In urbanen Zentren gibt es einen Babyboom
Die Stadt als Kinderstube

Die Geburtenzahlen sind so hoch wie seit 25 Jahren nicht mehr. In den Schweizer Städten gibt es einen Babyboom. Vier Familien erzählen, wieso die Stadt der beste Ort für Kinder ist.
Publiziert: 29.04.2018 um 12:58 Uhr
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Aktualisiert: 16.07.2019 um 16:40 Uhr
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Die Geburtenzahlen in der Schweiz steigen seit Mitte der Nullerjahre wieder. Seit den frühen 90er-Jahren gab es nicht mehr so viele Babys wie 2016. Dazu tragen vor allem städtische Mamis bei. Auch Nina Mauerhofer (38) gehört zu den Müttern, die mit ihren Familien in der Stadt wohnen.
Foto: Thomas Meier
Dana Liechti

Hochhäuser, Verkehr, Menschen aller Couleur. Und Babys. Viele Babys. Das ist die typische Schweizer Stadt im Jahr 2018. Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigen: Seit Mitte der Nullerjahre steigen die Geburtenzahlen in der Schweiz und sind zum ersten Mal wieder so hoch wie vor knapp 30 Jahren.
Hauptverantwortlich dafür sind Stadtmamis.

Denn in Schweizer Städten gibt es einen regelrechten Babyboom. Seit 2001 weist Zürich einen 56-prozentigen Anstieg der Geburtenrate auf, Bern 50 Prozent, Basel 40 Prozent, und in Luzern ist es knapp ein Drittel mehr. Zum Vergleich: Schweizweit stieg die Geburtenrate seit 2001 nur um 21,5 Prozent an. In Zürich dagegen erblickten 5208 Neugeborene im Jahr 2016 das Licht der Welt – 2001 waren es noch 3325. Was früher als wenig erstrebenswert galt, ist heute Trend: Familie haben mitten in der Stadt.

Seit Mitte der Nullerjahre steigen die Schweizer Geburtenzahlen wieder an. Besonders in den Städten werden viele Babys geboren.

So wie Sonja Roest Vontobel und Johannes Vontobel, die ganz bewusst im Kleinbasel wohnen, einem Stadtteil, der als wild und verrucht gilt. Oder Nina Mauerhofer und Alexander Blaser, denen das Stadtleben so wichtig ist, dass sie seit mehr als einem Jahr eine Wohnung im Berner Lorraine-Quartier suchen, obwohl es einfacher und billiger wäre, auf dem Land eine Bleibe zu finden. Oder die Strebels, die ihr Zuhause in einem Zürcher Edelvorort gegen das Leben in einem städtischen Trendquartier getauscht haben.

Stadtluft macht nicht nur frei, sondern auch fruchtbar

Dass es in den Städten immer mehr Kinder gibt, hat handfeste politische Gründe. François Höpflinger, emeritierter Professor für Soziologie an der Uni Zürich, führt den Babyboom stark auf den subventionierten Wohnungsbau in den Schweizer Städten zurück (siehe Interview): Familiensiedlungen und neue Überbauungen spriessen seit Jahren aus dem Boden – Krippen sind in den Siedlungen gleich mitverbaut. In Zürich wohnt jede dritte Familie in einer Genossenschaftswohnung.

Ganze Quartiere werden auf Familien ausgelegt. Das Verkehrsnetz ist so gut, dass manch eine Familie kein Auto braucht – und so viel Geld sparen kann.

Und: Sozialpolitisch sind Städte oft kulanter als Gemeinden auf dem Land, was die Subventionierung der Kinderbetreuung in Kitas angeht. Familie und Beruf sind einfacher zu vereinbaren. Zudem ist es in verkehrsarmen Quartieren unter Umständen genauso ruhig wie auf dem Land. Und wer dem Kind das Gemüsegärtli nicht vorenthalten will, mietet einen Schrebergarten oder pflanzt auf dem Balkon an.

Kinder in der Stadt aufziehen, ist in. Sonja Roest Vontobel lebt mit ihren Sprösslingen in Kleinbasel.
Foto: Thomas Meier

Die Schweizer verfolgen die Zwei-Kind-Politik

Doch der Fortpflanzung förderlich ist auch ein gesellschaftlicher Trend: Die traditionelle Familie erlebt in unseren unsicheren Zeiten gemäss Höpflinger eine Renaissance. Die Folge: Immer weniger Schweizer bleiben kinderlos. Laut Umfragen können sich nur sechs Prozent der Millennium-Generation (zwischen 1980 und 2000 geboren) gar nicht vorstellen, Kinder zu kriegen. Familie haben ist in. Im Unterschied zu früher auch im urbanen Umfeld.

  Am liebsten sollen es zwei Kinder sein – das zeigt der Familienbericht 2017 des BFS. Und immer mehr Familien setzen dieses Ideal um. Besonders gut ausgebildete Frauen sind für den Babyboom verantwortlich. In den 90er-Jahren blieben gemäss Höpflinger noch rund 40 Prozent der Frauen mit Tertiärausbildung kinderlos, heute sind es nur noch 25.

Der Anteil derjenigen, die vor 25 eine Familie gründen, wird zwar kleiner, doch es gibt sie immer noch – auch in den Städten, wie das Beispiel der Familie Antunes zeigt. Noch vor 25 Jahren waren Mütter unter 30, wie Vanessa Antunes, die mit 25 Mami von Söhnchen Nahuel wurde, die grosse Mehrheit. Heute ist das Durchschnittsmami 31,8.

