Auf einen Blick
Mit grossen Kulleraugen schaut sich das Baby im Raum um. Sprechen wir zu ihm, müssen wir uns anstrengen, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen; zu viele Ablenkungen wecken sein Interesse. Meist verfallen wir dann automatisch in eine besondere Sprechweise, gespickt mit übertriebener Betonung und einfachen Wörtern.
Doch ist diese «Babysprache», auch kindgerichtete Sprache genannt, wirklich förderlich für die Sprachentwicklung des Kindes? Blick sprach mit der Psycholinguistikerin Jutta Mueller (50), um dieser Frage auf den Grund zu gehen.
Was ist kindgerichtete Sprache?
Seit den 1980er-Jahren untersucht die Wissenschaft die Eigenschaften und Einflüsse der kindgerichteten Sprache, im englischen Fachjargon infant-directed speech (IDS) genannt. «Das auffälligste Merkmal ist die Akustik: Wir sprechen in einer höheren Tonlage und machen mehr Pausen», sagt Jutta Mueller, Professorin für Psycholinguistik an der Universität Wien (A). Auch die Variation, also das Auf und Ab der Stimmlage, ist ein typisches Merkmal der IDS.
Darüber hinaus zeichnet sich IDS durch einen einfachen Satzbau und inhaltlich konkrete Begriffe aus der Umgebung aus. Viele verwenden auch Gestik und Mimik sowie intensiven Blickkontakt während des Sprechens, um die Aufmerksamkeit des Kindes zu behalten.
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Ist IDS notwendig für den Spracherwerb?
«Da scheiden sich die Geister ein bisschen», sagt Mueller. Die Forschung gibt keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Es gibt Hinweise darauf, dass kindgerichtete Sprache nützlich sein kann, Wörter im Sprachstrom einfacher zu erkennen. Auch haben Experimente gezeigt, dass Babys ihre Aufmerksamkeit länger auf IDS richten als auf an Erwachsene gerichtete Sprache.
«Wir wissen aber nicht, ob der Lernerfolg grösser ist», sagt Mueller. Denn hier beginnt bereits die Schwierigkeit. In unterschiedlichen Sprachen führten die Experimente zu unterschiedlichen Ergebnissen. «Es gibt Kulturen, in denen es eher unüblich ist, so viel mit kleinen Babys zu sprechen.»
Was sich sagen lässt, ist, dass Kinder mit Hörbeeinträchtigung von IDS profitieren. Die starke Betonung von kleinen akustischen Modulationen hilft ihnen, den Unterschied zwischen Wörtern wie zum Beispiel «den» und «dem» zu erkennen.
Wie kann man die Sprachentwicklung bei Kindern fördern?
«Es gibt sehr viele Hinweise darauf, dass die Menge an sprachlichem Input, die Kinder in den ersten Lebensjahren erhalten, beeinflusst, wie gut die Sprachentwicklung verläuft», sagt Mueller. Wichtig sei es vor allem, eine gemeinsame Aufmerksamkeit zu schaffen und mit dem Kind über Gegenstände oder Aktivitäten aus der Umgebung zu sprechen. Der Gegenwartsbezug hilft ihnen, das Gelernte mit der Welt zu verknüpfen.
Unabhängig davon, ob dies in IDS vermittelt wird oder nicht. Denn der soziale Aspekt und Aufmerksamkeit spielen ebenfalls eine grosse Rolle. «Letztlich ist jeder echte soziale Austausch und jede Interaktion förderlich für den Spracherwerb», sagt Mueller.
Sollte man Fehler von Kindern korrigieren?
Lange herrschte ein Konsens in der Sprachwissenschaft, dass Kinder kein Feedback brauchen, um die Grammatik ihrer Muttersprache zu erlernen. «Unterdessen zeigen Studien, dass es hilfreich sein kann», sagt Mueller. Sie rät aber davon ab, Kinder explizit zu korrigieren oder zurechtzuweisen, wenn sie einen sprachlichen Fehler machen. Viel eher zeigen Studien, dass es hilft, wenn Eltern dem Kind die korrekte Variante wiederholen.
Rückspiegeln kann einen positiven Einfluss haben. Es sollte aber der sozialen Realität entsprechen, die man in einer Situation hat. Die Interaktion sollte sich nicht wie in einer Schulstunde anfühlen. «Der natürliche, soziale Austausch ist viel wichtiger in der Entwicklung», sagt Mueller.
Jutta Mueller ist universitäre Professorin an der Universität Wien und forscht auf dem Gebiet der Neurolinguistik – sprachliche Prozesse im Gehirn. Ihr Forschungsschwerpunkt sind die neurophysiologischen Prozesse im Zusammenhang mit dem Spracherwerb im Verlauf der Lebensspanne sowie die Neurokognition des Spracherwerbs in der frühen Kindheit.
Jutta Mueller ist universitäre Professorin an der Universität Wien und forscht auf dem Gebiet der Neurolinguistik – sprachliche Prozesse im Gehirn. Ihr Forschungsschwerpunkt sind die neurophysiologischen Prozesse im Zusammenhang mit dem Spracherwerb im Verlauf der Lebensspanne sowie die Neurokognition des Spracherwerbs in der frühen Kindheit.
Ist Zweisprachigkeit beim Aufwachsen besser für das Sprachgefühl?
Es sei zumindest kein Nachteil, meint Mueller. In den 60er- und 70er-Jahren war die Annahme verbreitet, dass bilinguales (zweisprachiges) Aufwachsen ein Nachteil für die Sprachentwicklung sei. Heute wird es in der Gesellschaft eher als etwas Positives gesehen.
«Wir wissen, dass wir einfach besser in der Sprache sind, wenn wir früh damit anfangen», erklärt Mueller. Aber das sei bei vielen Dingen so, ob Fussball, Klavierspielen oder Eiskunstlaufen. Wenn möglich, sei es von Vorteil, Kinder früh mit mehreren Sprachen in Kontakt zu bringen. «Insgesamt wirkt sich Zweisprachigkeit positiv auf den Einzelnen aus und auf das, was ihm oder ihr später im Leben offensteht», sagt die Expertin.