Wenn sich das eigene Kind verschluckt, wissen viele Eltern vor lauter Panik nicht, wie man ihm helfen kann. Andrea Schmid ist Fachspezialistin und Verantwortliche für Aus- und Weiterbildung beim Schweizerischen Samariterbund, einer Rettungsorganisation des Schweizerischen Roten Kreuzes SRK. Sie gibt Auskunft dazu, woran man erkennt, dass ein Baby oder Kind etwas verschluckt hat und was genau im Ernstfall zu tun ist.
Frau Schmid, woran verschlucken sich Kinder am häufigsten?
Zu Notfällen kommt es oft mit Nahrungsmitteln wie Weintrauben, Rüebli, Äpfeln oder Nüssen. Kinder nehmen aber auch Spielzeugteilchen und kleine Gegenstände wie Schrauben, Nadeln oder Geld in den Mund.
Welcher Fremdkörper ist am gefährlichsten?
Weil Erdnüsse etwa den Durchmesser der Luftröhre kleiner Kinder haben, können sie darin verkeilen, was sehr gefährlich ist. Nebst der Form sind Erdnüsse auch wegen ihres Fettgehalts bedenklich. Das Öl reizt die Schleimhaut der Luftröhre, was ein Raushusten erschweren kann. Durch das Öl kann die Nuss zudem leichter in die Lunge rutschen. Deshalb gilt: Kindern unter drei Jahren sollte man keine Erdnüsse geben.
Spielt dabei das Alter des Kindes eine Rolle?
Je kleiner das Kind, desto grösser das Risiko, dass es etwas verschluckt. Besonders gefährdet sind die Kleinen im Alter von sechs Monaten bis vier Jahren, da sie in dieser Zeit besonders entdeckungsfreudig sind. Aus Erfahrung weiss man auch, dass Buben doppelt so häufig betroffen sind wie Mädchen.
Welche Zeichen gibt es dafür, dass ein Kind sich verschluckt hat?
Selbstverständlich, wenn das Kind es selber sagen kann. Auch das Klagen über Schmerzen im Brustbereich oder Husten könnten ein Indiz dafür sein. Pfeifende oder rasselnde Atemgeräusche sind ebenfalls ein Hinweis darauf, dass etwas verschluckt wurde, ebenso bläulich verfärbte Lippen oder eine heisere Stimme, die nicht auf eine Erkältung zurückzuführen ist. Es kommt auch vor, dass das Kind aus unerklärlichen Gründen würgen muss oder dass ihm Speichel aus dem Mund tritt. Letzteres geschieht deshalb, weil die Spucke nicht mehr heruntergeschluckt werden kann.
Wie viel Zeit habe ich, wenn so etwas passiert?
Es ist extrem wichtig, sofort zu reagieren, denn wenn es zu einem Atemstillstand kommt, führt das innerhalb von drei bis fünf Minuten zu bleibenden Hirnschäden durch den akuten Sauerstoffmangel. Rufen Sie sofort die Notfallnummer 144 an und sagen Sie, ob es sich um einen Säuglings- oder Kleinkind-Notfall handelt. Die Person in der Leitung begleitet den Anrufer oder die Anruferin mit Anweisungen am Telefon bis zum Eintreffen der Rettungskräfte.
Mein Baby hat sich verschluckt – was muss ich konkret tun?
Legen Sie den Säugling bäuchlings auf den Arm, sodass der Kopf und das Gesicht nach unten zeigen. Umfassen Sie den Kiefer mit Daumen und Zeigefinger, um den Kopf des Kindes zu stützen und um die Luftwege zu verlängern. Klopfen Sie nun fünf Mal mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter. Nach jedem Schlag auf den Rücken dem Kind kurz Gelegenheit zum Luft holen lassen. Kontrollieren Sie anschliessend, ob der Fremdkörper am Boden liegt oder sich im Mundraum des Babys befindet.
Falls er nicht ausgetreten ist, drehen Sie das Kind und legen Sie es auf ihre Oberschenkel mit dem Kopf zum Knie. Führen Sie mit dem Zeige- und Mittelfinger zwischen den Brustwarzen eine Herzmassage ohne anschliessende Luftzufuhr durch. Dazu drücken sie fünf Mal drei bis fünf Zentimeter tief rein. Durch den Druck auf den Brustkorb gibt es auch einen Druck auf die Luftröhre. Dies erhöht die Chance, dass der Gegenstand rauskommt. Wiederholen Sie die Brustkompressionen so lange, bis der Fremdkörper austritt oder der Rettungsdienst eintrifft.
Und wenn es sich um ein älteres Kind handelt?
Wenn das Kind Sie verstehen kann, fordern Sie es zum Husten auf. Dies löst Druck aus und der verschluckte Gegenstand wird im besten Fall nach oben geschleudert. Falls dies nach mehrmaligem Versuchen nicht hilft, legen Sie das Kind über Ihr Knie und klopfen Sie ihm wie beim Säugling fünf Mal mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter. Wenn das Kind drei Jahre oder älter ist, können Sie den Heimlich-Griff anwenden. Atmet das Kind nicht mehr, müssen Sie sofort mit den Wiederbelebungsmassnahmen, sprich mit der Herzdruckmassage, beginnen.
