Herr Hümbs, der Himbeer-Igel ist eines Ihrer Markenzeichen. Woraus besteht er?
Christian Hümbs: Aus weissem Schokoladenmousse mit Himbeermarmelade, einem französischen Biskuit, Mürbeteig und Himbeeren, die in einer Nougat-Glasur stecken.
Ursprünglich machten Sie sich mit Desserts aus Salat, Gurken oder Randen einen Namen. Gemüse zum Nachtisch – muss das sein?
Der Trend in den Gourmetrestaurants, in denen ich in den vergangenen 22 Jahren gearbeitet habe, geht in die Richtung Zuckerreduktion. Das ist ein starkes Argument dafür, bei Desserts mehr Gemüse einzusetzen. Schweizer kennen das Prinzip vom Rüeblikuchen.
Wie viel hat die Abkehr von zuckrigen Desserts mit dem sogenannten Fitnesswahn zu tun?
In ein Sternelokal geht niemand, um abzunehmen. Ich will und kann als Pâtissier auch nicht gänzlich auf Zucker verzichten. Er hat eine hohe Bindeeigenschaft, und die goldbraune Farbe beim Backen entsteht ohne ihn nicht.
Sie haben sogenannte Dessert-Menüs kreiert. Was heisst das genau?
Dass ich die klassische Abfolge von Vorspeise, Zwischenspeise, Hauptspeise und Dessert aus der Sicht eines Pâtissiers neu interpretierte.
Was gabs zur Vorspeise?
Ein Eis aus Erbsen und ein Ragout – ebenfalls aus Erbsen. Dazu Curry, das ich zu einer Art Schaum und zu einem Sand verarbeitete. Das Ganze überzog ich mit einer Membran aus Mango und schmeckte es mit Vanille-Essig ab. Hülsenfrüchte sind sensationell für Desserts, weil sie viel Zucker enthalten. Der Essig hingegen fördert den Speichelfluss, was den Appetit anregt. Der Geschmack einer Vorspeise sollte im Mund schnell wieder verschwinden. Es darf nichts am Gaumen hängen bleiben.
In der Spitzengastronomie macht man sich beim Kreieren eines Ganges offenbar Gedanken darüber, wie lange jemand braucht, um ihn zu essen. Wie schnell sollte man ein Dessert gegessen haben?
Bei einem Gourmet-Menü, wie es Heiko Niederer im The Restaurant hier im Dolder kreiert, sollte das Dessert meiner Meinung nach in drei Löffeln fertig aufgegessen sein. Ansonsten ist der Kopf überfordert und macht dicht. Ab dann ist es nur noch Völlerei. In einem Restaurant wie unserem Saltz, in dem die Gänge nicht aufeinander abgestimmt sind, spielt das keine Rolle. Dort bestellt ein Gast vielleicht nach einem Loup de mer in der Salzkruste einfach spontan eine Crème brûlée, weil er Lust auf etwas Süsses hat.
Sie wuchsen in der Stadt Oberhausen im Ruhrgebiet auf.
Welche Kindheitserinnerungen haben Sie an süsses Essen?
Meine Mutter macht einen sensationellen Marmorkuchen, von dem ich den rohen Teig aber lieber mochte als das fertig gebackene Exemplar. Ich liebe meine Eltern – wir waren aber nicht die kulinarischste Familie der Welt. Ich wollte eigentlich Stuckateur werden.
Warum hat es nicht geklappt?
Weil ich mir beim Fussballspielen einen Wirbel angebrochen hatte. Mit den Händen an der Decke zu arbeiten, ging nicht. Ich lernte also Konditor und machte die Kochlehre.
Danach ging es in die Stromburg nach Rheinland-Pfalz zum renommierten Sternekoch Johann Lafer.
Zuerst habe ich noch ein halbes Jahr im Betrieb in Oberhausen gearbeitet, in dem ich meine Ausbildung gemacht habe. Es macht sich gut im Lebenslauf, wenn der Betrieb, in dem man gelernt hat, einen danach übernimmt. Man scheint dann keine völlige Pfeife zu sein.
