Pittoresk und gleichzeitig rau
Die Weinregion Piemont entdecken

Bei einem Besuch im Piemont empfiehlt es sich, nicht auf Diät zu sein und viel Zeit mitzubringen. Die italienische Region ist ein Paradies für Gourmets und Gourmands – und auch die Augen kommen auf ihre Kosten: Die Schönheit dieser Region grenzt beinahe an Kitsch!
Publiziert: 08.10.2021 um 14:13 Uhr
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Die Trauben aus dem Piemont schmecken in fermentierter und flüssiger Form noch besser!
Foto: Getty Images
Shirley Amberg

Das Piemont liegt im Nordwesten Italiens, grenzt an die Schweizer Kantone Wallis und Tessin und an Frankreich. Der Name bedeutet «am Fusse des Berges». Und tatsächlich ist die Region auf drei Seiten von den Alpen umgeben, welche die höchsten Gipfel und grössten Gletscher Italiens hervorbringen.

Düstere Geschichte

Die Geschichte des Piemonts hat einige dunkle Kapitel: Im zweiten Jahrhundert vor Christus fiel diese pittoreske Region in den römischen Machtbereich; so ist den Römern die Gründung der imposanten Festungsstädte in Asti und Acqui Terme zu verdanken. Im Jahr 774 übernahm Karl der Grosse das Piemont, und bis ins Jahr 887 konnten die Franken ihre Herrschaft über das Gebiet ausbauen. Diese sehr kriegerische Zeit, in welcher jeder gegen jeden kämpfte, ruinierte die Region. Es wurde geplündert und gemordet, das Land war vollends verwüstet, der kulturelle Tiefpunkt erreicht.

Im elften Jahrhundert stand das Piemont unter starken politischen und sozialen Spannungen, da der Hochadel mit dem niederen Adel um seinen Einflussbereich kämpfte. In dieser Zeit entstanden unzählige Burgen und Festungen, von denen sich noch heute viele – erstaunlich gut erhaltene – besichtigen lassen.

Zur selben Zeit liessen Ordensbrüder ebenso zahlreiche romanische Kirchen und Klöster auf die Hügelkuppen bauen. Doch entzog das ab dem zwölften Jahrhundert energisch selbstbewusst auftretende Bürgertum den Kirchen Macht; was um 1260 in einem erbitterten Krieg endete.

Von der darauffolgenden Epoche der Romanik zeugen heute teilweise noch vollständig erhaltene Klosteranlagen, wie beispielsweise in Vezzolano, die Anlagen von Staffarda oder jene der Sacra di San Michele.

Die Region der Superlative

Die grössten Berge, der längste Fluss, die besten Weine und die wohl beste Küche Italiens finden sich in diesem touristisch nur wenig erschlossen Gebiet. So ist das Piemont noch immer eher ein Geheimtipp. Einzig die Region Lago Maggiore im Norden des Piemont bildet eine Ausnahme.

Sportler, Naturfreunde und Künstler haben das Piemont schon längst für sich entdeckt: Mountainbiker, die keine Steigungen scheuen, Wanderer, welche den Reben entlanglaufen, Künstler, welche die Schönheit dieses Fleckchens Erde mit der Kamera oder mit Farbe und Pinseln einzufangen versuchen.

Touristenmagnet Wein

Die meisten Besucher lieben das Piemont aber des Weines wegen – und das Piemont scheut keine Mühe, dem Gast die Tropfen auch näherzubringen: Die Zahl der Enotheken und Weinmuseen ist beeindruckend. Zudem locken höchst professionelle, aber auch sehr familiäre Degustationen, welche einem die piemontesische Kultur in flüssiger Form erleben lassen.

Mit rund 50'000 Hektar Rebfläche ist das Piemont quantitativ nicht die grösste, qualitativ aber die stärkste Weinregion. Banale, einfache Alltagsweine sind dort kaum zu finden, und dementsprechend liegen auch die Preise über dem Durchschnitt der anderen Gebiete.

Weltberühmte Weine

Das Piemont zählt unbestritten zu den ganz grossen Weingebieten der Welt. Dafür ist vor allem die Rebsorte Nebbiolo verantwortlich, aber auch Barbera und die weissen Rebsorten Cortese di Gavi und Arnei sowie der süsse Moscato d'Asti tragen ihren Teil zum Ruhm bei.

