Vom Sternekoch zum Bauer
«Das ist doch kein Leben!»

Er war der bestbezahlte Koch Europas. In seiner Autobiografie rechnet Franz Keller (67) gnadenlos mit einer Welt ab, die ihn dazu bewog, Bauer zu werden. Wir haben auf seinem Hof in Hessen mit ihm gesprochen.
Publiziert: 23.04.2018 um 17:03 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 05:18 Uhr
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Sternekoch Franz Keller züchtet auf seinem Hof Limousin-Rinder.
Foto: Alex Kraus/laif
Jonas Dreyfus

Er war der bestbezahlte Koch Europas. In seiner Autobiografie rechnet Franz Keller (67) gnadenlos mit einer Welt ab, die ihn dazu bewog, Bauer zu werden. Wir haben auf seinem Hof in Hessen mit ihm gesprochen.

Franz Keller, Sie haben der Spitzengastronomie den Rücken gekehrt. Was vermissen Sie am wenigsten?
Die Gäste.

Aha?
Wer ganz oben mitkochen will, muss sich mit Macken und Attitüden von Menschen herumschlagen, die sehr viel Geld haben. Die reisen mit dem Hubschrauber an und ­haben schon in jedem Sterne­restaurant auf der Welt gegessen. Dass da mal einer rausläuft und sagt, das war jetzt toll, ist fast unmöglich.

Gäste mit Macken gibt es doch überall, oder?
Aber Restaurants, die nicht bei Ranglisten mitmachen, müssen es nicht jedem recht machen. Ich ­koche hier auf dem Hof für private Gruppen. Einmal wollte jemand den Geburtstag seiner Mutter ­feiern und erklärte mir in einem zweiseitigen Brief, was diese Frau ausschliesslich isst. Ich habe den Brief auf dem Klo aufgehängt – natür­lich ohne den Namen des ­Absenders.

«Vom Einfachen das Beste: Essen 
ist ­Politik oder Warum ich Bauer werden ­musste, um den perfekten Genuss zu finden» (Westend) von Franz Keller.

Was haben Sie geantwortet?
«Seien Sie mir nicht böse, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man den Geburtstag Ihrer Mutter ohne Ihre Mutter feiern kann.» Ich hätte eine ganz andere Küche servieren müssen und konnte die Reser­vation beim besten Willen nicht ­annehmen.

Warum sind die Gäste so ­kompliziert geworden?
Sie wissen heute fast zu viel über Nahrung, lesen auf Food-Blogs ­alles über Trends wie Low Carb, makrobiotischen Functional Food, Clean Eating und so weiter. In den 70er-Jahren waren sie dafür ­Banausen, haben Pommes zum ­Gulasch bestellt, wo nur Spätzle und Kartoffeln in Frage kommen. Nachdem ich für eine Umbestellung der Beilage drei Mark ver­langte, war das Problem gelöst.

Sie haben beim jüngst verstor­benen Franzosen Paul Bocuse gelernt, der als Jahrhundertkoch gilt, und brachten mit dem ­Österreicher Eckart Witzigmann die Nouvelle Cuisine nach Deutschland. Mit 37 waren Sie mit einem Jahresgehalt von einer halben Million D-Mark der bestverdienende Koch Europas.
Spass hatte ich bei der Arbeit aber keinen mehr. Ich war Gastrodirektor des neu eröffneten Schloss­hotels Bühlerhöhe im Schwarzwald und sollte in vier Jahren drei ­Michelin-Sterne erreichen – das Höchste, was möglich ist. Der ­Besitzer und die Marketingabteilung hatten ein Geschäftsziel vor Augen, das niemand hätte erreichen können. Vor allem nicht im Schwarzwald. 

Warum nicht?
Weil dort 1988 zu wenig Publikum hinkam, das sich ein Zimmer für 460 Mark leisten konnte. Spitzenlokale funktionieren am besten an Orten, wo viele Menschen wohnen, sprich in Städten. Schon allein, weil die Gäste nach dem Trinken nicht mehr Auto fahren wollen. Doch auch in Paris, London und New York ist Erfolg alles andere als garantiert.

