Star-Önologe Michel Rolland
«Die Weinwelt ist voll von grossen Egos»

Wer die Weinwelt besser verstehen will, muss sich früher oder später mit dem einflussreichsten aller Önologen auseinandersetzen. Eine Begegnung mit Michel Rolland.
Publiziert: 31.03.2024 um 14:24 Uhr
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Ständig unterwegs: Star-Önologe Michel Rolland.
Foto: zVg
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Nicolas GreinacherRedaktor Wein DipWSET

Der Franzose Michel Rolland (76) gilt als einer der erfolgreichsten Önologen weltweit. Ihm wird nachgesagt, über Jahrzehnte einen prägenden stilistischen Einfluss auf die Weinproduktion gehabt zu haben. Trotz prallvoller Agenda nahm sich Rolland in einem seltenen Gespräch Zeit für unsere Fragen.

Blick: Monsieur Rolland, Sie werden oft als fliegender Winzer bezeichnet. Wie voll ist Ihr aktueller Reisekalender?
Michel Rolland: Heute bin ich in Bordeaux, morgen in Italien. Im Anschluss fliege ich nach Argentinien. Aber offen gestanden reise ich heutzutage weniger als früher, auch altersbedingt.

Im «Oxford Companion of Wine» steht, dass Michel Rolland der berühmteste Önologe-Berater ist, der für reife, tieffarbene, geschmeidige rote Bordeaux-Weine verantwortlich ist. Sind Sie mit dieser Definition einverstanden?
Nun, irgendwo ja, aber ich mag es nicht, in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden. Es stimmt, dass ich saure, unreife und krautige Weine nicht mag. Andererseits sehne ich mich auch nicht nach Überreife. Aber ich bevorzuge Überreife im Vergleich zu Unreife, wenn ich zwischen diesen beiden Extremen wählen müsste.

Aber gibt es wirklich den spezifischen Michel-Rolland-Stil?
Natürlich gibt es den. Mein Stil wurde vor einem halben Jahrhundert geboren. Ich arbeitete praktisch ausschliesslich in Bordeaux und reiste noch nicht. So habe ich zahlreiche Bordeaux-Weine verkosten dürfen, darunter auch grosse Jahrgänge wie 1928, 1929, 1945, 1947, 1949 oder 1961. Für viele Verkoster, besonders aus England, waren diese Weine eine qualitative Referenz. So wurden diese edlen Tropfen zu meinem stilistischen Bezugspunkt. Die Weine waren dunkel, reif, kraftvoll und gepaart mit geschmeidigen Gerbstoffen. Es handelte sich vor allem um sonnige Jahrgänge ohne übermässigen Regen. Dadurch wurden die Trauben reif. So war mein erster von zwei Ankerpunkten, um guten Wein herzustellen, die Kultivierung reifer Trauben. Und um reife Trauben zu erhalten, müssen einige Eingriffe im Rebberg vollzogen werden, wie zum Beispiel Ertragsreduktion.

Und was war der zweite Ankerpunkt für den Michel-Rolland-Stil?
Das Mischen verschiedener Weine. Anfänglich habe ich diese Technik in Bordeaux gelernt. Dort werden Rebsorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot oder Cabernet Franc regelmässig miteinander verschnitten. Später habe ich das Verschneiden im Napa Valley angewendet oder auch in Italien. Gerade in letzter Zeit arbeitete ich an vielen grossartigen Weinen aus der Toskana mit einem Anteil Cabernet Franc, Merlot und Cabernet Sauvignon. Das Mischen, seien es verschiedene Rebsorten oder gleiche Sorten verschiedener Weinberge, ist der Schlüssel für grossartigen Wein. Der Michel-Rolland-Stil basiert also auf zwei wesentlichen Elementen: reifem Traubengut und der Kunst des Verschneidens.

Erzählen Sie uns von Clos de los Siete, Ihrem eigenen Wein aus Argentinien.
Mit ein bisschen Glück kann man im Leben ein grosses Projekt realisieren, von dem man immer geträumt hat. Mein Traum war, eine grosse Produktion eines einzigartigen Weins zu besitzen. Nicht nur eine einzige Kellerei, denn wenn man nur eine Kellerei betreibt, bedeutet das, dass man jeweils einen Önologen hat. Ein Önologe hat immer seinen eigenen Stil. Meine Idee war es, mehrere Kellereien zu betreiben und daraus einen Wein zu verschneiden. Für Clos de Le Siete verwenden wir Weine aus vier Kellereien, die von vier leidenschaftlichen Bordeaux-Familien betrieben werden: Cuvelier Los Andes, Diamandes, Monteviejo und meine eigene Bodega Rolland. Die Hauptrebsorte ist Malbec, mit Zugaben von Cabernet Sauvignon, Merlot und Syrah.

In einer kürzlichen Vertikalverkostung von Clos de los Siete stach 2018 als schönster Wein heraus. Was können Sie uns zu diesem Jahrgang sagen?
In den letzten 35 Jahren, in denen ich in Argentinien gearbeitet habe, war 2018 der beste Jahrgang überhaupt. Und für mich persönlich ist 2018 der schönste Jahrgang, den wir jemals bei Clos de los Siete abgefüllt haben. Als ich bei der Lancierung Werbung für den Wein gemacht habe, sagte ich den Leuten ständig, dass dieser Wein viel zu gut für den Preis ist!

