Im Jahr 1992 übernahm Joachim Günther (59) die Verantwortung für die Académie du Vin in Regensberg ZH, wo er angehende Wein-Profis unterrichtet.
Als diplomierter Weinakademiker degustiert Günther für die Zeitschrift «Marmite». Er ist ausserdem langjähriges Mitglied im Selektionspanel der Fluggesellschaft Swiss.
Blick: Herr Günther, was würde passieren, wenn Sie von einem Tag auf den anderen keinen Wein mehr trinken dürften?
Joachim Günther: Ich habe mir diese Frage während der Corona-Pandemie oft gestellt. Leute, die ich kenne, haben letztes Jahr den Geschmackssinn verloren und mit Wein trinken aufgehört. Für mich würde das schon eine komplette Neuorientierung bedeuten.
Wie hat sich Ihr Kurs Alltag seit dem Lockdown letztes Jahr verändert?
Im vergangenen Jahr haben wir einen Grossteil der Kurse abgesagt oder verschoben. Glücklicherweise sind uns die Kunden treu geblieben und haben den Kurs nachgeholt. Mittlerweile hat sich aber alles wieder normalisiert. Mit Maske unterrichten und der Klasse diskutieren, ist aber schon schräg. Auch deshalb, weil man sie zum Degustieren ja zwingend immer wieder abnehmen muss. Mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt.
Wie beliebt sind die neuen Online-Wein-Seminare?
Wir sind während des Lockdowns richtiggehend überrannt worden. In manchen Zoom-Klassen haben weit über hundert Leute miteinander degustiert und diskutiert. Die Nachfrage ist nach dem Lockdown erfreulicherweise kaum gesunken. Es hat sich herausgestellt, dass die Online-Klassen eine gute Lösung für viele Teilnehmende ausserhalb der Agglomerationen sind.
Haben Sie manchmal Besserwisser oder nervige Kursteilnehmer, bei denen Sie denken: Wieso hat sich diese Person bloss angemeldet?
Die Nervensägen sind in der Weinwelt derart rar, dass es sich kaum lohnt, sich ihretwegen zu ärgern. Die meisten lassen sich nach einer Weile dann auch von der positiven Dynamik der vielen Enthusiasten im Kurs anstecken. Damit ist dann die Basis geschaffen, um das wirklich fundierte Wissen aufzubauen.
Bei den Online-Kursen bekommen die Teilnehmer kleine Degu-Flaschen fürs Probieren zu Hause. Wie funktioniert das genau?
Die Weine werden von einer kleinen Start-up-Firma aus Lyon in bruchsichere Petfläschchen abgefüllt. Die Teilnehmenden erhalten je nach Kurs zwischen 40 und 64 Musterfläschchen. Die Weine verkosten wir jeweils gemeinsam in acht oder zwölf Zoom-Sessions. Auf diese Weise lernen die Teilnehmenden genauso gut verkosten wie die Kolleginnen und Kollegen in den Präsenzkursen.
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Von billigen Weinen bekommt man eher Kopfschmerzen als von teuren – stimmt diese Aussage?
Nein, leider nicht. Auch teurer Wein kann Kopfweh machen. Auslöser dafür ist das Histamin, welches von unerwünschten Mikroorganismen beim Herstellungsprozess gebildet wird.
Welches sind ihre drei Lieblingsweine aus der Schweiz?
Pinot Noir Chalofe von Tom Litwan, Dézaley Médinette von Louis Bovard und der Regensberger Mousseux de Pinots von Felix Weidmann.
In welches Weinland reisen Sie am liebsten und weshalb?
Da muss ich keine Sekunde überlegen: Südafrika! Fantastische Weine, unschlagbare Gastfreundschaft, tolle Weingüter und überall wird unglaublich innovativ gekocht.
Gibt es eine Strategie, mit der Sie einen Wein im Restaurant aussuchen?
Ja, und ich schäme mich ein wenig dafür: Jeder Wirt hat den einen oder anderen Wein falsch kalkuliert. Das heisst oft sehr günstig im Verhältnis zum Marktpreis. Da muss ich dann manchmal einfach zuschlagen, auch wenn eine Flasche noch immer über dem Budget liegt.
Ist Rotwein zu Fisch eine Sünde?
Absolut nicht, ganz im Gegenteil. Wenn der Fisch gut gewürzt (vor allem gut gesalzen!) ist, passt Rotwein genauso gut wie Weisswein. Ich trinke trotzdem mit Vorliebe Weisswein zu Fisch und Meerestieren, denn dies ist eine der raren Gelegenheiten, um tolle Weisse aufzutischen.