Sie schreiben in Ihrer Auto­biografie, dass sich ­Spitzen­gastronomie nicht ­rechnet. Woran liegts?
Die Kosten sind extrem hoch. Selbst kleine Lokale mit sechs, sieben ­Tischen brauchen zehn Köche und sechs Servicearbeiter, weil es keine Wartezeiten geben darf. Die Produkte müssen immer absolut frisch sein. Wenn das Rezept drei Schnittlauchspitzen verlangt, kommt der Rest in den Abfall.

Warum tut sich das jemand an, wenn es sich nicht lohnt?
Sternerestaurants sind oft Prestigeobjekte von wohlhabenden Per­sonen. Wer eines besitzt oder zumindest finanziell unterstützt, darf sich zu einem auserwählten Kreis zählen. Man kennt sich untereinander, ist dabei. Lohnen können sich die Lokale, wenn sie an Hotels ­angeschlossen sind, wo die Gäste anschliessend übernachten. Oder wenn Köche ganze Fresskonzerne mit zig Nebenverdiensten auf­bauen wie der Franzose Alain ­Ducasse.

Von Franzen und Fritzen

Franz Keller wuchs in der Nähe von Freiburg im Breisgau auf und spricht ursprünglich badischen Dialekt (statt «Köche» sagt er «Kech»). Seine Mutter war die erste Sterneköchin Deutschlands, sein Vater, Franz senior, ein bekannter deutscher Gastro­unternehmer, dem sein Sohn ein Leben lang nichts recht machen konnte. Das erste Lokal der ­Familie, der Schwarze Adler in Oberbergen, führt heute Franz’ Bruder Fritz, Winzer und Präsident des SC Freiburg. Franz ­Keller hat eine Freundin und war zweimal verheiratet. Aus erster Ehe hat er drei Kinder. Sein Sohn, ebenfalls Franz, führt die Adler Wirtschaft in Hattenheim.

Franz Keller wuchs in der Nähe von Freiburg im Breisgau auf und spricht ursprünglich badischen Dialekt (statt «Köche» sagt er «Kech»). Seine Mutter war die erste Sterneköchin Deutschlands, sein Vater, Franz senior, ein bekannter deutscher Gastro­unternehmer, dem sein Sohn ein Leben lang nichts recht machen konnte. Das erste Lokal der ­Familie, der Schwarze Adler in Oberbergen, führt heute Franz’ Bruder Fritz, Winzer und Präsident des SC Freiburg. Franz ­Keller hat eine Freundin und war zweimal verheiratet. Aus erster Ehe hat er drei Kinder. Sein Sohn, ebenfalls Franz, führt die Adler Wirtschaft in Hattenheim.

Sie trugen im Schlosshotel kein finanzielles Risiko. Warum machten Sie nicht ­einfach Ihr Ding?
Mein Ruf stand auf dem Spiel. Ich begann mich zu wehren und eckte bei allen an – auch beim Chef. Ich sagte: «Sie haben einen Hofstaat um sich herum wie Louis XIV.» Mit Hierarchien hab ich es nicht so. Teamfähig bin ich auch nicht besonders.

Dann hat man Ihnen auch noch Geschäftsreisen verboten.
Ja, das hat sogar die «Bild» erfahren und gespottet, dass man mit so einem hohen Lohn der Sklave seines Chefs sei. Das hat mir einen Stich versetzt, weil es nicht ganz aus der Luft gegriffen war.

Sie haben dem Chef aber nicht gehorcht.
Irgendwann ging ich ohne Erlaubnis. Als ich zurückkam, war ich meinen Posten los.

Einige Jahre später eröffneten Sie im Rheingau die Adler ­Wirtschaft und schrieben an ­Michelin Deutschland und 900 Stammgäste, dass Sie in Zukunft ohne Sterne kochen und ein paar Sachen anders ­machen wollen.
Ich wollte mir den Spass, den ich am Handwerk hatte, bewahren und frei sein, um genau das zu tun, was ich für richtig halte. Das heisst: eine einfache Küche mit saisonalen Produkten servieren, deren Herkunft ich selbst überprüfen oder die ich – noch besser – selbst produzieren kann. Artgerechte Haltung von Tieren und nachhaltige Landwirtschaft sind für mich zentral.