Was ist der Heimlich-Griff und wie funktioniert er?
Der Heimlich-Griff ist eine lebensrettende Sofortmassnahme bei drohender Erstickung. Dazu umfassen Sie das Kind von hinten. Eine Hand legen Sie zur Faust geballt zwischen Bauchnabel und Rippenbogen. Die andere Hand legen Sie auf die Faust und geben nun ruckartig Druck in Richtung der Brust des Kindes. Durch den entstandenen Überdruck kann der Fremdkörper aus der Luftröhre entweichen. Wiederholen Sie abwechslungsweise fünf Schläge zwischen die Schulterblätter und fünf Heimlich-Manöver.
Wenn Sie merken, dass das Kind aufgrund des Sauerstoffmangels bewusstlos wird, müssen Sie eine Herzmassage durchführen. Verwenden Sie bei Kindern bis fünf Jahren wie oben beschrieben zwei bis drei Finger dazu, ab fünf bis sechs Jahren eine Hand und für Achtjährige oder ältere Kinder beide Hände. Führen Sie die Wiederbelebungsmassnahmen mit 30 Kompressionen zu zwei Beatmungen durch. Machen Sie dies, bis das Kind wieder selber atmet oder bis die Rettungskräfte eintreffen. Nach der Anwendung des Heimlich-Manövers sollte umgehend eine Untersuchung durch einen Kinderarzt erfolgen.
Was passiert, wenn die Ambulanz kommt, obwohl ich das Kind in der Zwischenzeit retten konnte?
Jedes Kind, das zu ersticken drohte und bei dem Rettungsmassnahmen wie zum Beispiel das Heimlich-Manöver oder eine Herzmassage durchgeführt werden mussten, wird zur Abklärung ins Spital gebracht. Dort wird geschaut, ob die angewendete Erste Hilfe allenfalls Verletzungen verursacht hat. Gewisse Symptome können auch erst Tage später auftreten, deshalb ist eine Kontrolle im Krankenhaus nötig.
Welches sind die häufigsten Fehler, die Eltern und Betreuungspersonen in Erstickungs-Notfällen machen?
Häufig wird den Kindern unvorsichtig in den Mund gefasst, auch mit Gegenständen wie Pinzetten, um die verschluckten Gegenstände herauszuholen. Dies ist sehr gefährlich, da bereits die kleinsten Verletzungen des Mundinnenraums zu Schwellungen führen können. Man muss es deshalb äusserst vorsichtig machen. Sollten Sie den Gegenstand im Mund Ihres Kindes entdecken, raten wir stattdessen, den Mundraum mit dem Zeigefinger auszuwischen und auf keinen Fall danach zu greifen, da er so noch tiefer in die Luftröhre gelangen kann.
Auch wird einer Person, die sich verschluckt hat, oft im Sitzen oder Stehen auf den Rücken geklopft. Dies sollte man auf keinen Fall machen, da der Fremdkörper so nur noch weiter nach unten gleiten kann, statt rauszukommen. Dann gibt es auch Eltern, die in der Panik ihre Kinder schütteln, doch auch hier ist der Effekt der falsche – der Gegenstand kommt nicht raus und das Schütteln kann sogar zu schweren Hirnverletzungen führen.
Wie können Eltern und Betruungspersonen solche Notfälle vermeiden?
Geben Sie Kindern unter drei Jahren niemals Erdnüsse und kein ungekochtes und hartes Essen wie Rüebli oder Äpfel. Statt einem Stück Apfel ist es besser, die Frucht zu schälen und sie dem Kind als Ganzes zu geben, damit es selbst abnagen kann. Ganz wichtig ist, dass nur im Sitzen am Tisch gegessen wird. Lassen Sie Kinder nicht mit Essen herumlaufen oder springen. Achten Sie auch darauf, dass Ihr Kind altersgerechte Spielsachen benutzt und nicht an die Sachen der älteren Geschwister herankommt. Kontrollieren Sie das Spielzeug immer wieder und vermeiden Sie aufgenähte Knopfaugen bei Plüschtieren. Im Haushalt sollten Sie gefährliche Gegenstände auf einer Höhe von mindestens 1,5 Metern aufbewahren.
Raten Sie Eltern, einen Erste-Hilfe-Kurs für Notfälle mit Kindern zu machen?
Ja, wir empfehlen das sehr. Als junge Eltern kommen so viele neue Dinge auf einen zu, da ist es wichtig zu lernen, wie man Ruhe bewahren und in Notfällen reagieren kann. Beim Schweizerischen Samariterbund bieten wir verschiedene Kurse an, darunter einen dreistündigen Kleinkinder-Kurs. Wir empfehlen Eltern auch die App «Erste Hilfe» des SRK. Diese ist gratis und immer auf dem neusten Stand. Die App «EchoSOS» ist ebenfalls sehr gut, besonders für Auslandreisen, da immer die nächste Notfallstation angezeigt wird.
Dieser Artikel wurde vom Family-Channel der «Schweizer Illustrierte» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.schweizer-illustrierte.ch/family
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