Persönlich

Der 76-jährige Michel Rolland hat nach fast 40 Jahren önologischer Beratungstätigkeit den Blick fürs grosse Ganze. Als fliegender Winzer berät er Spitzenweingüter rund um den Globus. In Argentinien hat Rolland seine zweite Heimat gefunden, wo er auch ein eigenes Weingut besitzt. Obwohl der gebürtige Franzose nach wie vor viel unterwegs ist, verbringt Rolland die meiste Zeit in Bordeaux, wo er auch ein eigenes Weinlabor betreibt.

Der 76-jährige Michel Rolland hat nach fast 40 Jahren önologischer Beratungstätigkeit den Blick fürs grosse Ganze. Als fliegender Winzer berät er Spitzenweingüter rund um den Globus. In Argentinien hat Rolland seine zweite Heimat gefunden, wo er auch ein eigenes Weingut besitzt. Obwohl der gebürtige Franzose nach wie vor viel unterwegs ist, verbringt Rolland die meiste Zeit in Bordeaux, wo er auch ein eigenes Weinlabor betreibt.

Was hat es mit dem Wein Pangaea auf sich, den Sie aus fünf verschiedenen Ländern in Europa, Afrika, Nordamerika und Südamerika mischen?
Sie erinnern sich daran, dass das Mischen meine Leidenschaft ist. Und ich bin sicher, auch in Bordeaux, wenn wir Pauillac mit Graves und etwas Saint-Emilion und Pomerol verschneiden würden, könnte der beste Bordeaux entstehen. Aber Pauillac macht Pauillac und Pomerol macht halt Pomerol. Das hinderte mich nicht daran, der Idee vom verschneiden aus besten Lagen weit über die Landesgrenzen hinweg nachzugehen. Es gibt mittlerweile exzellenten Cabernet Franc aus Südafrika. Dann atemberaubenden Petit Verdot aus Spanien. Merlot natürlich aus Bordeaux. Zu guter Letzt argentinischer Malbec und Cabernet Sauvignon aus dem Napa Valley. Warum nicht all diese wunderbaren Elemente zu einem einzigen Wein zusammenführen? Der Name Pangaea bezieht sich übrigens auf den Urkontinent, der alle Landmassen der Erde umfasste. Der Wein repräsentiert keine spezifische Region. Er repräsentiert auch kein einzelnes Land. Es ist eine komplett andere Philosophie.

Welches sind die wichtigsten Fähigkeiten, die man als erfolgreicher Weinberater haben sollte?
Natürlich muss man in seinem Beruf gut sein. Man macht Wein, also muss man wissen, wie man Wein herstellt. Doch das Wichtigste ist die Beziehung zu den Menschen, mit denen man arbeitet. Die Fähigkeit, Gespräche zu führen. Diskussionen sind wichtig, um anschliessend in die richtige Richtung zu gehen. Und das ist es, was ich jetzt seit fast 40 Jahren versuche.

Wie gefragt sind Weinberater wie Sie heutzutage eigentlich?
Die Weinwelt ist voll von grossen Egos. Und leider sehe ich eine gewisse Entwicklung bei vielen Winzerinnen und Winzern. Sie akzeptieren immer weniger, den Erfolg ihres Weins mit anderen Köpfen zu teilen. Und verzichten deshalb auf externe Berater wie mich. Meiner Meinung nach ist das ein Fehler. Natürlich kennt die Weinwelt nach so vielen Jahren Michel Rolland. Aber ich nutze meine Arbeit nie zur Eigenwerbung. Ich bin einfach da. Für ein Weingut ist es sehr wichtig, einen Berater zu haben. Berater gehen weg, kommen aber auch wieder. Sie kommen mit einer neuen Vision, mit einem frischen Gaumen. Für Weingüter ist es wichtig, Ideen von ausserhalb ihrer Kellerei zu begegnen, wenn Sie vorankommen und besseren Wein machen wollen.

Welches sind Ihre Lieblings-Bordeaux-Jahrgänge der letzten 100 Jahre?
Ich liebe meinen Geburtsjahrgang 1947. Wir haben seit jeher ein Duell in Bordeaux: 1945 gegen 1947. 1945 war auf dem linken Ufer besser und 1947 auf dem rechten. Dann 1982 und 2009. Ich bin auch ein grosser Fan von 2022.

Können sie uns zum Abschluss des Gesprächs drei aufstrebende Weinbauländer nennen?
Klar, zum Beispiel Rumänien, Bulgarien und Armenien. Alle diese Länder haben grossartige Böden und ein geeignetes Klima für den Rebbau. Früher habe ich Wein im Süden Bulgariens gemacht. Aber der lokale Markt ist sehr schwierig. Es dauert eine Weile, um die Leute davon zu überzeugen, dass sie guten Wein machen.

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