Die besten Geschichten schreibt das Leben selbst. Ich arbeite an meinem neuesten Artikel und erwarte dafür einen Rückruf. Darum nehme ich einen Anruf entgegen, obwohl die Nummer unterdrückt ist.
Der Herr am anderen Ende der Leitung begrüsst mich überschwänglich und kommt gleich zur Sache. Ich hätte ein Weinangebot angefordert, über das er nun mit mir reden wolle.
Der Typ hat keine Ahnung von Wein
Ich versuche, ihn abzuwimmeln, auch weil ich den wichtigen Rückruf nicht versäumen möchte. Doch er ist beharrlich. Das macht mich neugierig, darum spiele ich mit und lasse mich auf ein Gespräch mit ihm ein.
Ich: Welches Angebot haben Sie für mich?
Anonymer Anrufer: Sechs Flaschen Grand Cru für 294 Franken zuzüglich Lieferkosten.
Wann soll ich das Angebot angefordert haben?
Vor einem Jahr.
Sechs Flaschen Grand Cru? Aus welcher Ecke Frankreichs stammt der Wein?
Aus Bordeaux.
Bordeaux ist gross. Aus welcher Region?
(Schweigt.)
Ich merke, dass der Herr keine Ahnung von Wein hat und der Verkauf von Wein wohl nebensächlich ist. Was bezweckt er? Ich bleibe dran und helfe ihm auf die Sprünge.
Médoc, Graves, Sauternes, Saint-Émilion?
Ja, ganz genau: Saint-Émilion. Aus der Nähe von Saint-Émilion.
Welcher Jahrgang?
2016. Der beste Jahrgang aller Zeiten. Aus drei Rebsorten.
Wie heisst das Château?
(Schweigt.)
Nach längerem Hin und Her buchstabiert er mir den Namen: Château Charon. Da ich kein Château Charon in Saint-Émilion kenne, möchte ich mehr wissen: Wie seine Weinhandlung heisst, wo sie ihren Firmensitz hat und wie bezahlt werden soll.
Er verweigert die Auskunft, lässt dafür aber Namen renommierter Weinhändler fallen, die zu seinen Kunden gehören sollen. Ich bestehe auf die Informationen. Der Mann wird pampig. Sein Unternehmen heisse «La Rivedroite» und existiere schon seit Jahrzehnten.
«Weinverkäufer» wollte betrügen
Bezahlt werde mit Kreditkarte. Alle Angaben könne ich direkt am Telefon mitteilen. Damit ist die Katze aus dem Sack. Der Zweck für dieses konfuse Gespräch ist das Ergaunern von Daten. Ich verlange seine Nummer, damit ich den Kauf überdenken und zurückrufen kann. Er nuschelt Unfreundlichkeiten und beendet das Gespräch. Wein ist ihm egal. Er wollte scammen.
In der Hoffnung, auf einer Blacklist für betrügerische Anrufe zu landen, beginne ich zu recherchieren. Ein Château «Charon» gibt es nicht. Dafür stosse im Netz auf Château Charron-Lescure. Es liegt in der AOC Blaye - Côtes de Bordeaux, eine Stunde Fahrt von Saint-Émilion entfernt. Gemanagt wird es von Annick Lescure.
Auf den Bewertungsapps liegt der von Nutzern angegebene Preis bei durchschnittlich 14 Franken. Auch bei einem Onlinehändler in Singapur werde ich fündig. Dort kostet eine Flasche Château Charron 41 Singapur-Dollar, was rund 27 Franken entspricht. Der Preis von 294 Franken für sechs Flaschen vom Telefonhändler ist viel zu hoch.
Beim Anruf auf Château Charron-Lescure erfahre ich, dass die Weine hauptsächlich auf dem französischen Markt angeboten werden. Von einem Vertrieb in der Schweiz via Telefon weiss Madame Lescure nichts. Sie ist betroffen, dass der Name ihres Weinguts für Betrügereien missbraucht wird, auch wenn es reiner Zufall ist.
Fiese Maschen
Dieses dreiste Vorgehen war mir neu. Wein am Telefon zu kaufen, ist prinzipiell keine gute Idee, auch wenn es hier primär um einen mutmasslichen Kreditkarten-Betrug ging. Solche Weine sind meist überteuert und Zusatzkosten wie Liefergebühr oder Einfuhrzölle werden nicht offengelegt.
Oft ködern einen die Telefonhändler mit gezielten Fragen nach den persönlichen Weinpräferenzen. Steigt man darauf ein, folgen die nächsten Anrufe. Dann wird behauptet, man habe Wein bestellt und für die Lieferung seien weitere Angaben nötig, wie das Alter und die Mail-Adresse. Mein Tipp an euch: Kauft Wein nie am Telefon!