Schon seit vielen Jahren setzen erstklassige Weingüter Pferde in ihrer Rebberg-Arbeit ein. Ob es sich dabei nur um einen Marketing-Trick oder tatsächlich um eine nachhaltige und zukunftsfähige Arbeitsform handelt, haben wir bei zwei führenden Weingütern auf zwei verschiedenen Kontinenten nachgefragt.
Der Schweizer Reto Erdin (53) besitzt das Bordeaux-Weingut Domaine Léandre-Chevalier, während der Franzose Christophe Baron (53) mit seinen Horsepower-Weinen aus dem amerikanischen Walla Walla Valley weltweit für Aufsehen sorgt. Im Gespräch mit Blick geben die beiden erstmals im Detail über ihre Arbeit mit Pferden Auskunft.
Blick: Was hat euch dazu motiviert, Pferde in den Betrieb zu integrieren?
Reto Erdin: Bereits der Vorbesitzer, Dominique Léandre Chevalier, hatte mit Pferden gearbeitet. Diese Tradition geht auf unserem Weingut bis weit ins 19. Jahrhundert zurück. Die Arbeit mit den Pferden war es auch, weshalb ich vor fast 20 Jahren überhaupt auf das Weingut aufmerksam geworden bin, da ich selber ein grosser Pferdefreund bin und während vielen Jahren im Turniersport und in der Pferdezucht aktiv war. Der Vorteil der Arbeit mit den Pferden liegt im schonenden Umgang mit dem Boden. Die schweren Traktoren mit ihren dünnen Reifen, die im traditionellen Rebbau verwendet werden, führen zu einer starken Bodenverdichtung und zum Absterben von vielen Bodenlebewesen. Man kann den Unterschied fühlen und sogar riechen, wenn man sich eine Handvoll Erde unter die Nase hält.
Christophe Baron: Ich kann meine Leidenschaft für Pferde bis zu meiner Kindheit in der Champagne-Region Frankreichs zurückverfolgen, wo meine Familie seit dem Jahr 1677 arbeitet. Mein Grossvater verwendete Zugpferde bis 1957, als er in einen Traktor investierte und sein letztes Arbeitspferd, Bijou (Juwel), in den wohlverdienten Ruhestand schickte. Ich wurde 1970 geboren, also war ich nicht dabei, um diese Veränderung selbst zu sehen, aber ich hörte aufregende Geschichten von Familienmitgliedern über ihre verzweifelten Bemühungen im Krieg, Pferde vor der besetzenden deutschen Armee zu verstecken. Ich erinnere mich daran, wie ich als kleiner Junge bewunderte, wie majestätische weisse Percheron-Pferde auf sanften Hügelweiden grasten. In meinem Dorf gab es eine Dame, die eines von ihnen ritt. Wenn Sie ein Kind sind und dieses prächtige Tier sehen – ich war immer sehr beeindruckt. Von Anfang an wusste ich, dass ich, wenn ich meinen eigenen Weinberg hätte, Zugpferde haben würde.
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Könnt ihr die spezifischen Aufgaben beschreiben, bei denen Pferde im Weinberg eingesetzt werden, und wie zeichnen sie sich in diesen Rollen aus?
Christophe Baron: Jedes Pferd zieht eine geschmiedete Stoppelschar aus Stahl, eine Art landwirtschaftliches Werkzeug, das sich im Laufe der Jahrhunderte kaum verändert hat. Ich beziehe Stoppelscharen von Equivinum und Vitimeca, kleinen Werkstätten in Frankreich. Jede wiegt etwa 40 Kilo und kann mit einer Reihe von austauschbaren Anbaugeräten ausgestattet werden und verschiedene Strategien zur Bekämpfung von Unkraut an verschiedenen Stellen repräsentieren. Die Pferde tragen handgefertigte Grössen von Zugpferdeschuhen, die aus 1/2-Zoll-Flachstahl geschmiedet sind und die sie unbedingt tragen müssen, um sich auf dem steinigen Schwemmfächer zu bewegen, in dem die Reben gepflanzt sind. Es ist harte Arbeit, die meine Zugpferde und ihre Fuhrleute während den Wachstumsmonaten beschäftigt hält, insbesondere in feuchten Jahren wie 2022.
Reto Erdin: Wir pflügen vor allem die Räume zwischen den Rebzeilen, damit der Boden schön locker bleibt und das Regenwasser besser aufnehmen kann. Bei verdichteten Böden dagegen fliesst das Regenwasser oberflächlich schnell ab und führt zur einer Umspülung der Reben, die dann plötzlich bis unter die Veredelungsstelle in der Luft stehen. Im Weiteren verhindern wir mit der Bodenbearbeitung, dass unerwünschtes Unkraut aufkommt.
Wie viele Pferde bilden euer Pferdeteam?