Das waren Sie offenbar nicht. Nach einem halben Jahr bei Lafer waren Sie bereits Chef-Pâtissier.
Der Anfang verlief aber gar nicht rosig. Ich war ständig todmüde und erschöpft, weil ich die 17-stündigen Arbeitstage nicht gewohnt war. Dann habe ich mir auch noch dummerweise in einer Pause den Arm gebrochen, als ich mich mit Manuel Weyer, heute ein bekannter Koch, beim Armdrücken versuchte. Irgendwann hat es geknackt. Ich war damals genauso eine Hippe wie er.
Was ist eine Hippe?
Eine dünne Person.
Wie hat Ihr Chef reagiert?
Ich habe ihm gesagt, dass ich gestürzt sei. Nach drei Monaten, in denen ich krankgeschrieben war, kam ich zurück und gab alles. Lafer hat mir später erzählt, dass er mich eigentlich schon vor dem Unfall rausschmeissen wollte, weil ich angeblich nicht mal einen Kuchen backen konnte. Nach dem Armbruch hätte ich aber plötzlich so viel Ehrgeiz gezeigt, dass er sich dagegen entschied.
Sie wollen im Dolder nicht nur die Luxuskundschaft bedienen, sondern auch Normalverdiener. Was haben Sie für diese im Angebot?
Den Himbeer-Igel, eine Tarte au citron, eine Interpretation der Schwarzwäldertorte, Bananenbrot, Pralinen, Macarons. Wir haben eine superschöne Terrasse, auf der jedermann ein sehr gutes Stück Kuchen zu einem fairen Preis essen kann.
Apropos Macarons, sie gelten als Königsdisziplin des Backens. Warum eigentlich?
Weil sehr viel schiefgehen kann – ich habe drei Jahre gebraucht, bis ich mit meinen zufrieden war. Man muss die Jahreszeiten mit einbeziehen respektive die Luftfeuchtigkeit. Im Sommer dauert es viel länger als im Winter, bis sich eine Haut auf der aufdressierten Masse bildet. Wie bei allen Gerichten spielt die Qualität der Produkte auch hier eine grosse Rolle. In der Schweiz ist man da zum Glück gut bedient.
Wie meinen Sie das?
Die Lebensmittel hier haben im Vergleich zu jenen in Deutschland eine überdurchschnittlich hohe Qualität. Billigfleisch gibt es hier zum Beispiel nicht.
Es gibt hier schon auch günstigeres, importiertes Fleisch.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Dass man 2,99 Euro für ein Schweinefilet ausgibt, ist hier aber schon nicht unbedingt üblich. Ich finde, die Schweizer haben prinzipiell eine gute Einstellung zur Ernährung.
Wie gut kannten Sie die Schweiz, bevor Sie hierherzogen?
Ich kenne sehr viele Köche hier – mit einigen bin ich seit Jahren befreundet. Die Schweizer sind eher etwas zurückhaltend und distanziert. Für mich ist das vergleichbar mit der norddeutschen Mentalität, die mir sehr entspricht. Ich habe nicht umsonst fast acht Jahre in Hamburg und dreieinhalb Jahre auf Sylt gearbeitet. Wenn ich nicht arbeite, ziehe ich mich gerne zurück. Mit meinen Fernsehauftritten bin ich exponiert genug.
Seit acht Jahren sind Sie jetzt schon Jurymitglied in der Sat.1-Show «Das grosse Backen», in der Hobby-Bäckerinnen und -Bäcker um ein Preisgeld von 10'000 Euro und einen Pokal in Form eines goldenen Cupcakes kämpfen. Manche sind am Boden zerstört, wenn sie rausfliegen.
Die Kandidaten sind sehr ehrgeizig. Für die meisten ist Backen nicht nur ein Hobby, sondern eine Passion, in die sie ihre ganze Freizeit investieren. Der Pokal und das Preisgeld sind nur Nebensache – das Kochbuch, das der Sieger veröffentlichen darf, ist für die meisten die viel grössere Anerkennung.
