Sie führt uns in die schönsten Weinregionen der Welt, gibt uns Tipps für das Weinregal im Supermarkt und prägt Trends. Blick hat Chandra Kurt (55), Autorin, Journalistin und Weinkritikerin, zum Gespräch getroffen.
Blick: Die warme Jahreszeit neigt sich langsam dem Ende zu. Was war ihr persönliches Wein-Highlight des Sommers?
Chandra Kurt: Letzte Woche war ich in Rom. Dort habe ich einen tollen Naturwein aus der Pecorino-Traube von Emidio Pepe probiert. Wenn ein Naturwein gut gemacht ist, kann er viel spannender sein als viele herkömmliche Weine.
Inwiefern?
Naturwein hat sich in den letzten zehn Jahren zu einer starken Bewegung entwickelt. Es ist eine neue Generation von Weintrinkern und Winzern. Mich stört, dass teilweise die Ansicht vertreten wird, Naturwein sei der «richtige Wein». Wein sollte nicht politisch oder extrem sein, es gibt keinen richtigen oder falschen Wein. Im Wein gibt es viele Wahrheiten. Ich bin auch nicht damit einverstanden, dass viele Naturweine fehlerhaft abgefüllt werden und dann entgegnet wird, das sei eben natürlich, weil keine Interventionen am Wein gemacht werden. Trotz Freestyle-Kultur sollte über Fehler diskutiert werden können. Naturwein ist meiner Meinung nach eine irreführende Bezeichnung.
Was wäre die bessere Bezeichnung?
Früher wurde Naturwein als umweltbewusst vinifizierter Wein bezeichnet. Indie-Wein wäre für mich passender. Mir gefällt, dass es eine lebendige, kreative Szene ist. Das widerspiegelt sich in den Etiketten, die gleichen teilweise Kunstwerken. Ich gehe in jeder Stadt in Naturwein-Bars und entdecke dabei immer wieder etwas Neues.
Sie wählen auch mal eine lockere Sprache für Ihre Weinbeschreibungen. Denken Sie, Wein wird hierzulande zu ernst genommen?
Nicht nur in der Schweiz. Überall! Wein ist ein sehr grosses Thema. Es ist unmöglich, alles zu wissen. Alle, die geschwollen über Wein sprechen, schaffen eine Distanz. Wein ist sehr emotionell und subjektiv, vieles basiert auf persönlichen Erlebnissen. Über Wein muss man lachen können: Es ist Alkohol, ein flüssiges Kulturgut, ein Genussmittel, das nicht messbar ist. Jeder hat ein anderes Bedürfnis und für jeden gibt es den richtigen Wein. Das war auch der Ursprung des ersten Weinsellers. Anmerkung der Redaktion: Weinführer zum Sortiment des Schweizer Detailhandels.
Erzählen Sie.
Niemand hat vor 25 Jahren über das Angebot des Detailhandels geschrieben, obwohl die Hälfte der Bevölkerung ihren Wein dort kauft. Mein Weinführer deckt das ab und kam deshalb gut an. Dazu gehört die Diskussion, wie günstig ein Wein sein soll. Im Supermarkt werden Weine unter 5 Franken angeboten. Das finde ich zwar nicht richtig, aber es gibt sie. Sie sind Teil der Angebotsvielfalt.
Welche Tipps geben Sie Wein-Neulingen, um sich in der Vielfalt zurechtzufinden?
Ich rate, sich mit Freunden über verschiedene Weine auszutauschen. Jeder bringt einen Wein mit und dann wird diskutiert. Welcher Wein ist für mich der Bessere und warum? Wichtig ist dabei, nicht zu vergessen, viel Wasser zu trinken. Jeder soll seine Meinung haben. Es ist keine Religion, man darf auch sagen, wenn man etwas nicht mag.
Am besten tastet man sich langsam voran?
