Er startete seine Karriere, als Farbfotos in Zeitschriften noch selten waren, weil ihre Entwicklung so lange dauerte. Jetzt sitzt Peter Knapp (91) an einem Tisch in der Schweizer Fotostiftung in Winterthur, wo Besucher vom 29. Oktober bis 12. Februar auf rund 300 Quadratmetern rund 70 seiner insgesamt 700 Produktionen betrachten können. Er trägt ein Jeans-Hemd mit kurzen Stehkragen, Turnschuhe und eine sandfarbene Hose. Sich so «jugendlich» anziehen und nicht verkleidet wirken – das kann nur jemand wie er, der den grossen gesellschaftlichen Trends nie hinterherlief, sondern sie setze.
Knapp, geboren in Bäretswil ZH, arbeitete in den Sixties – und später nochmals in den Seventies – in Paris als künstlerischer Leiter und Fotograf für «Elle». Die Zeitschrift hatte damals eine wöchentliche Auflage von einer Million Exemplare und war massgeblich daran beteiligt, dass die Mode – und mit ihr die Gesellschaft – einen massiven Wandel durchmachte. Ausschlaggebend war, dass stilvolle Kleidung erstmals nicht mehr nur in Form von Spezialanfertigungen, sondern als sogenannte Prêt-à-porter-Kollektionen auf den Markt kam. Die «Elle» machte diese Kleidung «ab Stange» einer breiten Schicht Konsumentinnen schmackhaft.
Grössere Schritte dank kürzeren Röcken
Prêt-à-porter-Mode sehe im Gegensatz zu Haute Couture eigentlich erst gut aus, wenn sich Frauen in ihr bewegen würden, sagt Knapp. Das war dann auch seine grosse Innovation: Dass er Models dynamisch inszenierte und nicht in starren Posen. Er fotografierte Mannequins, wie sie damals noch genannt wurden, zum Beispiel für ein Bademode-Shooting von oben, wie sie auf einem überdimensionalen Hellraumprojektor liegen und so tun, als würden sie schwimmen oder ins Wasser springen. So entstand ein Bild von schwereloser Eleganz.
Begleitend zur Ausstellung erscheint die Publikation «Peter Knapp – Mon temps. Modefotografie 1965–1980» im Verlag Scheidegger & Spiess, herausgegeben von Peter Pfrunder.
Begleitend zur Ausstellung erscheint die Publikation «Peter Knapp – Mon temps. Modefotografie 1965–1980» im Verlag Scheidegger & Spiess, herausgegeben von Peter Pfrunder.
Mitte 60er-Jahre fotografierte er die ersten Kollektionen von André Courrèges (1923–2016), einem der Erfinder des Mini-Rocks. Er sei der erste Designer gewesen, der die Funktion eines Kleidungsstückes höher bewertete als seine Form, sagt Knapp. Dass Courrèges kurze Röcke etablierte, habe damit zu tun gehabt, dass die Autos tiefer wurden – und Frauen nicht mehr Angst haben mussten, dass man beim Einsteigen ihre Unterwäsche sah. «Dafür machten Frauen mit den kurzen Röcken beim Laufen grössere Schritte.» Auf den Modestrecken Knapps sah man Frauen, die alleine nachts unterwegs waren, und keine Handschuhe trugen – damals eine Sensation. Das alles passte zum Geist der weiblichen Emanzipation, die damals ihren Anfang nahm.
Seine Fotos haben Schnappschuss-Charakter
Knapp wollte eigentlich Pilot werden, absolvierte dann aber den Lehrgang Grafik an der Zürcher Kunstgewerbeschule. Mit zwanzig zog er nach Paris, um Malerei zu studieren. Um Geld zu verdienen, arbeitete unter anderem als künstlerischer Leiter des Kaufhauses Lafayette. Irgendwann wurde «Elle»-Gründerin Hélène Lazareff (1909–1988) auf ihn aufmerksam und engagiert ihn. Knapp: «Sie sagte: Inszeniere Frauen so spontan, wie du das auf einem Schnappschuss von deiner Freundin tun würdest.»
Der Sohn einer kunstinteressierten Hausfrau und eines schachbegeisterten Bührle-Angestellten war als junger Mann mit Sonja Knapp (80) verheiratet, die später das Modehaus Ungaro mitgründete. Seine zweite Frau Christine, mit der er 40 Jahre verheiratet war, starb vor zwei Jahren.
Seit seiner grossen Zeit als Art Director widmet sich Knapp, der in Paris und Klosters GR lebt, vermehrt der Malerei und dem Film. 2021 verlieh ihm das Bundesamt für Kultur den Schweizer Grand Prix Design. «Ich habe das Glück, dass ich mit allem, was ich mache, so viel Geld verdiene, dass ich über die Runde komme.»
Ausstellung «Peter Knapp – Mon temps». 29. Oktober 2022 bis 12.02.2023, Fotostiftung Schweiz, Winterthur