Tradition im Eifischtal
Dem legendären Gletscherwein auf der Spur

Auf einer Höhe von mehr als 1500 Meter reift Wein über Jahrzehnte hinweg. Blick-Weinredaktorin Isabelle Thürlemann-Brigger hat die «Alpenambrosia» probiert.
Publiziert: 04.03.2023 um 16:21 Uhr
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Aktualisiert: 20.04.2023 um 09:46 Uhr
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Im Eifischtal wird das Brauchtum des Gletscherweins gepflegt.
Foto: Joël Brigger
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Isabelle Thürlemann-BriggerRedaktorin Wein

Im Walliser Eifischtal (französisch Val d'Anniviers) wird das Brauchtum des Gletscherweins hochgehalten. Bei der Stippvisite in Grimentz fühle ich mich in die Vergangenheit zurückversetzt. In den engen Gässchen des ursprünglichen Dörfchens atmen die Mauern Geschichte. An den typischen Holzhäusern vorbei geht es zur Burgergemeinde. Die eingesessenen Familien der Ortschaft versammeln sich hier und halten Rat über ihre Güter, unter anderem über die Gemeindereben und den daraus gewonnenen Wein.

Im Untergeschoss des altehrwürdigen Gebäudes lagern 4200 Liter Gletscherwein in vier imposanten Lärchenfässern. Weitere 144 Fässer befinden sich in Familienbesitz und in den umliegenden Burgergemeinden.

«Sherry des Wallis»

Das Besondere am Gletscherwein ist, dass die verwendeten Fässer weder vollständig gefüllt noch geleert werden. Auf diese Weise kommt der Wein bewusst mit Sauerstoff in Kontakt und reift. Im Laufe der Zeit entwickelt sich ein komplexes Profil, das an getrocknete Früchte und Nüsse erinnert. Ausserdem wird die Farbe dunkler. Jedes Jahr nach der Ernte wird der neue Jahrgang hinzugegeben, dabei wird das älteste Fass mit dem Wein des nächstjüngeren Fasses teilweise gemischt. Die Menge ist beschränkt, sodass der eigenständige Charakter erhalten bleibt und die Aromen des Jungweins nicht überhandnehmen. Dieser Herstellungsprozess ist ähnlich wie der des Sherrys in Andalusien. Er zeichnet sich ebenfalls dadurch aus, dass unterschiedliche Jahrgänge verschnitten werden und eine Fassreife durchlaufen.

Die Ursprünge

Die Anfänge des Gletscherweins liegen im Dunkeln. Es ist davon auszugehen, dass die Tradition bis ins 13. Jahrhundert wurzelt. Seit jeher werden im Talgrund Rebstöcke bewirtschaftet und deren Trauben vinifiziert. Danach wird der fertige Wein in die Höhe gebracht und in Gletschernähe gelagert, daher der Name. Fässer waren früher Mangelware, darum wurden die verschiedenen Jahrgänge miteinander im gleichen Gebinde vermengt und gelagert. Traditionellerweise werden die Fässer für den Gletscherwein aus Lärchenholz gefertigt. Dieser Nadelbaum ist im Wallis weit verbreitet und sein Holz verleiht dem Wein einen besonderen Gout. Heute kommen auch Eichenfässer zum Einsatz, da sie einfacher zu beschaffen sind.

Heimische Rebsorten

Über Jahrzehnte hinweg wurde ausschliesslich die Rebsorte Resi verwendet. Sie ist neutral und säurebetont im Geschmack. Später kamen andere weisse Sorten aus der Umgebung dazu: Chasselas, Ermitage, Malvoisie und Petite Arvine. Nachdem die Reblaus Anfang des letzten Jahrhunderts einen Grossteil der Rebstöcke vernichtet hatte, verschwand die Resi fast gänzlich. Heute gibt es Bemühungen, die alte Sorte zu beleben und sie findet seit 2006 wieder für den Gletscherwein Verwendung.

Exklusive Kostprobe

Wer in den Genuss von Gletscherwein kommt, kann sich glücklich schätzen. Er ist im Handel nicht erhältlich und wird nur zu besonderen Anlässen getrunken – beispielsweise an Hochzeiten, Beerdigungen und wenn Würdenträger geladen sind. Insidern vorbehalten ist er dennoch nicht. Du kannst die Burgergemeinde von Grimentz im Rahmen einer öffentlichen Führung besichtigen. Dein Besuch wird mit einem Schluck Gletscherwein gekrönt. Eine einzigartige Erfahrung! Die Atmosphäre im Keller mutet für mich schon fast kirchlich an. Bei der Betrachtung der Fässer 1969, 1934, 1888 und 1886 macht sich ein erhabenes Gefühl breit.

Ein Mundvoll Vergangenheit

Es ist so weit, es wird gezapft. Den ersten «Glacier», den ich degustiere, geht auf den Jahrgang 1969 zurück und basiert auf der Ermitage-Traube. Er ist vollmundig, für sein Alter noch überraschend fruchtig, doch mit reifen Nuancen von Haselnüssen und Pilzen. Im Gaumen ist er merklich zugänglicher als der Ermitage aus dem Fass von 1934. Dieser offenbart eine angenehme Bitternote und grasige Aromen. Besonders gespannt bin ich auf den 1888er, den ältesten Wein in der Reihe. Neben Ermitage enthält er Wein aus der Sorte Resi. Ich werde nicht enttäuscht! Das Fass hat zwar 134 Jahre auf dem Buckel, sein Inhalt schmeckt wegen der hohen Säure jedoch frischer als erwartet. Noten von Liebstöckel und Harz sind im Mund vorherrschend; der Abgang ist aussergewöhnlich langanhaltend.

Das Bischofsfass

Übrig bleibt noch der 1886er, der im sogenannten Bischofsfass ruht. Offeriert wird er nur besonders hohen Gästen zu speziellen Gelegenheiten. Beispielsweise dem Bundesrat oder eben dem Bischof. Deshalb bleibt er mir verwehrt ...


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