Ein spielerischer Umgang mit dem Thema Wein hilft, sonst löscht es einem ab. Ich habe am meisten durch Vergleichen gelernt. Was ist ein leichter Wein, was ist ein schwerer Wein? Das kann auch bedeuten, Wein kulinarisch zu erkunden. Ein Wein aus einer Region passt häufig zu einem Gericht vom gleichen Ort. Unterhaltsam finde ich es auch, einen Weinfilm zu schauen und dazu den passenden Wein zu probieren. So gelingt die Annäherung ans Thema Wein ganz einfach. Film und Wein haben viel gemeinsam. Wein ist flüssige Kunst, ein Handwerk, aber auch eine Industrie.
Einen Unterhaltungsfilm über Wein haben Sie noch nicht in Ihrem Repertoire.
Das stimmt. Das würde mich reizen.
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Wie sind Sie zum Wein gekommen?
Durch einen Glücksfall. Ich hatte zu Hause keinen Bezug zu Wein. Ich bin in Asien aufgewachsen, wo mein Vater Elefanten erforscht hat. Da waren eher Cocktails angesagt. Ich habe immer gern geschrieben und während dem Studium in Zürich für ein Magazin Beiträge verfasst. Der Zufall wollte es, dass ich ein Porträt über einen Lambrusco-Produzenten in der Emiglia Romagna schrieb, ein Nachbar meiner Grosseltern. Seine Arbeit, der Keller, die ganze Umgebung waren sehr spannend. Er hat mich dann zum nächsten Winzer in der Gegend geschickt, das ging so weiter ... Wein ist weltumspannend.
Sie tragen die Botschaft von Schweizer Wein in die Welt hinaus.
Die Schweiz ist ein Ausnahmeland. In unserem Wein vereinen sich die Sprachkulturen zu einem eigenen Gesamtbild. Wir haben das Privileg, nicht zwingend exportieren zu müssen – wie beispielsweise Spanien, und geniessen unseren Wein daher selbst. Es ist aber gleichzeitig schade, dass es kaum Schweizer Wein im Ausland gibt. Darum ist die Schweiz als Weinland nicht so bekannt, wie sie es verdient hätte.
Wie fallen denn die Reaktionen im Ausland auf Schweizer Wein aus?
In der Regel positiv. In Blinddegustationen denken die meisten nicht an Schweizer Wein, weil sie noch nie damit in Berührung gekommen sind. Der Reichtum an autochthonen Sorten überrascht im Ausland. Ich zeige gern, dass sich Schweizer Wein hervorragend als Essensbegleiter eignet.
Können Sie das ausführen?
Die Qualität von Schweizer Wein ist sehr hoch. Und die einheimischen Sorten lassen sich vielseitig kombinieren, beispielsweise zur mediterranen oder asiatischen Fusionsküche. Und unsere Hauptweinsorte Chasselas passt nicht nur gut zum Essen, sondern auch davor und danach. Weil Chasselas eher neutral schmeckt, hat er eine besondere Frische und aromatische Leichtigkeit.
Sie sind auch als Lady Chasselas bekannt.
Heute ist es möglich, alle Weine aufzumotzen. Chasselas ist dagegen ein reiner, ungeschminkter Wein, ohne extra Volumen. Es hat sehr viel Platz für Chasselas – er erlaubt sich, leise zu sein.
Ihre Leidenschaft gilt unter anderem Weinreisen. Haben Sie einen Sehnsuchtsort, an den Sie immer wieder zurückkehren?
Ja, mehrere. Leider ist Mendocino in Kalifornien etwas weit weg, aber es ist wunderschön, mit einem Glas Chardonnay in der Hand auf den Pazifik zu blicken. Eine Reise wert ist für mich auch immer wieder die Toskana, wegen der Landschaft – das Auge trinkt schliesslich mit. In der Schweiz sind es die Weinterrassen im Waadtland, die Weite des Genfersees ist entspannend.