Das klingt wie das Konzept jedes zweiten Szenerestaurants, das in Zürich eröffnet.
Die Sensation war, dass ich als Sterne­koch diesen Weg wählte. Die Leute, die sich wirklich für mein Essen interessierten, blieben mir treu. Wahrscheinlich waren in der Adler Wirtschaft bis heute mehr Gourmets zu Besuch als in manchem Sternelokal.

Viele Köche wollen heutzutage mit ihrer Küche «zurück zur Natur» und «näher hin zu den Leuten». Wer einen grossen Namen in der Sternegastronomie hatte, kann damit mehr Geld machen als ­jemand, der schon immer ­nachhaltig kochte.
Mein Entscheid war keine PR-­Aktion, ich fällte ihn aus tiefster Überzeugung. 2010 ging ich einen Schritt weiter, übergab die Adler Wirtschaft meinem Sohn, kaufte den Falkenhof im Nachbarort und wurde Bauer. Weil ich die Qualität, die ich mir auf dem Teller meiner Küche vorstelle, nicht mehr kaufen kann, züchte ich meine Rinder, Schweine und Hühner heute selbst.

Was passt Ihnen nicht am ­Mainstream-Fleisch?
Struktur und Geschmack. Die ­Tiere werden so schnell gemästet, dass das Fleisch gar nicht reif wird.

Warum haben es die Tiere bei ­Ihnen besser als in gross­industriellen Betrieben?
Meine Limousin-Rinder dürfen drei Jahre leben und haben genügend Bewegung, meine Bentheimer-Schweine sehen zwei Winter. Dieser Rasse wurde die Angewohnheit, Fett anzusetzen, nicht weg­gezüchtet. Ich sage immer: «Ein Schwein, das nicht fett sein darf, ist eine arme Sau.»

Wie schlachten Sie die Tiere?
Wir schauen, dass das Tier so wenig Stress wie möglich hat. Wenn ein Schwein seine Dienstreise antritt, wie ich es nenne, kriegt es einen Sterbebegleiter aus der Rotte zur Seite gestellt, der es zum Schlachthof begleitet. Das mag merkwürdig klingen, ist aber sinnvoll in Hinblick auf die Fleischqualität und für das Tier selbst.

Noch netter wäre natürlich, Sie würden das Tier leben lassen.
Meine Tochter ist Vegetarierin, aber ich kann mir nicht vorstellen, kein Fleisch mehr zu essen. Für mich gehört das einfach zu unserer Kultur. Vielleicht bin ich auch ­einfach zu alt, um nochmals etwas Neues anzufangen.

Vom Koch zum Landwirt – da braucht es einiges an Weiter­bildung. Wie haben Sie sich das Wissen angeeignet?
Ich bin in einem Gasthof mit landwirtschaftlichem Betrieb aufgewachsen, meine Mutter war die erste Sterneköchin Deutschlands, mein Vater handelte mit Weinen und war gelernter Metzger. Ich wusste schon als Kind, wie man ein Kälbchen aus dem Mutterleib holt, wenn es bei der Geburt stecken bleibt.

Wie denn?
Wenn es mit dem Kopf voran kommt, muss man mit Daumen und Zeigefinger in je eine Augenhöhle des Kalbes greifen und es am Knochen zwischen den Augen hinausziehen. Das klingt brutal, macht dem Tier aber nichts, weil ­alles noch ganz weich ist.

Was kann ich als Konsument tun, um mit meinem Essverhalten Einfluss auf die Qualität der ­Tierhaltung zu nehmen?
Essen Sie den Fast- und Tankstellen-Food nicht, den Sie überall ­angeboten kriegen, und kaufen Sie auf dem Markt ein.

Machen Sie auch mal eine Ausnahme, wenn Sie Hunger haben und es schnell gehen muss?
Wenn ich am Bahnhof auf jemanden warte, kaufe ich schon mal eine Currywurst. Es interessiert mich dann auch, wie die schmeckt. Aber irgendein Sandwich mit Fleisch würde ich niemals essen. Man muss sich sein Leben so einrichten, dass man so viel wie möglich zu Hause essen kann.

Klingt aufwendig.
Es kann nicht sein, dass man nur ein Mal pro Woche kocht. Das ist doch kein Leben!

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