Ländern, in England und den USA, auf ein Co-Sleeping im Säuglingsalter zu verzichten. Die Gesellschaft «Pädiatrie Schweiz» ist weniger rigide in ihrer Empfehlung. Jenni: «Es gibt Hinweise darauf, dass das erhöhte Risiko nur zutrifft, wenn die Eltern Raucher sind oder wenn sie regelmässig Alkohol oder Drogen zu sich nehmen».
Befürchtung 3: Ich könnte mein Kind versehentlich erdrücken
Das Risiko besteht laut Jenni vor allem bei Säuglingen, wenn das Bett zu klein ist und ein Erwachsener darin liegt, der betrunken oder unter Einfluss anderer Drogen oder Medikamente steht. Deshalb – und zusätzlich in Anbetracht der Risiken für den plötzlichen Kindstod – sei es wichtig, dass das Bett genügend gross sei, die Decke nicht zu schwer, die Matratze nicht zu weich und die Zimmertemperatur nicht zu hoch. «Der beste Schlafort für einen Säugling bleibt aber ein eigenes Bettchen im Schlafzimmer der Eltern.»
Befürchtung 4: Ich bekomme nicht genügend Schlaf
Die Vorstellung eines Kindes, das friedlich zwischen Eltern schlummert, ist herzerwärmend. Die Realität sieht oft anders aus: Der Nachwuchs liegt quer auf der Matratze, die Eltern klammern sich am Rand fest, während sich eine kleine Ferse in ihr Rückgrat bohrt. Wenn jemand deswegen tagsüber übermüdet sei, sollte er eine Lösung suchen oder sich Hilfe bei einer Fachperson holen, sagt Jenni.
Eine Möglichkeit:
- Eine Matratze wird neben das Elternbett gelegt, auf der ein Elternteil mit dem Kind schläft.
- In einem zweiten Schritt legen die Eltern diese Matratze ins Kinderzimmer. Ein Elternteil schläft dort mit dem Kind eine Zeit lang gemeinsam.
- In einem dritten Schritt soll das Kind im eigenen Bett schlafen.
Spätestens in der Pubertät komme aber bei jedem Kind der Punkt, an dem es ausdrücklich nicht mehr im Elternbett schlafen will, sagt Jenni. «Bis dahin hätte ich keine Bedenken, wenn das Kind das Bedürfnis hat, in der Nacht nahe bei den Eltern zu sein.»
Kinderarzt Oskar Jenni (56) leitet seit bald zwanzig Jahren als Nachfolger von Remo Largo (1943–2020) die Abteilung für Entwicklungspädiatrie am Universitäts-Kinderspital Zürich und ist Professor für Entwicklungspädiatrie an der Universität Zürich. Zudem leitet er die Zürcher «Akademie. Für das Kind. Giedion Risch». Das Ziel der Akademie ist, in der Gesellschaft mit unterschiedlichen Projekten das Wissen über die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu verankern.
Kinderarzt Oskar Jenni (56) leitet seit bald zwanzig Jahren als Nachfolger von Remo Largo (1943–2020) die Abteilung für Entwicklungspädiatrie am Universitäts-Kinderspital Zürich und ist Professor für Entwicklungspädiatrie an der Universität Zürich. Zudem leitet er die Zürcher «Akademie. Für das Kind. Giedion Risch». Das Ziel der Akademie ist, in der Gesellschaft mit unterschiedlichen Projekten das Wissen über die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu verankern.