Reto Erdin: Wir haben im Moment zwei fertig ausgebildete Pferde im Einsatz. Zudem bilden wir zusätzlich zwei Jungpferde aus.
Christophe Baron: Insgesamt fünf Stück, drei Belgische und zwei Percheron.
Wie wirkt sich der Einsatz von Pferden auf die Nachhaltigkeit und Umweltpraktiken auf euren Weingütern aus?
Christophe Baron: Die Landwirtschaft auf diese Weise mit Pferden zu bearbeiten, ist unglaublich schwierig und extrem kostspielig – für die Kosten des Unterhalts meiner Ställe könnte ich mir jedes Jahr einen neuen Ferrari kaufen! Aber letztendlich ist sie von grossem Nutzen für den Weinberg. Der Einsatz von schweren Maschinen führt zu Bodenverdichtung, die der Bodengesundheit schadet, aber das Team aus Mensch und Tier, das langsam zwischen den Reihen voranschreitet, schafft eine offene Bodenstruktur, die ideal für die Reben ist. Die Fuhrleute sind besser darin, Insekten oder potenzielle Managementprobleme zu erkennen, da sie buchstäblich vier Zoll von den Reben entfernt sind, den ganzen Tag entlang jeder Rebzeile gehen und dies mehrmals im Jahr: Jedes Paar legt 71 Kilometer pro Durchgang zurück und geht 13 Durchgänge im Jahr. Pferde sind auch besser als Traktoren darin, sich in den steinigen Böden zu bewegen, und verursachen deutlich weniger Schäden – wir sehen tendenziell nicht so viele gebrochene Pfosten oder gebrochene Reben. Die Verwendung von Pferdestärken gewährleistet zudem, dass unser CO₂-Fussabdruck sehr gering ist – die einzigen Emissionen der Pferde sind der Mist –, und ist ein zentraler Bestandteil unseres langfristigen Plans, sich an den Klimawandel anzupassen und diese grossartige Landschaft für zukünftige Generationen zu bewahren.
Reto Erdin: Wir waren das erste Weingut in Bordeaux, das von der Stiftung Myclimate als CO2-neutral ausgezeichnet worden ist. Mit dem Ersatz von Traktoren durch Pferde reduzieren wir den Verbrauch von Diesel und damit die CO2-Emissionen. Den Pferdmist brauchen wir als natürlichen Dünger, wodurch sich der Kreislauf wieder schliesst. Dadurch können wir unseren ökologischen Fussabdruck weiter reduzieren.
Eurer Meinung nach, wie sieht die Zukunft der pferdebetriebenen Weinbergarbeit aus? Glaubt ihr, dass sie in der Weinindustrie weiterhin an Beliebtheit gewinnen wird?
Reto Erdin: Auch wenn ich es mir wünschen würde, glaube ich nicht, dass die Arbeit mit Pferden stark an Beliebtheit gewinnen wird. Die finanzielle Lage der meisten privaten Winzer ist zurzeit sehr schwierig. Zudem geht weltweit der Konsum von Wein zurück. Ich befürchte daher, dass es in den Weinbergen weiter Richtung Automatisierung gehen wird. Es gibt heute schon Grossbetriebe mit autonomen, GPS-gesteuerten Maschinen ohne Fahrer für die Bearbeitung der Böden, das Zurückscheineiden der Reben und die Traubenernte. Und für das Ausbringen der Pflanzenschutzmittel werden Drohnen eingesetzt, damit die Kosten weiter gesenkt werden können. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Ich glaube deshalb, dass Weingüter wie das unsrige, die voll und ganz auf Pferde setzen und diese nicht nur punktuell als Sympathie-Träger für Fotoshootings einsetzen, wenn grad Journalisten zu Besuch sind, die Ausnahme bleiben werden.
Christophe Baron: Die biodynamische Landwirtschaft mit Pferden ist ein Ansatz, der in den Weinbergen einiger der renommiertesten Produzenten der Welt wieder an Bedeutung gewinnt, beispielsweise im Weingut Domaine de la Romanée-Conti in Burgund. Eine Flasche DRC Romanée-Conti Grand Cru kann auf über 20'000 US-Dollar geschätzt werden; im Jahr 2019 erzielte eine einzige Flasche des Jahrgangs 1945 bei einer Auktion von Sotheby's einen Rekordpreis von 558'000 US-Dollar. Unsere Horsepower-Weine tragen bei weitem nicht dieses astronomische Preisschild und es werden lediglich 2000 Kisten pro Jahr produziert. Ich würde gerne sehen, dass mehr Weinbetriebe Pferde einsetzen, um die alten Traditionen am Leben zu erhalten, während sie die Auswirkungen auf das Land minimieren und qualitativ hochwertige Weine schaffen, die man mit mechanisierter Landwirtschaft kaum realisieren kann.