Jede dritte Frau wird heute nach 34 Mami

Mehr noch: Jede dritte Schweizerin ist bei der Geburt ihres ersten Kindes sogar über 34. Das liegt daran, dass ernsthafte Beziehungen heute eher später realisiert werden, viele Frauen sich zuerst ihrer Ausbildung und dem Aufbau ihrer Karriere widmen, ein genügend grosses Budget anschaffen, bevor sie sich dem Kinderwunsch zuwenden.

Und: Junge Menschen wohnen heute länger bei ihren Eltern, geniessen länger das jugendliche Leben, bleiben nach dem Abschluss eben in den Städten, in denen sie ihre Ausbildung gemacht haben.

Auch Nina Mauerhofer ist erst mit 35 zum ersten Mal Mami geworden. Eigentlich habe sie lieber früh als spät Kinder gewollt. Aber der richtige Mann habe auf sich warten lassen. Den hat sie mittlerweile gefunden. Jetzt fehlt nur noch die perfekte Stadtwohnung.

«Die Familie geniesst momentan eine grosse Aufwertung»

François Höpflinger, wie erklären Sie sich den Babyboom in den Schweizer Städten?
Der Babyboom hängt stark mit der Entfaltung des sozialen Wohnungsbaus zusammen. Er findet vor allem in Quartieren mit Genossenschaftswohnungen und Kinderbetreuungsangeboten statt, in Zürich wohnen 37 Prozent der jungen Familien in Genossenschaftswohnungen. Weiter geniesst die Familie momentan eine grosse Aufwertung – gerade in der unsicheren Gesellschaft sind familiäre und partnerschaftliche Beziehungen wieder wichtiger geworden. Ewige Liebe ist in, etwas weniger Kinder erleben eine Scheidung.

Was bedeutet das für die Städte?
Die Entwicklung kam überraschend, jetzt brauchen sie mehr Schulen. Die Quartiere stehen plötzlich im Wettbewerb miteinander, wer die kinderfreundlicheren Wohnungen anbietet und die näheren Krippen hat. Für die Stadt sind die vielen jungen, gut ausgebildeten Leute, die es durch die Familienbauten hinzieht, positiv, weil so Firmen nachziehen wie Google in Zürich. Das haben die ländlichen Regionen vielleicht etwas verpasst.

Passiert auf dem Land denn gar nichts mehr?
Doch, es gibt schon noch familiale Regionen. Aber in den 80ern zum Beispiel war es klar, dass man für die Familiengründung aufs Land zieht. Heute bleibt man eher in der Stadt oder zieht sogar hin. In der Stadt sind auch alternative Familienzusammensetzungen akzeptiert. Dafür würde man auf dem Land schräg angeschaut.

Hängt die steigende Geburtenrate mit der Einwanderung zusammen?
Nur bedingt. Insgesamt gibt es schon eine höhere Geburtenrate durch die Einwanderung. In den Städten sind es vor allem Leute aus dem EU-Raum, die dazu beitragen. Aber das Geburtenniveau von Kosovaren oder Nordafrikanern etwa wird sich in der zweiten Generation an jenes der Schweiz anpassen.

Prof. Dr. phil. François Höpflinger (70) ist Experte für Familiensoziologie und Generationenforschung an der Uni Zürich.

François Höpflinger, wie erklären Sie sich den Babyboom in den Schweizer Städten?
Der Babyboom hängt stark mit der Entfaltung des sozialen Wohnungsbaus zusammen. Er findet vor allem in Quartieren mit Genossenschaftswohnungen und Kinderbetreuungsangeboten statt, in Zürich wohnen 37 Prozent der jungen Familien in Genossenschaftswohnungen. Weiter geniesst die Familie momentan eine grosse Aufwertung – gerade in der unsicheren Gesellschaft sind familiäre und partnerschaftliche Beziehungen wieder wichtiger geworden. Ewige Liebe ist in, etwas weniger Kinder erleben eine Scheidung.

Was bedeutet das für die Städte?
Die Entwicklung kam überraschend, jetzt brauchen sie mehr Schulen. Die Quartiere stehen plötzlich im Wettbewerb miteinander, wer die kinderfreundlicheren Wohnungen anbietet und die näheren Krippen hat. Für die Stadt sind die vielen jungen, gut ausgebildeten Leute, die es durch die Familienbauten hinzieht, positiv, weil so Firmen nachziehen wie Google in Zürich. Das haben die ländlichen Regionen vielleicht etwas verpasst.

Passiert auf dem Land denn gar nichts mehr?
Doch, es gibt schon noch familiale Regionen. Aber in den 80ern zum Beispiel war es klar, dass man für die Familiengründung aufs Land zieht. Heute bleibt man eher in der Stadt oder zieht sogar hin. In der Stadt sind auch alternative Familienzusammensetzungen akzeptiert. Dafür würde man auf dem Land schräg angeschaut.

Hängt die steigende Geburtenrate mit der Einwanderung zusammen?
Nur bedingt. Insgesamt gibt es schon eine höhere Geburtenrate durch die Einwanderung. In den Städten sind es vor allem Leute aus dem EU-Raum, die dazu beitragen. Aber das Geburtenniveau von Kosovaren oder Nordafrikanern etwa wird sich in der zweiten Generation an jenes der Schweiz anpassen.

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