Das Piemont ist das Land des Rotweins, denn rund 90 Prozent sind rote Reben. Barolo, aus der Rebsorte Nebbiolo gekeltert und nach dem Dörfchen rund 15 Kilometer südwestlich von Alba benannt, ist der Klassiker. Doch rückt der traditionelle Stil seit einigen Jahren in den Hintergrund – dies, weil die Weine im Schnitt gut und gerne zehn Jahre benötigen, bis sich die betörenden Aromen von dunklen Beeren und würzigen Noten entfalten und die mächtige Tanninstruktur etwas runder zu werden beginnt.

Die moderneren Barolos weisen wegen einer deutlich geringeren Maischestandzeit weniger Tannine auf und lassen sich schon nach kurzer Zeit geniessen. Sie lassen sich aber auch noch gut für 15 Jahre im Keller lagern. Ebenfalls aus Nebbiolo wird der Barbaresco hergestellt; dieser zeigt sich wegen etwas höheren und anderen Böden nicht ganz so dicht und wuchtig wie sein grosser Bruder, besitzt dafür aber eine elegantere Finesse.

Die seit dem 13. Jahrhundert am meisten angebaute Sorte ist Barbera, aus der eher leichte, fruchtige Weine produziert werden. Sehr gute Weine liefert auch der relativ säurearme Dolcetto und bei den Weissweinen gilt der Gavi, der aus der Rebsorte Cortese gekeltert wird, als die Numero Uno.

Ausflugstipp

Eine der schönsten, sicherlich aber effizientesten Weinrouten beginnt in Verduno (I), wo sich zudem eine der spektakulärsten Aussichtspunkte des Piemonts befindet. Neben Barolo wird hier auch Pelaverga gekeltert, ein duftiger und leichter Rotwein aus Trauben, welche ausschliesslich auf den Hügeln rund um das Dorf gedeihen. Nur einen kleinen Spaziergang entfernt liegt das idyllische La Morra, auf dessen Dorfplatz ein Denkmal die italienischen Weinbauern würdigt. Ganz in der Nähe befindet sich auch der bildschöne, aus dem 18. Jahrhundert stammende Palazzo di Barolo in dessen prächtigen Gewölbekeller eine berauschende Anzahl Weine zur Verkostung bereitstehen.

Im Keller des um die Ecke gelegenem, romanisch-barocken Benediktinerklosters, Chiesa dell'Annunziata, befindet sich das Weinmuseum Museo Ratti dei Vini d'Alba – ein nicht nur für Weinliebhaber besuchenswerter Keller.

Eine der schönsten, sicherlich aber effizientesten Weinrouten beginnt in Verduno (I), wo sich zudem eine der spektakulärsten Aussichtspunkte des Piemonts befindet. Neben Barolo wird hier auch Pelaverga gekeltert, ein duftiger und leichter Rotwein aus Trauben, welche ausschliesslich auf den Hügeln rund um das Dorf gedeihen. Nur einen kleinen Spaziergang entfernt liegt das idyllische La Morra, auf dessen Dorfplatz ein Denkmal die italienischen Weinbauern würdigt. Ganz in der Nähe befindet sich auch der bildschöne, aus dem 18. Jahrhundert stammende Palazzo di Barolo in dessen prächtigen Gewölbekeller eine berauschende Anzahl Weine zur Verkostung bereitstehen.

Im Keller des um die Ecke gelegenem, romanisch-barocken Benediktinerklosters, Chiesa dell'Annunziata, befindet sich das Weinmuseum Museo Ratti dei Vini d'Alba – ein nicht nur für Weinliebhaber besuchenswerter Keller.

Auf der Suche nach Trüffeln und Strassen

Für Gourmets und Gourmands ist das Piemont besonders im frühen Herbst zu empfehlen, beginnt doch im Oktober mit der Trüffeljagd die Hauptsaison. Wer nicht jagen und suchen mag, besucht Alba, die Trüffelhauptstadt Italiens, in welcher (bis auf das Covid-Jahr) seit 1929 jährlich das Trüffelfestival und die internationale Trüffelmesse veranstaltet werden.

Das Piemont ist kein ganz einfaches Pflaster. Doch wer eine touristisch noch eher unerschlossene Region und das Abwechslungsreiche und Besondere einer Landschaft entdecken möchte, dem die verzweifelte Suche nach Strassen, deren Schilder jeglicher Logik entbehren, nichts ausmacht, wird sich hier wohlfühlen – und zwar «nicht obwohl, sondern weil» dem so ist.

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