Was unterscheidet die besten Kandidaten noch vom Spitzen-Pâtissier?
Dass sie es nicht gewohnt sind, in Massen zu produzieren. Ich produziere täglich Hunderte Desserts, die alle dieselbe Qualität haben müssen. Aber wie gesagt: Das Niveau der Kandidaten ist wirklich sehr hoch. Viele, die in der Show mitgemacht haben, sind mittlerweile Konditoren oder haben sogar den Meisterbrief gemacht.
Wie gut sind Hobby-Bäckerinnen und -Bäcker ausgerüstet?
Viele der Kandidaten sind zu Hause genauso gut ausgerüstet wie ich in meiner Pâtisserie – mal abgesehen vom Ofen. Dasselbe gilt auch für viele Hobby-Köche. Kochen ist ja genauso populär wie Backen.
Was muss man denn heute besitzen, um als Hobby-Bäcker mithalten zu können?
Der heilige Gral ist die Küchenmaschine, daneben gibt es Tausende Arten von Förmchen, Pipetten und Pinzetten. Eine Kandidatin hatte einmal eine Tortenplatte dabei, die mit einem Motor gedreht werden konnte, um gleichmässig einzustreichen. Eine andere eine Schutzbrille, in die eine Lupe eingebaut war, um filigraner verzieren zu können. Gebracht hat es ihr leider nichts.
Was essen Sie abends, wenn Sie nach Hause kommen?
Weil ich den ganzen Tag Süsses probiere, meistens etwas Salziges – Pasta oder Pizza. Ich konsumiere aber auch Süsses, wenn ich nicht arbeite – mein Kühlschrank ist voller Schokolade. Fürs Frühstück habe ich den Brotaufstrich von Ovomaltine entdeckt, als ich in die Schweiz kam. Der mit den Knusperflakes drin. Ich esse zu viel Zucker – so viel steht fest. Wenn ich keinen Sport machen würde, würde ich anders aussehen.
Was für Sport treiben Sie?
Ich gehe ins Fitnessstudio, renne oder fahre Fahrrad. Meistens höre ich dazu Musik. Oft elektronische Musik, manchmal Schlager. Gerade hat es mir der Soundtrack der Serie «Peaky Blinders» angetan.
Gibt es etwas, das Sie nicht gerne essen?
Meine Mutter hat einmal Toast Hawaii gemacht mit einer Ananas, die gekippt war. Seither kann ich Ananas aus der Dose nicht mehr essen. Das ist, wie wenn jemand in seiner Jugend einmal zu viel Wodka getrunken hat, und alleine schon beim Geruch die Übelkeit zurückkommt. Ach ja – und starker Käse, da bin ich raus. Blauschimmel, Roquefort und so. Ein Käse-Dessert wird es bei mir nie geben.
Christian Hümbs (38) ist neuer Chefpâtissier im Dolder Grand, das im Juni wiederholt zum besten Stadthotel der Schweiz gewählt wurde. Er gilt als einer der Besten seines Fachs, war unter anderem für La Mer auf Sylt, das Haerlin in Hamburg (je zwei Michelin-Sterne) und das Atelier (drei Michelin-Sterne) im Bayerischen Hof in München tätig. Seit acht Jahren tritt Hümbs in der Sat.1-Show «Das grosse Backen» als Jurymitglied auf. Er ist liiert und wohnt in Zürich.
Christian Hümbs (38) ist neuer Chefpâtissier im Dolder Grand, das im Juni wiederholt zum besten Stadthotel der Schweiz gewählt wurde. Er gilt als einer der Besten seines Fachs, war unter anderem für La Mer auf Sylt, das Haerlin in Hamburg (je zwei Michelin-Sterne) und das Atelier (drei Michelin-Sterne) im Bayerischen Hof in München tätig. Seit acht Jahren tritt Hümbs in der Sat.1-Show «Das grosse Backen» als Jurymitglied auf. Er ist liiert und wohnt in Zürich.